Süddeutsche Zeitung

Nichtrauchergesetz:Der große Graben

Lesezeit: 4 min

Der Ort Bruchmühlen gehört teils zu Nordrhein-Westfalen, teils zu Niedersachsen. Das neue Nichtrauchergesetz entzweit das Dorf.

Dirk Graalmann

An der schmucklosen Eichentheke sitzen zwei Rentner über Eck. Sie reden über Belanglosigkeiten, den üblichen Tratsch. Was man so spricht an einem Abend in der Dorfschänke, die inzwischen Harput Grill Bistro heißt.

Früher war hier ein Grieche, jetzt wird türkisches Essen serviert. Georg nimmt einen Zug, überlegt, dann inhaliert er noch mal kräftig und sagt dann: "Ich lasse mir von niemandem das Rauchen verbieten. Erst recht nicht von Politikern."

Eine Schachtel Reval ohne Filter steht angelehnt an der aus Eiche gedrechselten Strebe, daneben liegen zwei Pfeifen achtlos herum. Ein wenig Asche hat sich schon auf dem Tresen verstreut.

Der Zigarettengeruch weht durch die schmucklose Kneipe, auf den Tischen stehen die gläsernen Aschenbecher mit Werbeaufdruck.

Sie sind teilweise abgestoßen, sie stehen halt schon lange hier. Es wird Herforder Pils ausgeschenkt, echt westfälisch eben. Hier, in der Meller Straße 6 in 32289 Bruchmühlen, Gemeinde Rödinghausen, Kreis Herford, Nordrhein-Westfalen ist die Welt noch in Ordnung.

Gegenüber, einmal quer über die Meller Straße, gerade mal sieben, acht Meter, ist die Welt eine andere. Francesco Ruperto hat da seine gleichnamige Eisdiele. Er hat er die Aschenbecher vom Tisch geräumt, für immer.

Denn das Eiscafé in der Meller Straße 5a gehört zu 49328 Bruchmühlen, Stadt Melle, Landkreis Osnabrück. Hier ist Niedersachsen, hier gilt seit dem 1. August absolutes Rauchverbot in Gaststätten. Die Landesgrenze geht mitten durch Bruchmühlen. Am grasbewachsenen Kreisverkehr mit seinen fünf Ausfallstraßen ist die eine Seite Niedersachsen, die andere Nordrhein-Westfalen.

Grenzen des Föderalismus

Man sieht es nicht auf den ersten Blick. Im Schwarzen Weg hinter dem Bahndamm aber bekommt Absurdistan ein Gesicht. Direkt vor dem kleinen Kilverbach endet das nordrhein-westfälische Bruchmühlen. Das durchgestrichene Ortsschild steht achtlos im Brennnessel-Gestrüpp.

Es sind 13 Schritte, nur über den keinen plätschernden Bach, in eine neue Welt. Rechts am Straßenschild kündet das Ortsschild: Bruchmühlen, Niedersachsen. Willkommen am Checkpoint Charlie der Provinz. You are now leaving the NRW-Sektor. Bruchmühlen statt Berlin. Eine geteilte Stadt. Hier ist die Grenze des Föderalismus.

Die absurde Trennung ist historisch bedingt. Das Gut Brocmole, entstanden 1322, war lange die einzige Ansiedlung weit und breit. Es wurde dem Königshaus Hannover zugeschlagen, der sumpfige Morast im Osten gehörte zu Preußen. Zuerst war die Grenze, dann kam das Dorf. Die Teilung aber blieb, sie überstand jede Gebietsreform.

Franceso Ruperto hat diese Woche wieder seine ganz eigenen Erfahrungen damit gemacht. Am Dienstagabend kam ein älterer Herr in seinen Laden. Er wollte nicht Stracciatella oder Pistazie. Er fragte nur: "Kann man hier noch rauchen?" Dann hat er sich hingesetzt und "in 'ner halben Stunde zehn Zigaretten durchgezogen", sagt Ruperto. "Der hat uns total vollgepafft." Es war ein stinkender Protest. Der letzte.

Am nächsten Morgen haben Francesco Ruperto und seine Frau Karin die Aschenbecher von den Tischen im Innern der Eisdiele abgeräumt, sauber gemacht - und ordentlich weggestellt. "Ich bin nicht traurig drum", sagt Ruperto.

Er ist Nichtraucher. Nur draußen wird weiter gepafft. "Rauchen oder Nichtrauchen ist nicht so wichtig wie Sonne oder Regen", sagt Ruperto. Zuletzt hatte er mieses Wetter und eine verqualmte Eisdiele. Es war kein schöner Sommer.

Maria D'Amico hat andere Sorgen. Sie führt seit 15 Jahren den Grönenberger Hof, eine Dorfkneipe am Bahndamm, wie man sie zu Tausenden kennt. Funktionell, sechs Tische, über dem Tresen hängt eine Schnapsglocke. Nur eines fehlt: die Aschenbecher. Der Werner am Tresen hat grad ein Herforder und einen Wacholder-Schnaps gehabt. Er wirkt zufrieden, hat alles, was er braucht. Er rührt keinen Tabak an.

Zweimal im Jahr Westfalen-Tag

Die 38-jährige Wirtin kommt aus Sizilien, Italien. Bruchmühlen, Niedersachsen ist das Kontrastprogramm. Rauchen darf man weder dort noch hier, offiziell zumindest. "Hier war noch keiner zum Kontrollieren", sagt D'Amico.

Sie lächelt. "Ab und an bin ich ja auch mal zur Toilette oder im Keller." Die kernige Italienerin mit deutschem Pass wird dem rauchenden Gast die Fluppe wohl nicht aus der Hand schlagen. "Ich kann doch den Leuten nicht das Rauchen verbieten", sagt D'Amico. Sie wird es müssen. "Da gibt's doch bestimmt so Fristen, oder?" Es ist die Suche nach dem Schlupfloch. Aus Eigennutz. "Wenn ich alle rausschmeiße, die rauchen, kann ich den Laden ja gleich zumachen."

Sie hat die Aschenbecher trotzdem weggeräumt, man will sich ja nichts nachsagen lassen. Nur der Zigarettenautomat steht noch in de Kneipe. Gleich links, neben der Tür, man stolpert fast drüber. "Muss der etwa auch weg?" D'Amico versteht die ganze Diskussion nicht. Vor allem nicht hier, in Bruchmühlen. Dort wo, am anderen Straßenende weiter geraucht wird. Doch die fünf Männer von der Knobelrunde machen ihr Hoffnung: "Wir bleiben dir treu. Wir gehen nicht rüber."

2008 wird Nordrhein-Westfalen nachziehen

Und rüber geht in Bruchmühlen ja schneller und einfacher als anderswo. Manchmal aber ist es auch schwieriger als sonstwo. Denn der kleine, große Graben führt seit Jahren zu bizarren Situationen. Es gibt Geschwisterkinder in Bruchmühlen, von denen eins in NRW und eins in Niedersachsen zur Schule geht. Nicht nur die Urlaubsplanung wird da kompliziert. Bei der unterschiedlichen Umsetzung der Rechtschreibreform ging es nicht um Rauch oder kein Rauch, sondern um Riss oder Riß.

Die Straßenlaternen sind unterschiedlich lang beleuchtet, gewählt wird natürlich auch separat und zwei Mal im Jahr, an Fronleichnam und Allerheiligen, ist "Westfalen-Tag". Dann strömen die NRWler schon morgens in die Kneipe oder Rupertos Eisdiele. Sie haben ja schließlich frei.

Während Bruchmühlen/Niedersachsen noch schuftet, kann Bruchmühlen/NRW schon feiern. Oder einkaufen. Das freut besonders die Lebensmittelkette Lidl. Der Discounter hat sich vor Jahren im niedersächsischen Teil angesiedelt - und ist an den katholischen Feiertagen konkurrenzlos. Aldi und Edeka bleiben geschlossen.

Doch Harputs Grill wird kaum profitieren, schon 2008 wird Nordrhein-Westfalen im Nichtraucherschutz nachziehen. Und gegen zwischenzeitlich quengelnde Gäste aus NRW haben sich die Niedersachsen auch schon gewappnet. Ihr Standardspruch: "Westfalen raus!"

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.921486
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 4.8.2007
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.