U-Bahn-Pläne:Lebensgefühl in bunten Linien

New York Subway

Das Netz der New Yorker U-Bahn.

(Foto: MTA/CC BY 2.0/Wikimedia)

Der New Yorker U-Bahn-Plan war schon immer mehr als ein schnöder Plan. Er ist auch modisches Emblem und Infografik eines kollektiven Sehnsuchtsort. Was uns der Designer Michael Hertz hinterlassen hat.

Von Gerhard Matzig

"Es ist immer schön", sagte Michael Hertz einmal der New York Times, "wenn ich sehe, wie jemand in Lederhose an einer U-Bahnstation meine Karte studiert."

Das könnte sich theoretisch auch Leonardo da Vinci sagen, dessen "Mona Lisa" im Louvre bis heute Bewunderung auch aus der Lederhosenperspektive erfährt. Nicht, dass man Michael Hertz, den vor wenigen Tagen im Alter von 87 Jahren verstorbenen Gestalter des New Yorker Subway-Plans, mit Leonardo da Vinci gleichsetzen möchte - aber um den NYT-Nachruf auf ihn zu zitieren:

"In Kartografie-Kreisen war Mike ein Riese."

Wenn Riesen sterben, darf man sich ruhig erschüttern lassen. Vor allem, wenn ihre Werke so ikonisch und öffentlich sind, dass man eben doch unweigerlich beim Mona-Lisa-Vergleich landet. Michael Hertz, dessen Grafikbüro die von den Grundgedanken her noch heute gültige "New York City Subway Map" als so pointierte wie informative Grafik bereits 1979 entwickelt hatte, ist vielleicht sogar der Mann, der die kollektive Erinnerung an eine der größten und schönsten Städte der Welt wie niemand sonst geprägt hat.

Wenn man die Augen schließt

Wer als Liebhaber öffentlicher Nahverkehrssysteme oder als Tourist die Augen schließt und an New York denkt, denkt nicht nur an die Selfie-Hotspots von Empire State Building über Brooklyn Bridge bis zu The Vessel. Man denkt sich auch die Subway dazu und überlegt, wie man möglichst umstandslos von der einen Sehenswürdigkeit zum anderen Sehnsuchtsort gelangt.

Die visuell einprägsame und annähernd deckungsgleiche Verbindung von Untergrundgleisen zu den überirdischen Baulichkeiten: Das ist die eigentliche Leistung des Hertz-Plans. Auch deshalb hat es der New Yorker U-Bahn-Plan schon auf Poster, Kaffeetassen oder T-Shirts geschafft: Er ist nicht nur eine Infografik der Infrastruktur, er selbst ist eine Chiffre der Stadt und des Lebensgefühls darin.

Als Michael Hertz, geboren in Brooklyn und seit 1954 mit einem Bachelor of Fine Arts (Queens College) ausgestattet, vor mehr als vierzig Jahren eine bis heute in alle Welt ausstrahlende Ästhetik schuf, hatte der Mann, der auch einmal für Walt Disney als Art Director arbeitete, ein Problem. Die Karte, die es schon zuvor als Diagramm gab, und deren Proportionen die Formate für die Planrahmen in den Zügen und Stationen definierte, hatte zwar viel mit einer idealen Infografik, aber nur wenig mit der realen Stadt-Topografie zu tun.

New York Subway Diagram

Ein Netz voller Sehenswürdigkeiten.

(Foto: CountZ/CC BY-SA 3.0/Wikimedia)

Das Diagramm stammte vom italienischen Gestalter Massimo Vignelli, wurde 1972 eingeführt und schaffte es sogar mit einem modernistischen Design ins Museum of Modern Art. Doch die idealisierte Vignelli-Karte war letztlich surrealer Natur. Zum Beispiel erschien auf ihr das langgestreckte Rechteck vom Central Park als Quadrat, dessen Wasserläufe nicht blau, sondern beige gefärbt waren. Man konnte sich mit Blick auf den U-Bahn-Plan New Yorks einfach kein Bild von New York selbst machen.

"Die Karte kneten, biegen und stauchen"

Hertz änderte dies und korrigierte auch die Proportionen der Vignelli-Vorgaben, die als neue Grafik dennoch in die alten Rahmen passen sollten.

"Wir mussten", erinnerte er sich später, "die Karte kneten, biegen und stauchen." Damit die Karte in die Rahmen und die Stadt in die Karte passt. Wahrlich: ein Riese. Weil seine Pläne, die erstmals auch die Sehenswürdigkeiten markierten, so gut bei wissenden New Yorkern wie bei unwissenden Fremdlingen ankamen, sind sie im Prinzip noch heute gültig.

Das allein erklärt aber noch nicht, warum ein simpler U-Bahn-Plan so ikonisch werden konnte.

Der Boom der Infografik als ideales Medium einer einerseits globalisiert, andererseits digitalisiert organisierten Gesellschaft kommt hinzu. Obschon der visuelle Wissenstransfer alles andere als ein Kind der Neuzeit ist - die Archive sind voll von alten kosmologischen oder religiösen Diagrammen. Sich ein Bild zu machen: Das ist eine jahrtausendealte Kunst.

U-BahnBerlin

Das U-Bahn-Netz in Berlin.

(Foto: Arbalete/CC BY-SA 4.0/Wikimedi)

Infografiken sind aber gerade jetzt besonders aktuell - als visuell, also auch sinnlich zu begreifende Formen, in denen sich Informationen, Daten und Fakten auf die denkbar einfachste Weise kodieren, aber auch dechiffrieren lassen. Sprachraum übergreifend zudem und übersetzbar in jede Kultur der Welt.

Auf dem Plan, ist alles klar

Infografiken vereinfachen außerdem eine Welt, die in Wahrheit immer komplizierter wird. Der Blick auf einen U-Bahn-Plan, der überdies ein Topos der urbanen und smart mobilen Stadtgesellschaft ist, birgt daher neben dieser Paradoxie auch einen Trost: Mag die Welt da oben auch noch so unbegreiflich sein, hier unten, auf dem Plan, ist alles klar.

U-Bahn Mewtro Paris

Die Pariser Metro.

(Foto: Rigil/CC BY 3.0)

Auch deshalb sind die U-Bahn-Pläne von München über Paris bis New York und Peking nicht nur touristische Herausforderungen, sondern auch letzte Gewissheiten und modische Embleme in einem. Sie zu lesen, ist ein Akt der Verortung und Bestätigung. Das mag naiv erscheinen, aber die Naivität der Pläne ist ja gerade das Geniale daran. Um es mit Brecht und seiner "Ballade von der Unzugänglichkeit menschlichen Planens" zu sagen: "Ja, mach nur einen Plan!"

Der Plan wird dir letztlich nicht die Welt erklären, sondern nur die Chiffre davon zeigen - aber wenn er das so identitätsstiftend berührend tut wie der von New York, dann kann man Michael Hertz nicht nur als Riesen, sondern muss ihn auch als Leonardo da Vinci des Untergrunds beschreiben.

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