Süddeutsche Zeitung

Neuseeland:Babys im Parlament

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"Manchmal kann ich ein wenig nützlich sein": Der neuseeländische Parlamentspräsident kümmert sich während einer Debatte um das Neugeborene eines Kollegen. In Deutschland wäre das schwer vorstellbar.

Um Mütter, die ihr Baby mit ins Parlament nehmen, gibt es immer wieder Ärger. Auch in Deutschland. In Neuseeland geht man entspannter mit dem Thema um. Auch dort war am Mittwoch ein Baby zu Gast, gerade mal einen Monat alt. Mitgebracht hatte es der Abgeordnete Tamati Coffey, der frisch aus dem Vaterschaftsurlaub zurückgekehrt war. Als Babysitter bot sich dann der Parlamentspräsident höchst selbst an.

Während sich Coffey an einer Debatte beteiligte, hielt also der Speaker of the House, Trevor Mallard das Neugeborene, fütterte es mit der Flasche, schaukelte es in seinem Arm. Ganz entspannt. "Normalerweise sitzen auf dem Stuhl des Speakers nur Amtsträger", twitterte Mallard danach, "aber heute hat sich ein VIP mit mir darauf niedergelassen." Auch andere Abgeordnete freuten sich über den kleinen Gast - der Grüne Gareth Hughes etwa twitterte: " Wie schön ein Baby hier zu haben, und was für ein schönes."

Tūtānekai ist das Kind von Coffey und seinem Ehemann Tim Smith. Die beiden ließen ihren Nachwuchs von einer Leihmutter austragen. Coffey sagte dem Online-Nachrichtenportal Newshub, er fühle sich "von meinen Kollegen aus dem ganzen Haus sehr unterstützt". Babysitter Mallard erklärte: "Manchmal kann ich ein wenig nützlich sein." Tatsächlich hat sich Neuseelands Parlamentspräsident nicht nur für die Öffentlichkeit um das Baby gekümmert, der dreifache Vater spielte im Jahr 2017 auch eine wichtige Rolle, als es darum ging, das neuseeländische Parlament familienfreundlicher zu machen. Mit der Veränderung der Hausregeln wollte man auch jungen Frauen den Weg in die Politik erleichtern.

Tūtānekai ist deshalb nicht das erste Neugeborene im neuseeländischen Politikbetrieb. Im vergangenen Jahr sorgte die Premierministerin Jacinda Ardern für Aufsehen, als sie ihr eigenes Kind mit zur Arbeit brachte - und später auch zu einer Versammlung der Vereinten Nationen. Dort küsste sie es, ließ es hüpfen und als sie selbst eine Rede hielt, kümmerte sich Partner Clarke Gayford, den die Premierministerin mitgebracht hatte. Ardern nannte es damals ganz nüchtern eine "pragmatische Entscheidung", wie Radio New Zealand die Regierungschefin zitierte.

Ein Vater, der sein Baby mit an den Arbeitsplatz bringt, Frauen, die auch mit Baby Karriere machen, Kollegen, die auch mal das Füttern übernehmen. Eigentlich sollte das ganz normal sein und doch sind das familienfreundliche Zustände, die man sich in deutschen Parlamenten nur wünschen kann. Erst vor einem Jahr gab es im Thüringer Landtag Streit, als die Grünen-Abgeordnete Madeleine Henfling ihren damals sechs Wochen alten Sohn Joshua dabei hatte. Der damalige Landtagspräsident Christian Carius (CDU) warf Mutter und Kind kurzerhand raus.

"Ich will einfach meine Arbeit machen", sagte Henfling damals. Und da hat sie wenig Spielraum: Mitglieder des Bundestags und der Landtage haben keinen Anspruch auf Elternzeit. Wäre doch schön, wenn das Beispiel Neuseeland auch in Deutschland manchen zum Umdenken bewegen würde.

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