Süddeutsche Zeitung

Fehlgeburten:Weil Verlust keine Krankheit ist

Neuseeland gibt Eltern nach einer Fehlgeburt Zeit zum Trauern. Künftig können die Mutter und der Partner oder die Partnerin eine bezahlte Auszeit nehmen.

Von Xenia Miller

"Obwohl eine von vier Frauen in Neuseeland eine Fehlgeburt erleidet, wird es in unserer Gesellschaft heute immer noch als Tabu wahrgenommen." So beginnt die Labour-Abgeordnete Ginny Andersen ihr Plädoyer vor dem Parlament für bezahlte freie Tage nach einer Fehlgeburt und spricht damit ein Thema an, über das gerne geschwiegen wird. Dann verabschiedet das Repräsentantenhaus in der vergangenen Woche den vorgelegten Gesetzesentwurf einstimmig, wie der New Zealand Herald berichtete. Frauen und ihre Partner können in Neuseeland künftig drei Tage um ihr verlorenes Kind trauern.

Neuseeland gilt als ein fortschrittliches Land, vor allem, was Frauenrechte angeht. 1893 führte es als erstes Land der Welt das Frauenwahlrecht ein. Die aktuelle Regierungschefin Jacinda Ardern, 40, wurde als eine der ersten weltweit in diesem Amt Mutter - sie brachte 2018 eine Tochter zur Welt. Nachdem im vergangenen Jahr auf ihre Initiative hin Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetz gestrichen wurden, folgt nun der nächste Schritt, der auch von der Bevölkerung begrüßt wird. So schreibt eine Twitter-Nutzerin, dass sie sich ausdrücklich bei Andersen bedanken möchte, weil sie selbst vier Fehlgeburten erlebte und ihrem großzügigen Arbeitgeber sehr dankbar um zusätzliche freie Tage war. Ein anderer Nutzer äußert sich ähnlich: "Ich bin sehr stolz auf diesen wundervollen Akt von Menschlichkeit."

Die neue Regelung ist bemerkenswert, nur wenige andere Länder haben vergleichbare Gesetze. Indien zum Beispiel erlaubt Frauen bis zu sechs Wochen bezahlte Trauerzeit nach einer Fehlgeburt, der aufgrund der oft prekären Arbeitssituation aber selten in Anspruch genommen wird und außerdem nicht für den Partner oder die Partnerin gilt. Zwar war es in Neuseeland schon zuvor möglich, einen dezidierten "bereavement leave", also eine Auszeit, um zu trauern, zu nehmen, aber nur bei einer Totgeburt, zu denen Geburten ab der 21. Schwangerschaftswoche gezählt werden. Neu ist auch, dass die Auszeit der Frau und ihrem Partner oder ihrer Partnerin unabhängig von biologischer Elternschaft und Ehestatus gewährt wird, ein sehr modernes Konzept von Elternschaft.

Eingebracht hatte die Idee die Autorin Kathryn Van Beek bereits 2018. Nachdem sie selbst eine Fehlgeburt erlitten hatte und sich über ihre Rechte informieren wollte, stellte sie eine Gesetzeslücke fest. Trotz geringer Hoffnungen schaffte es der Entwurf dank Andersen bis zur Abstimmung.

In Deutschland muss man sich krankmelden

In Deutschland besteht die einzige Möglichkeit, den Tod eines ungeborenen Kindes zu betrauern, darin, krankgeschrieben zu werden. Immerhin wirkt der Kündigungsschutz, der allen Schwangeren gewährt wird, weiter, aber das nur, wenn die Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche passiert ist. Bei einer Totgeburt, die in Deutschland erst ab der 25. Woche so definiert ist, gilt hingegen der reguläre Mutterschutz. Dem Partner oder der Partnerin wird dabei keine Auszeit gewährt, obwohl auch er oder sie ein Kind verliert.

Mütter, die ihr ungeborenes Kind verloren haben, können also in Deutschland, sofern es vor der 25. Schwangerschaftswoche geschieht, nur Zeit zum Trauern bekommen, wenn sie krankgeschrieben werden. Das Problem daran formuliert auch die neuseeländische Abgeordnete Andersen bei ihrer Rede: "Die Trauer, die mit einer Fehlgeburt einhergeht, ist keine Krankheit, es ist ein Verlust."

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