Neues Urteil im Knox-Prozess erwartet:Faszination und Verbrechen

Amanda Knox speaks to Diane Sawyer in New York in this undated handout photo

Amanda Knox während eines Interviews im US-Fernsehen im Frühjahr 2013.

(Foto: REUTERS)

Brutale Tat, schlampige Behörden, polarisierende Angeklagte: Auch der dritte Prozess gegen die Amerikanerin Amanda Knox und ihren früheren Freund Raffaele Sollecito wird von der Öffentlichkeit gespannt verfolgt. An diesem Donnerstag will das Gericht in Florenz das Urteil verkünden.

Von Felicitas Kock

Warum ist die Gesellschaft so fasziniert von Gewalt? Mit dieser Frage beschäftigt sich der britische Regisseur Michael Winterbottom in seinem neuen Film. Mit den Schauspielern Daniel Brühl und Kate Beckinsale in den Hauptrollen soll geklärt werden, warum uns Gewaltverbrechen so neugierig machen, warum sich die Öffentlichkeit zum Beispiel jahrelang mit einem Mordfall beschäftigt. Abgehandelt wird die Frage anhand einer wahren Begebenheit. Es geht um ein Liebespaar, das beschuldigt wird, eine junge Frau umgebracht zu haben - um Amanda Knox und Raffaele Sollecito.

Während die Dreharbeiten zum Film gerade begonnen haben, wird der realen Geschichte der Amerikanerin und des Italieners an diesem Donnerstag ein weiteres Kapitel hinzugefügt. In Florenz wollen die Richter ihr Urteil verkünden und damit den dritten Prozess gegen Knox und Sollecito zu Ende bringen. Wie die Entscheidung des Gerichts ausfallen wird, ist ungewiss - noch immer ist nicht endgültig geklärt, was in der Nacht des 2. November 2007 geschah.

In jener Nacht, in der die britische Studentin Meredith Kercher in ihrem WG-Zimmer in der umbrischen Hauptstadt Perugia ermordet wurde. Weil sie sich über den Lärm beschwerte, als ihre Mitbewohnerin Amanda Knox spät am Abend mit ihrem Freund Raffaele Sollecito und ihrem flüchtigen Bekannten Rudy Guede nach Hause kam, alle drei betrunken und unter Drogen. Weil ein Streit ausbrach, im Zuge dessen sie von Guede vergewaltigt, von Sollecito mit einem Messer schwer verletzt und schließlich von Knox mit einem tiefen Schnitt in den Hals getötet wurde. So zumindest lautet die Version der Staatsanwaltschaft.

Es ist eine Geschichte von Drogen, Sex und Gewalt, die die Staatsanwälte erzählen. Eine Geschichte, auf die sich die Medien von Anfang an stürzten. Das traurige Schicksal Meredith Kerchers bewegte die Menschen - genauso wie die Frage, ob ein so junges, zierliches Geschöpf wie die knapp 1,60 Meter große Studentin Knox zu einem Mord fähig sei. Von dem Gewaltverbrechen ging damals eine dunkle Faszination aus, wie sie Regisseur Michael Winterbottom in seinem Film thematisiert. Kaum eine Zeitung, die nicht vom "Engel mit den Eisaugen" schrieb, kaum ein Reporter, der sich nicht mit der Frage nach Schuld oder Unschuld der Hauptverdächtigen befasste.

Schlampige Spurensicherung

In einem ersten Prozess, der 2009 begann, schlossen sich die Richter der Sichtweise der Staatsanwaltschaft an. DNA-Spuren an der Tatwaffe und am Tatort, widersprüchliche Aussagen beim Verhör durch die Polizei, fehlende Alibis und die vage Aussage eines Zeugen reichten aus, um Knox und Sollecito zu 30 und 26 Jahren Haft zu verurteilen. Beide sitzen - die Zeit in der Unteruchungshaft mit eingerechnet - vier Jahre hinter Gittern, bis sie in einem Berufungsprozess 2011 freigesprochen werden. Hauptgrund für den Freispruch ist ein Gutachten, das der Spurensicherung ein kritisches Urteil ausstellt: Zu viele Personen seien nach dem Mord am Tatort gewesen, die Ermittler hätten nicht immer Masken getragen und die Handschuhe nicht regelmäßig gewechselt - womöglich seien dadurch DNA-Spuren von den Ermittlern selbst neu verteilt oder verwischt worden. Es gebe daher kein Material, das Knox und Sollecito ausreichend belaste.

Knox reist kurz nach dem Freispruch in die USA, Sollecito bleibt in Italien. Doch die Erleichterung währt nicht lange: Im März 2013 hebt das oberste Gericht Italiens die Freisprüche auf Antrag der Staatsanwaltschaft auf. Das Urteil vom Oktober 2011 sei "eine seltene Mischung aus Gesetzesverstößen und logischen Fehlern" gewesen, sagt Generalstaatsanwalt Luigi Riello. Alle Indizien seien einzeln betrachtet, das große Ganze aus den Augen verloren worden. Kurz: Diesmal hatte nicht die Spurensicherung geschlampt, sondern das Gericht.

Schuldspruch, Freispruch, kassierter Freispruch - sechs Jahre nach dem Mord an Meredith Kercher ist es nicht mehr allein die schreckliche Tat, die die Öffentlichkeit in ihren Bann zieht. Es ist auch das Spiel der Justiz mit den beiden Hauptangeklagten, die Unfähigkeit der italienischen Behörden, die den Fall immer wieder an die Oberfläche spült. "Jeder Umstand, von der Tatzeit über die Mordwaffe bis hin zur Zahl der anwesenden Personen, wurde von den Richtern verschieden interpretiert", wettert Sollecitos Verteidiger in einem seiner Plädoyers. Die Anklage sei haltlos, es gebe keine Beweise. Dennoch hält die Staatsanwaltschaft an ihrer Version der Geschichte fest.

Die nicht so dunkle Seite der Amanda Knox

Seit September läuft nun der dritte Prozess, an diesem Donnerstag soll das Urteil verkündet werden. Amanda Knox verfolgt ihn aus der Ferne, sie will ihr Heimatland nicht verlassen. Dennoch äußert sie sich immer wieder zum Verfahren. "Ich bin nicht anwesend, weil ich Angst habe. Ich habe Angst, dass die Heftigkeit der Anklage Sie beeindruckt, dass ihre Augenwischerei Sie blind macht", schreibt sie in einer E-Mail an das Gericht in Florenz. In einem Interview mit der italienischen Zeitung La Repubblica äußert sie Anfang Januar den Wunsch nach einer Versöhnung mit der Familie des Opfers: "Ich will ihr direkt sagen, dass ich nichts mit dem Mord an Meredith zu tun habe, dass ich sie gern hatte und wir Freundinnen waren."

Immer wieder tritt Knox nach ihrer Rückkehr in die USA 2011 in Talkshows auf, gibt Interviews. In ihrem Buch "Zeit, gehört zu werden" berichtet sie über ihren Aufenthalt in Perugia, über ihre Haft, und über ihre angeblichen Gefühle, als sie schuldig gesprochen wurde. Ihre Eltern haben eine PR-Firma engagiert, die den guten Ruf ihrer Tochter wiederherstellen soll. Knox nutzt den Wirbel um ihre Person maximal. Die Medien stilisierten sie einst zum gefährlichen "Engel", sie selbst inszeniert sich als Unschuld vom Lande.

Es ist nie wirklich ruhig geworden um die heute 26-Jährige, seit sie in die USA zurückgekehrt ist. Viele in den Vereinigten Staaten interessieren sich eher für Amanda Knox' Äußeres, für ihr Auftreten, als für das Verbrechen, das sie womöglich begangen hat. Die dunkle Faszination für die Tat scheint sich mit einer nicht ganz so dunklen Faszination für die Person zu vermischen.

Oberstes Gericht muss Urteil bestätigen

Was geschieht, wenn Knox schuldig gesprochen wird, ist unklar. Zwischen Italien und Amerika gibt es zwar ein Auslieferungsabkommen. Würde Italien die Auslieferung beantragen, läge es aber immer noch im Ermessen der USA, ob sie dem Antrag nachkommen oder nicht. Und in den Vereinigten Staaten gilt die Grundregel, dass niemand zweimal für dasselbe Verbrechen verurteilt werden kann. Der italienische Staatsanwalt Alessandro Crini forderte in seinem Plädoyer zwar "Vorsichtsmaßnahmen", die gewährleisten sollen, dass Knox die Strafe im Fall eines Schuldspruchs antritt. Ob die Maßnahmen nötig werden, muss sich jedoch erst zeigen. Die Entscheidung, die an diesem Donnerstag verkündet wird, muss danach noch von Italiens oberstem Gericht bestätigt werden.

Und so ist davon auszugehen, dass es noch lange nicht ruhig werden wird in diesem Fall - auch wenn die Tat selbst inzwischen in Vergessenheit zu geraten scheint. Die italienische Justiz und die medienaffine Hauptangeklagte werden ihren Teil dazu beitragen.

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