Öffentliche Verkehrsmittel und Corona:New Yorker Subway öffnet ihre Höllenlöcher

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Etwa 5,5 Millionen Menschen haben New Yorks U-Bahnen in vorpandemischer Zeit täglich transportiert. (Foto: Spencer Platt/Getty/AFP)

Sie galten als stinkend und verdreckt. Nun öffnet New Yorks Verkehrsgesellschaft acht Bahnhofstoiletten wieder und feiert das als Rückkehr zur Normalität nach der Pandemie. Man ahnt: Die Subway hat womöglich ein größeres Problem.

Von Christian Zaschke

Die Subway ist die Lebensader New Yorks. Täglich befördert sie Millionen Menschen durch die Stadt. Das Streckennetz umfasst 399 Kilometer, was ungefähr der Fahrtstrecke von München nach Frankfurt entspricht. Angesichts dieser gewaltigen Zahlen erscheint es grotesk, dass die Betreiberbehörde MTA in dieser Woche stolz verkündete, dass sie bald an acht der Stationen die Toiletten wieder öffnen wolle. An acht von 472.

Zu Beginn der Pandemie hatte die MTA sämtliche Klos an den Stationen geschlossen. Das waren allerdings auch nicht sonderlich viele: exakt 69. In New York herrscht seit jeher ein Mangel an öffentlichen Toiletten. Die Stadtverwaltung schätzt, dass es zirka 1160 Klos gibt, bei mehr als acht Millionen Einwohnern und Dutzenden Millionen Touristen. Die Toiletten in der Subway zählten schon immer zu den unerfreulichsten. Sie waren verdreckt, stanken bestialisch, und unter New Yorkern gab es das geflügelte Wort, wenn man sie ein einziges Mal benutze, werde man entweder umgehend dahingerafft oder sei künftig gegen alles immun.

Dass die MTA jetzt trotzdem freudig verkündet, acht dieser einstigen Höllenlöcher würden wieder geöffnet, liegt daran, dass sie darin einen symbolischen Akt erkennt. Die Öffnung der Klos soll zeigen, dass in der Subway alles wieder normal wird, so wie vor der Pandemie. Der Plan ist, nach und nach weitere Toiletten in Betrieb zu nehmen, und wenn eines Tages vielleicht gar alle 69 wieder zugänglich sind, soll das die Botschaft senden: Seht her, es ist wie früher. Gibt überhaupt keinen Grund, sich Sorgen zu machen.

Derzeit machen sich nämlich offenbar recht viele New Yorker Sorgen um ihre U-Bahn. In vorpandemischer Zeit nutzten an Werktagen im Schnitt 5,5 Millionen Menschen die Subway. Derzeit sind es 3,5 Millionen. Das sind zwar mehr als auf dem Höhepunkt der Pandemie, als gefühlt null Menschen in den Zügen saßen und in Wahrheit im Schnitt zwei Millionen am Tag. Aber es sind eben immer noch zu wenige, und das bedeutet für die chronisch klamme MTA beträchtliche Einnahmeausfälle.

Als einen Grund macht die MTA aus, dass immer noch viele Menschen von zu Hause aus arbeiten. Über den anderen Grund wollte in Behörden und Politik lange niemand sprechen: Die Zahl der Gewalttaten in der Subway hat stark zugenommen. In diesem Jahr gab es bereits neun Morde im Netzwerk, dazu einen Amokschützen, der um sich ballerte und nur durch ein Wunder niemanden tötete. Deshalb gab es in dieser Woche eine weitere, die U-Bahn betreffende Nachricht: Gouverneurin Kathy Hochul verkündete, sie werde ab sofort die Polizeipräsenz im U-Bahn-Netz deutlich erhöhen.

Die Polizei hat mitgeteilt, es fehle dazu an Personal. Das ficht Hochul deshalb nicht an, weil in zwei Wochen Gouverneurswahlen anstehen. Ihr republikanischer Herausforderer Lee Zeldin hat zuletzt deutlich zugelegt, auch mit dem Hinweis auf die Gewalttaten. Hochul will sich daher auf den letzten Metern des Wahlkampfs als Law-and-Order-Gouverneurin präsentieren. Die Subway ist dafür ihre Bühne.

Dass sie, wenn bald die ersten Subway-Klos als vermeintliches Zeichen der Normalität feierlich eröffnet werden, der Zeremonie persönlich beiwohnen wird, darf als höchst wahrscheinlich gelten.

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