Süddeutsche Zeitung

Nordengland:1400 Fälle von Kindesmissbrauch in einer Stadt

Die Polizei reagierte nur zögerlich, der Jugendschutz begegnete den Opfern mit Geringschätzung. Ein schockierender Untersuchungsbericht macht die Behörden der nordenglischen Stadt Rotherham dafür mitverantwortlich, dass dort über 16 Jahre hinweg Hunderte Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht wurden.

  • Zwischen 1997 und 2013 wurden in der nordenglischen Stadt Rotherham 1400 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht.
  • Die Behörden ignorierten Warnhinweise. Der Gemeindratschef ist zurück getreten.
  • Der Polizeichef hat sich entschuldigt. Einen Rücktritt lehnt er ab.

Entführungen und Gruppenvergewaltigungen

In der nordenglischen Stadt Rotherham sind einem Untersuchungsbericht zufolge hunderte Kinder über einen Zeitraum von 16 Jahren hinweg sexuell missbraucht worden - ohne, dass die Behörden angemessen dagegen vorgingen. "Unsere konservative Schätzung lautet, dass während des Untersuchungszeitraums von 1997 bis 2013 ungefähr 1400 Kinder sexuell ausgebeutet wurden", sagte Alexis Jay. Jay, die früher als Chef-Kontrolleurin für Jugendschutzbehörden tätig war, hat den Bericht verfasst.

Er enthält drastische Schilderungen von Gruppenvergewaltigungen und Entführungen von Mädchen, die teilweise erst elf Jahre alt waren und offenbar sogar in andere Städte Englands geschleust wurden. Bei den Tätern handelte es sich demnach um viele verschiedene Männer, viele von ihnen mit asiatischem Hintergrund.

Jay zufolge wurden einige von ihnen mit Benzin übergossen und mit der Drohung eingeschüchtert, dass sie bei lebendigem Leib angezündet oder erschossen würden. Außerdem seien sie gezwungen worden, Vergewaltigungen anderer Kinder mit anzusehen. Das Stillschweigen ihrer Opfer sicherten sich die Täter demnach mit der Androhung brutaler Gewalt.

Behörden begegneten Opfern mit Geringschätzung

Dem Bericht zufolge hatten sich einige Missbrauchsopfer trotzdem an die Polizei gewandt und ihre Peiniger als "Asiaten" beschrieben. "Aus der Furcht heraus, als Rassisten abgestempelt zu werden", seien die Ordnungskräfte diesen Hinweisen auf die ethnische Herkunft der Täter jedoch nicht oder nur zögerlich nachgegangen.

Stattdessen sei den teils schon bei den Jugendschutzbehörden bekannten Opfern mit Geringschätzung begegnet worden. Die Behörden müssten sich "eklatante" Versäumnisse vorwerfen lassen und hätten frühe Warnhinweise ignoriert, sagte Jay. Der Gemeinderatschef der 250 000-Einwohner-Stadt trat unmittelbar nach der Veröffentlichung des Berichts zurück. Disziplinarstrafen müssen die betroffenen Behördenvertreter dem Vernehmen nach trotzdem nicht fürchten.

Der Polizeichef der Region, Shaun Wright, hat Rücktrittsforderungen zurückgewiesen. Er war im im Stadtrat von 2005 bis 2010 für den Kinderschutz zuständig. Stattdessen bat Wright um Entschuldigung gebeten. "Wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, dann hätte eindeutig mehr getan werden können", sagte er dem Sender Sky News. "Ich kann nur sagen, dass das für die Polizei in South Yorkshire höchste Priorität hat." Das werde auch so bleiben, so lange er den Posten innehabe.

Ähnliche Fälle auch in anderen Städten

In Auftrag gegeben hatte den Untersuchungsbericht der Gemeinderat von Rotherham, nachdem dort 2010 fünf Männer wegen Sexualdelikten zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren. Ähnliche Fälle kamen in den vergangenen Jahren auch in den englischen Städten Derby, Oxford und Rochdale ans Licht.

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