Süddeutsche Zeitung

New York City:Staatsfeind Nummer eins

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Polizisten, Waffen und die gesperrte Brooklyn Bridge: Der Mammutprozess gegen den mexikanischen Drogenboss "El Chapo" legt halb New York lahm. Seine beiden Töchter feiern derweil Geburtstag im Barbie-Schloss.

Von Johanna Bruckner

Wer in diesen Tagen die Eingangshalle des Eastern District Court in Brooklyn betritt, fühlt sich an den Kontrollbereich eines Flughafens erinnert. Es gibt einen Metalldetektor, ein Röntgenband und bunte Plastikschalen für sicherheitsrelevanten Nippes: Laptop, Handy, Schlüssel und andere Gegenstände. Die Sakkos der Justizwachtmeister spannen an Brust und Schultern - darunter: schusssichere Westen. Der Grund für den enormen Sicherheitsaufwand ist ein Verfahren, das im Kalender des Bundesgerichts den sperrigen Titel "USA gegen Beltrán-Leyva et al." trägt. Gemeint ist einer der spektakulärsten Prozesse, die New York und die USA je gesehen haben dürften: der Staat gegen den mexikanischen Drogenboss Joaquín Guzmán, genannt "El Chapo", der Kurze.

Am Dienstag hat der Prozess gegen den 61-Jährigen nun so richtig begonnen, zuvor war die Jury ausgewählt worden. Zum Auftakt verzögerten sich jedoch zunächst die Eröffnungsplädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung, weil ein Mitglied der Jury aus zunächst ungenannter Ursache ausgetauscht werden musste, wie US-Medien berichteten. Trotz strömendem Regen hatten sich schon am frühen Morgen Dutzende Reporter und Schaulustige vor dem Gericht angestellt, um einen Platz im Saal zu bekommen. Bis zu einem Urteil kann es nach Einschätzung von Richter Brian Cogan noch mehrere Monate dauern. 17 Anklagepunkte hat die Staatsanwaltschaft zusammengetragen. Hauptvorwurf: Guzmán soll jahrzehntelang das von ihm mitbegründete Sinaloa-Kartell, benannt nach einem Bundesstaat im Westen Mexikos, angeführt haben. Es geht um Drogenschmuggel, Mord, Waffengewalt und Geldwäsche. Der Kurze gilt als eine der größten Kartellfiguren der Geschichte. Als Guzmán im Januar 2017 aus seiner Heimat an die USA überstellt wurde, sagte der zuständige Staatsanwalt: "Wer ist El Chapo? Er ist ein Mann, der nur für eine Sache bekannt ist: ein Leben voller Verbrechen, Gewalt, Tod und Zerstörung."

Auch deshalb werden die Justizwachtmeister des Brooklyner Gerichts bei der Gebäudesicherung unterstützt: von schwer bewaffneten United States Marshals und einer taktischen Spezialeinheit der New Yorker Polizei.

Der Mann, der in den USA zeitweise als "Staatsfeind Nummer eins" galt, plädiert auf "nicht schuldig". Die Staatsanwaltschaft will ihn für seine mutmaßlichen Verbrechen nicht nur lebenslang hinter Gitter bringen, sondern auch 14 Milliarden US-Dollar aus Guzmáns illegalen Geschäften beschlagnahmen. Bislang ist es den amerikanischen Behörden nicht gelungen, das Vermögen des Drogenbosses einzufrieren. Mitte September fanden Fotos ihren Weg in die Medien, die die verschwenderische Geburtstagsparty von El Chapos jüngsten Töchtern dokumentierten. Die Zwillinge durften ihren siebten Geburtstag in pinkfarbener Barbie-Schloss-Kulisse feiern.

Kostspielig wird wohl auch El Chapos Verteidigung werden. Bis zu fünf Millionen Dollar veranschlagte William Purpura, einer von drei Hauptanwälten Guzmáns, auf Nachfrage der New York Post für den voraussichtlich viermonatigen Prozess. Guzmán selbst gab bei einer der ersten Anhörungen vor Gericht an, seine Familie in Mexiko werde für die Kosten aufkommen. Die musste nach einem Bericht der mexikanischen Zeitung El Universal aber erst von der Sinnhaftigkeit dieser Ausgabe überzeugt werden: Anfangs habe sich die Familie geweigert zu zahlen - zu wenig aussichtsreich erschien Guzmáns Verteidigung.

Für die amerikanischen Behörden ist das aber noch kein Hinweis darauf, dass der Ex-Kartellchef ein Loyalitätsproblem hat. Sie sichern Guzmán, als könnte er jeden Moment von Mitstreitern entführt werden. Bereits zweimal war El Chapo in Mexiko dank Helfern die Flucht aus Gefängnissen gelungen. Seit seiner Auslieferung in die USA ist er im Manhattan Correctional Center untergebracht, einem Gefängnis mitten in New York, das im Ruf steht, härter zu sein als das umstrittene Militärgefängnis Guantánamo. 23 Stunden am Tag sitzt der Ausbrecherkönig dort allein in seiner Zelle, nur für eine Stunde darf er raus.

Um ihn ins Gericht auf der anderen Seite des East River zu bringen, wird jedes Mal die Brooklyn Bridge komplett für den Verkehr gesperrt. Ein Ärgernis nicht nur für Autofahrer im ohnehin dauerhaft auf Kante genähten New Yorker Verkehr, sondern auch Anlass zur Sorge für Guzmáns Verteidigerteam. Die Anwälte äußerten vorab die Befürchtung, die Vollsperrung der Brücke könnte pendelnde Jurymitglieder gegen ihren Mandanten aufbringen. Voreingenommenheit aus Staufrust - den Richter überzeugte das nicht. Er sorgte sich mehr um das Wohlbefinden der Geschworenen: Ihre Identität wird aus Sicherheitsgründen geheim gehalten. El Chapos Rache ist gefürchtet. Zuletzt war ein mexikanischer Richter, der eine Rolle bei Guzmáns Auslieferung an die USA gespielt hatte, beim Joggen mit einem Kopfschuss regelrecht hingerichtet worden.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2018
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