Serienmörder Niels Högel:Niels Högels Kollegen können mit Freispruch rechnen

Serienmörder Niels Högel: Im März sagte Niels Högel in dem Prozess gegen seine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen als Zeuge aus. Hier wird er vor das Landgericht Oldenburg geführt.

Im März sagte Niels Högel in dem Prozess gegen seine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen als Zeuge aus. Hier wird er vor das Landgericht Oldenburg geführt.

(Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

In einem Zwischenbescheid kommt das Landgericht Oldenburg zu dem Schluss, dass Ärzten und Pflegekräften, die den mörderischen Krankenpfleger gewähren ließen, kein Vorsatz nachweisbar sei. Das Urteil soll im Oktober ergehen.

Von Annette Ramelsberger

Es war der letzte, der eindeutige Beweis: Am 22. Juni 2005 erwischte eine Krankenschwester im Krankenhaus Delmenhorst ihren Kollegen Niels Högel, wie er einem Patienten eine Substanz spritzte. Das Herz des Patienten begann zu stolpern, er starb. In seinem Blut fanden sich Spuren des Medikaments Gilurytmal, was dem Patienten nicht verordnet worden war.

Schon seit vielen Monaten war der Argwohn der Kollegen gegen Högel gewachsen, in seinen Schichten gab es ganz besonders viele Notfälle, ganz besonders viele Patienten mussten reanimiert werden. Nun hatte man offensichtlich den Beweis, dass der Mann Patienten in Gefahr brachte. Dennoch durfte er noch einmal eine Schicht absolvieren, in dieser Nacht tötete er eine Frau.

Wegen dieses Falls und insgesamt 85 Patientenmorden ist Högel 2019 zu lebenslanger Haft verurteilt worden, der größte Serienmörder in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Doch was ist mit den Ärzten, Pflegern und Schwestern, mit denen er arbeitete? Hatten sie wirklich nichts bemerkt? Hatten sie am Ende den Mund gehalten, um dem Ruf des Klinikums nicht zu schaden, um keine Scherereien zu bekommen? Einiges deutete darauf hin: So war im Klinikum Oldenburg sogar eine Liste geführt worden mit Notfällen und den dabei anwesenden Pflegern. Högel führte die Liste mit weitem Vorsprung an. Die Polizei informiert hatte niemand.

Strafbare Fahrlässigkeit ist bereits verjährt

17 Jahre nach dem letzten Mord stehen seit Anfang des Jahres sieben Ärzte und Pfleger aus den Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst vor Gericht, angeklagt der Beihilfe zum Totschlag durch Unterlassen. Sie sollen, so die Anklage, weggesehen und ihre Bedenken unterdrückt haben. Nun ist klar: Sie werden keinerlei Konsequenzen zu befürchten haben. Bereits am 25. Oktober soll das Urteil ergehen, es wird mit größter Wahrscheinlichkeit "Freispruch" lauten.

Denn das Gericht kam am Dienstag in einem Zwischenbescheid zu dem Schluss: Ein Vorsatz, die Morde geschehen zu lassen, ist den Angeklagten nicht nachzuweisen. Selbst beim letzten Mord, als Högel bereits überführt war, hätten noch Zweifel bei den Kollegen geherrscht, ob wirklich Högel am Tod des Patienten schuld war. Das Gericht bezieht sich auf eine Ärztin, die "glaubhaft und authentisch" diese Unsicherheit der Kollegen dargestellt habe. Man sei sich nicht sicher gewesen, ob nicht doch einer der Ärzte dem Patienten das Medikament verschrieben habe. Die Ärzte seien in Urlaub gewesen, sodass man sie nicht fragen konnte. Auch bei den Ärzten und Pflegern aus dem Klinikum Oldenburg, das den Mörder mit einem guten Zeugnis weggelobt hatte, sei kein Vorsatz erkennbar gewesen, teilte das Gericht mit.

Strafbare Fahrlässigkeit wäre nach Ansicht des Gerichts wohl schon in Betracht gekommen, aber die ist verjährt. Die Ermittlungen gegen die Ärzte kamen erst mehr als zehn Jahre nach der letzten Tat in Gang - zu spät, um noch jemanden zur Rechenschaft ziehen zu können. Die Staatsanwaltschaft hat dann, nach jahrelangem Zögern, noch einen Versuch unternommen, sie hat wegen Tötung durch Unterlassen angeklagt, denn das war noch nicht verjährt. Vergebens.

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