Süddeutsche Zeitung

Wildtiere in Norddeutschland:Viele Schafe, wenig Wölfe, große Sorgen

  • In Schleswig-Holstein wurden in diesem Jahr mindestens 59 Schafe gerissen, viel mehr als 2017.
  • In dem Bundesland sind zurzeit schätzungsweise drei bis fünf Wölfe unterwegs, sie sollen aus Dänemark eingewandert sein.
  • Die Regierung zahlt Schäfern Entschädigungen für gerissene Tiere und stellt Elektrozäune. Schäfer kritisieren, die Zäune seien zu niedrig, die Maßnahmen insgesamt nicht ausreichend.
  • Im Aufrag der Landesregierung kümmern sich 70 Wolfsberater um Verständnis und Akzeptanz der Wölfe.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Bei den Kruses in Westerhorn begann das Drama mit dem Wolf im Sommer, Nicole Kruse führt Buch. "Der erste Riss bei uns war am 8. August", berichtet sie, als Riss gilt unter Landwirten ein meist tödlicher Raubtierangriff auf Nutztiere. Ein Schaf lag zerbissen auf der Weide, ein zweites wurde, schwer verwundet, vom Tierarzt erlöst. Die nächste Attacke dann am 26. September, wieder eine Biss in die Kehle - die elfjährige Tochter der Kruses fand das tote Mutterschaf, ein verletztes Lamm musste eingeschläfert werden. Traumatisch. "So geht das nicht weiter", sagt die Schafzüchterin Kruse, "wir haben echt Angst um unsere Existenz."

Der Wolf also. Seit Jahren wird über die Rückkehr dieser mit Mythen und Legenden beladenen Wesen debattiert - jetzt diskutiert auch Schleswig-Holstein, das Revier der Schafe. Die Gemeinde Westerhorn liegt im Landkreis Pinneberg, kaum 50 Kilometer entfernt von Hamburg, andernorts zwischen den Meeren ist ebenfalls von Wölfen die Rede. Mindestens 59 Schafsrisse hat das nördlichste Bundesland in diesem Jahr registriert, viel mehr als 2017, die Kadaver landen in weißen Säcken in der Tierannahme. Nun wollen die Kruses und ihre Mitstreiter sich wehren.

Gerade haben sie eine Bürgerinitiative für wolfsfreie Dörfer gegründet, das lange entwöhnte Wolfsland Deutschland ist in Sorge. Ähnliche Zusammenschlüsse werden aus Celle, der Lausitz und Nordfriesland gemeldet. In Schleswig-Holstein kommt in Wolfsfragen erschwerend hinzu, dass es dort Schafe in großer Zahl gibt, mehr als 200 000, sie festigen auch die Dämme. Und wie viele Wölfe gibt es in Schleswig-Holstein? "Halten Sie sich fest", antwortet Jens-Uwe Matzen, der im Auftrag der Kieler Landesregierung 70 Wolfsberater koordiniert: "Wir gehen von drei bis fünf Einzeltieren aus."

Das klingt nach einer überschaubaren Gefahr, doch die drei bis fünf Einzeltiere sorgen für Aufregung. Sie sind aus Dänemark eingewandert, oder aus einem anderen Bundesland. Rudel und Welpen wie in Niedersachsen gibt es noch keine. "Das kann sich natürlich irgendwann ändern", sagt Matzen. Eine Horrorvorstellung für die Kruses, die 700 Schafe besitzen, und die Belchs aus Heede mit ihren 1000 Schafen, von denen binnen einer Woche offenbar sieben einem Wolf zum Opfer fielen. Der Staat zahlt Entschädigungen und stellt Elektrozäune, aber die sind den Betroffenen zu niedrig. Die Bürgerinitiativen verlangen, dass der Staat die Wölfe einfängt, ehe es noch schlimmer wird. Abschießen ist außer in besonderen Notfällen verboten, der hierzulande so lange verschwunden gewesene Wolf steht unter Schutz. Der Wolfsexperte versteht die Ängste der Menschen, aber wolfsfreie Gebiete? Die Forderung hält er für sinnlos. Der Wolf sei viel zu beweglich und zu schlau, der Wolf bleibe, "man wird einfach damit leben müssen". Gesehen hat Nicole Kruse übrigens noch keinen Wolf. "Leider nicht", sagt sie, "sonst hätte ich ein Foto gemacht."

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Quelle:
SZ vom 15.10.2018/eca
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