Süddeutsche Zeitung

Neues Fischereigesetz:Unruhe im Anglerparadies

In Hamburg findet jeder Angler den passenden Platz, ob Traditionalist oder Streetfisher. Jedenfalls war das bisher so. Doch nun gibt es in der Hansestadt ein neues Fischereigesetz - und manche sehen den Frieden in Gefahr.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Der Hafen liegt unter tiefen Wolken. Wind. Regen. André ist zufrieden. Er hat die Kapuze seines Anoraks tief ins Gesicht gedrückt und seine beiden Angelruten in Position gebracht. Schlechtes Wetter ist gut. Die Leute bleiben weg. Er kann mit dem Auto bis zur Brüstung fahren und hat Ruhe an seinem bevorzugten Platz vor der Gaststätte Hamburger Elbspeicher direkt an der Waterkant. Er zeigt aufs graugrüne Wasser der Elbe, das sich kraftvoll mit der Flut bewegt. "Hier beißen die Fische gut." Einen Aal hatte er schon, dazu einen kleinen Plattfisch zum Wiederreinwerfen. André kommt aus Berlin. Während der Woche arbeitet er in Hamburg. Sonntagabend geht er gern noch eine Runde fischen in der Stadt. "Man kommt einfach zur Ruhe." André lächelt im Niesel. Er wirkt wirklich sehr entspannt. Angler sind so. Oder?

Hamburg ist so etwas wie die deutsche Hauptstadt des Angelns. Allerdings eine Hauptstadt in Unruhe, auch wenn auf den ersten Blick alles ganz friedlich wirkt hier. Vergangene Woche hat die Bürgerschaft ein neues Fischereigesetz der rot-grünen Stadtstaat-Regierung verabschiedet, das so modern sein soll wie kein anderes in Deutschland. Und Kay Stappen, Gründer des größten Hamburger Anglervereins Anglerfreunde-Nord, sagt: "Ich bin sauer." Wasser ist ein prägendes Element in der Hafenmetropole. Die Alster und die Elbe mit ihren Nebenflüssen machen die Stadt zum vielfältigen Angler-Revier, in dem es entlegene Stellen im Grünen genauso gibt wie aussichtsreiche Positionen im Strom der Passanten.

Streetfishing, als wäre die Tätigkeit ein urbaner Trendsport

Laut Wirtschaftsbehörde gibt es in Hamburg 120 000 Anglerinnen und Angler. An schönen Wochenenden außerhalb der Schonzeiten sind sie nicht zu übersehen in der Hafencity oder an den Landungsbrücken. Angeln ist Touristenattraktion, Wirtschaftsfaktor (es gibt 40 Angelfachgeschäfte) und Ausdruck einer Stadtgesellschaft, welche die Flächen zwischen Straßen und Häusern als nutzbaren Naturraum begreift. In anderen Bundesländern regeln meistens private Pächter den Zugang zu den Gewässern. In Hamburg sind viele frei für Angelscheininhaber. Manche nennen Angeln in der Stadt gar nicht mehr Angeln, sondern Streetfishing, als wäre die Tätigkeit ein urbaner Trendsport. Alles schön.

Aber die Regeln im Paradies waren in die Jahre gekommen. Das bisherige Fischereigesetz stammte von 1986, seine letzte Korrektur erfuhr es 2007. In seiner Gesetzesvorlage begründete der Senat die Reform deshalb mit neuesten Forschungsergebnissen, EU-rechtlichen Vorgaben zum Naturschutz und einem Trend zum Freizeitangeln. Die Veränderungen sind umfassend. Neuerdings ist zum Beispiel vorgeschrieben, dass man pro Tag nicht mehr als zwei Zander behalten darf und dass diese Zander in ein Entnahmefenster passen müssen. Das bedeutet, wenn der Fisch kleiner als 45 Zentimeter oder größer als 75 Zentimeter ist, muss man ihn zurück ins Wasser setzen, um den Fischbestand zu schonen.

Es gibt neue Materialvorgaben im Sinne des Tierschutzes. Die Fischereiabgabe steigt von fünf auf zehn Euro und ist fortan auch von Angeltouristen zu entrichten. Die Tätigkeit der kommerziellen Angel-Guides ist präziser geregelt. Im Groben kann man sagen: Die Freiheit des Fischefangens hat mehr Grenzen bekommen.

Für Vereinschef Kay Stappen und Nils Peters, den zweiten Vorsitzenden der Anglerfreunde-Nord, ist das Schikane. Stappen, 54, hat schon als Achtjähriger am Isebekkanal gefischt. Er bezeichnet sich als "Herzblutangler" und ist heute ein sehr temperamentvoller Kritiker des Angler-Establishments. Er findet es schon lange zu eingefahren, genau deshalb hat er 2005 die Anglerfreunde-Nord gegründet. "Wir sind eine Opposition", sagt er. Als "preiswertester Angelverein Norddeutschlands" (Selbstauskunft auf der Homepage) sind die Anglerfreunde-Nord auf 3600 Mitglieder angewachsen, was aus Stappens Sicht manchem in der Dachorganisation Angelsport-Verband Hamburg (ASV)

überhaupt nicht gefällt. Wenn Stappen aus der Geschichte seines Klubs erzählt, geht es um plötzlich abgelehnte Anträge aus der Behörde und Abmahnungen durch den Verband. Das neue Fischereigesetz empfindet Stappen als einen willkürlichen Versuch, kommerzielle Guides besser zu stellen als ehrenamtliche Angler, die sich in ihrer Freizeit um Ausbildung und Gewässerpflege kümmern. Das Entnahmefenster findet er juristisch unausgegoren. Machbarkeitsstudien fehlten. "Das Gesetz ist für uns Angler, die seit Jahrzehnten angeln, ein Tritt in den Arsch. Man sagt, denen müssen wir auf die Finger gucken." Stappen redet mit viel Leidenschaft. Er ist wirklich ziemlich sauer. Irgendwann sagt er: "Wissen Sie, was ich gleich mache? Ich gehe in meinen Garten zum Holzhacken." Der Frust muss raus.

Schutz für Aal und Zander

Werner Kleint allerdings, Sprecher des 16000 Mitglieder starken ASV, kann mit dieser Wut wenig anfangen. "Die breite Masse der Anglerschaft findet das Gesetz gut." Kleint ist selbst Gemütsangler, Streetfishing ist nicht sein Ding. Nie würde er sich in den Publikumsverkehr an den Landungsbrücken stellen. Anglerguides sieht er kritisch und auch zum Entnahmefenster hat er eine eigene Meinung ("ich bin da eher contra"). Aber als Verbandsvertreter ist er einverstanden. Mit anderen Naturschutzverbänden war der ASV eingebunden in den Gesetzgebungsprozess.

Und auch wenn die Behörde nicht jeden Einwand berücksichtigt hat, sagt er: "Wir finden uns sehr gut wieder in dem Gesetz." Gerade den Schutz für Zander und Aal kann er verstehen, weil die Bestände zurückgehen. Die höhere Fischereiabgabe auch für Nicht-Hamburger findet er angemessen. Außerdem habe die Angler-Ausbildung jetzt ein klareres Profil. Das neue Gesetz ist für ihn kein Drama. Kleint sagt: "Der wichtigste Passus, der nicht verändert wurde: Wir dürfen weiter angeln."

André, der Berliner an der Waterkant, ist auch informiert über das neue Gesetz. Klar, er ist ja Angler, kein Rebell, und erst recht kein Feind des Fischschutzes. Er freut sich, wenn er was fängt und sich daraus eine Mahlzeit machen kann. Aber er freut sich auch, wenn er nichts fängt. "Die Fische sollen ja auch leben", sagt er. Mit dem neuen Gesetz hat er kein echtes Problem.

Der Niesel hört nicht auf. Im Hafen geht der graue Tag langsam in die Nacht über. André genießt den Frieden am Wasser. Ein Kreuzfahrtschiff schiebt sich träge durch den Nebel. Vertreiben die mächtigen Kähne nicht die Fische? "Nee", sagt André, "die kennen die Schiffe ja."

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SZ vom 29.05.2019/wib
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