Neunzigerjahre:Bleibt, wo ihr wart!

Stirnbänder, Plateauschuhe, Neonklamotten - die Neunziger sind zurück. Aber es gibt da auch so ein paar Dinge, die wir bitte, bitte auf gar keinen Fall wiederhaben wollen.

Von Moritz Geier und Friederike Zoe Grasshoff

Ist das hier wirklich 2019? Diese Frage war jüngst doch aufgekommen; etwa, als weiße Plateauschuhe - sehr viele weiße Plateauschuhe - plötzlich wieder über den nicht sehr weißen Großstadtboden zogen. Als auf der x-ten Hochzeit in diesem Jahr abermals die Backstreet Boys (ironisch) und Haddaway (unironisch) gespielt wurden. Als "Akte X" wieder lief. Oder sind das hier doch eher die Neunziger?

Damals - die Jungen vergötterten Kurt Cobain oder die Spice Girls, die etwas Älteren übten Inhalieren in der schulischen Raucherecke - war der Heranwachsende ständig damit beschäftigt, die Eltern von der nächsten Kaufentscheidung zu überzeugen: Gameboy, einschnürende Tattoo-Ketten, Dauerwelle. Heute sind die Pubertierenden von damals selbst die Konsumenten. Retro-Konsumenten in einer Gesellschaft des Kaufens und Verkaufens, welche die zwar wunderbar schrulligen, aber nicht durchweg ästhetischen Neunziger für sich entdeckt hat: Stirnbänder, Plateauschuhe, bunte Trainingsklamotten, bauchfreie Tops. Alles wieder da. Der Konsument lässt ja alles mit sich machen, solange er oder sie sich wieder jung fühlen darf. Na ja, fast alles. Es gibt da ein paar Trends, Accessoires und Kleinodien aus den Neunzigern, die ganz sicher nie mehr wiederkommen werden. Zumindest hoffen wir das, inständig sogar.

Arschgeweih

Tattoos -Thema auch für Bundespolitiker

Das "Arschgeweih": eine in die Haut gestochene Kriegserklärung an Eltern, Sittenwächter und den guten Geschmack.

(Foto: dpa)

Das Tribal-Tattoo über dem weiblichen Steißbein war so etwas wie die bloße Fortsetzung des aus der Hose ragenden Tangas mit militärischen Mitteln: eine in die Haut gestochene Kriegserklärung an Eltern, Sittenwächter und den guten Geschmack. Dass von dem Trend heute nicht mehr übrig ist als ein Schlachtfeld umgestochener und vom Laser vernichteter Tattoos, liegt vor allem daran, dass der Trend irgendwann einen Namen bekam. "Wer", fragte zum Beispiel der auch damals sehr erfolgreiche Witzereißer Michael Mittermeier plötzlich sein Publikum, "hat ein Arschgeweih?" Nichts vernichtet einen Trend effektiver als ein Name.

Tamagotchi

To match feature Japan Tamagotchi; tama+jetzt

Das Tamagotchi: 1996 in Japan entwickelt, wurde es kurze Zeit später auch in Europa und den USA zum Trendobjekt.

(Foto: REUTERS)

Heute hält man seine Timelines am Leben, unterfüttert sie mit Bildern und sonstigen Beweisen der eigenen Existenz, in den Neunzigern versorgte man ein kleines Plastik-Ei, das Container in die Welt hinaus schifften: das Tamagotchi. 1996 in Japan entwickelt, wurde es kurze Zeit später auch in Europa und den USA zum Trendobjekt. Hatte man das virtuelle Küken einmal eingeschaltet, wurde es zum ewig piependen Haustier. Es wollte essen, es wollte schlafen, es wollte spielen, es wollte auf Toilette, es wollte Zuwendung und wurde zum festen Inventar des Neunzigerjahre-Kinderzimmers. Sehr lange dauerte der Hype nicht an, doch in Japan gab es immer wieder Neuauflagen des Tamagotchis, auch in Deutschland soll bald eine neue Version kommen. Aber wer braucht das denn heute schon, wenn man eine eigene Timeline hat, an der man sich abarbeiten kann?

Nasenpflaster

Fußball 1. Bundesliga: 1. FC Kaiserslautern - Vfl Wolfsburg

Das Nasenpflaster klebte plötzlich in jedem Fußballergesicht - auch in dem von Olaf Marschall, der hier im Jahr 1998 ein Tor für den 1.FC Kaiserslautern bejubelt.

(Foto: DPA)

Plötzlich klebte da dieses Pflaster in jedem Fußballergesicht, es muss die Europameisterschaft 1996 gewesen sein, als es losging. Ein schmaler Streifen auf dem Nasenrücken, der angeblich das Atmen erleichtern sollte, entwickelt ursprünglich für Schnarcher. Damals gab es natürlich noch Spieler, zu denen das Pflaster passte, in das wildbärtige, von einem zotteligen und verschwitzten Vokuhila umwehte und irgendwie geschundene Gesicht des bulgarischen Liberos Trifon Iwanow zum Beispiel. Nicht nur der Fußball war damals ja noch roher, ungekämmter, unfrisierter, sondern auch das Männerbild. Dass das Pflaster noch mal zum Trend wird, ist heute so wahrscheinlich wie ein zotteliger Vokuhila auf dem Kopf von Marco Reus.

"Barbie Girl" und Modem

Schnullerkette

Die Welt ist voller sinnloser Objekte, die Wohnzimmer, DHL-Lastwagen und Köpfe vollstopfen und eigentlich nur deswegen eine Daseinsberechtigung haben, weil sie es in besagte Köpfe geschafft haben. Heute stellt man sich sein teuer angemietetes Laminat mit skandinavischen Designobjekten voll (die kann man sich im Gegensatz zur Wohnung finanziell noch leisten) - und in den Neunzigern eben mit aufblasbaren Sofas und Lavalampen und Spiralen aus buntem Plastik, von denen man auch heute nicht weiß, wofür genau sie eigentlich da sind. Nichtsdestotrotz war die Schnullerkette damals eine Entität des Schrecklichen, ein Accessoire aus Billigmaterialien, das man sich aus nach wie vor ungeklärten Gründen um den Hals hängte, sammelte, tauschte, besabberte. Um es mit den Fantastischen Vier zu sagen: seine Körperflüssigkeiten in den Umlauf brachte ("Gib mir deinen Saft", 1992).

"Barbie Girl"

AQUA PROMOTE NEW ALBUM AQUARIUS

Die dänisch-norwegische Band "Aqua".

(Foto: Reuters)

Es klang, als habe man eine Puppe gewaltsam mit Aufputschmitteln zum Leben erweckt. Und so war es im Grunde ja auch. "I am a Barbie Girl in a Barbie World/Life in plastic, it's fantastic", sang beziehungsweise nölte die Frontfrau der dänisch-norwegische Band "Aqua" anno 1997, der Song schaffte es in mehr als 35 Nationen auf Platz eins der Charts. Gespickt mit allerlei sexuellen Anspielungen und Barbie-Kritik, verklagte Spielzeughersteller Mattel die Band, aber die Puppe sang weiter und weiter und weiter. Nein, die Neunziger klangen eben nicht nur nach Love Parade und Freiheit, man verklärt das Jahrzehnte später ganz gern, da war auch sehr viel Blümchen ("Herz an Herz") und nicht gerade wenig Vengaboys ("Boom Boom Boom Boom, I want you in my room").

Modem

Neunzigerjahre: Mit dem Modem brach eine neue Zeit an. Hier schon ein weiter entwickeltes, modernes Exemplar.

Mit dem Modem brach eine neue Zeit an. Hier schon ein weiter entwickeltes, modernes Exemplar.

(Foto: AP)

Der Onkel des Cousins einer Freundin hatte so ein Gerät auf dem Schreibtisch stehen. Vielleicht war es aber auch der Onkel dieses Onkels. Wie dem auch war: Genauso gut hätte man sich einen Elefanten auf den Balkon stellen können; wer ein Modem hatte, galt als Freak. Es tutete und krächzte und piepte beim nicht enden wollenden Einwählprozess und wenn man denn drin war in diesem "World Wide Web", wie man das Internet damals noch ehrfürchtig nannte, erblickte das noch ungeübte Auge Bildschirmdesigns, die wirkten, als habe sie ein Bürokrat mit Hang zu Schnullerketten entworfen. Noch war nicht allen klar, wohin das Raumschiff in seinem Plastikgehäuse den Mensch, der dieses Raumschiff ungläubig anstarrte, einmal bringen würde, - was aber klar war: Eine neue Zeit war angebrochen, und sie klang sehr laut.

Regenbogenspirale

Die Neunzigerjahre waren, das muss auch mal gesagt sein, die Apokalypse, was den Umweltschutz angeht. Gab es irgendwann mehr sinnlose Plastikspielwaren zu kaufen? Bügelperlen, Fensterfarben, grüner Schleim, Buschwusch-Bälle. Und wer bitte braucht eine Plastikspirale in Regenbogenfarben, die Treppen hinunterraupt? Aber gut, die EU hat ja gerade ein Verbot für Einwegprodukte aus Plastik beschlossen, es gilt ab 2021 und irgendwann gaaaanz sicher auch für Regenbogenspiralen. So ein Trendzeug ist letztlich doch nichts anderes als ein Einwegprodukt.

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