Neuer Wellness-Trend:Gesund und schön mit gutem Schlaf

Zu spät aus dem Bett? Und jetzt hetzen Sie wieder mal dem Tag hinterher? Macht nichts, ausreichend schlafen ist der neue Trend. Es soll gesund machen - und schlank.

Nora von Westphalen

Sleep is the new Sex!" - zu diesem Ergebnis kamen jetzt die Redakteure von Forbes, jenem amerikanischen Magazin, das üblicherweise vom Gegenteil handelt, von Macht, Geschäften, Erfolgen, vom Aufgewecktsein eben.

Schlafurlauber; dpa

Wie wichtig Schlaf ist, merkt man oft erst, wenn man ihn nicht bekommt: Mallorca-Urlauber mussten vor einigen Jahren wegen eines Streiks stundenlang auf ihre Rückflüge warten.

(Foto: Foto: dpa)

Wer diesen Monat in Deutschland das Erotikmagazin Playboy aufschlägt, liest dasselbe: Schlaf ist im Kommen. Oder so ähnlich. Nachdem man in den achtziger und neunziger Jahren lernte, dass man Sport machen und gesund essen muss, um länger zu leben, nachdem sich die Diäten Anfang des neuen Jahrtausends in "Ernährungsphilosophien" verwandelt haben und Sportarten wie Yoga Religionen ersetzten, ist es offenbar mal wieder an der Zeit für einen neuen Wellness-Trend.

Schlaf macht schön, gesund und zufrieden - angeblich

Und anders als durch die Atkins-Diät werden wir nun durch Schlafen schön, gesund und zufrieden. Ach, wie mühelos! "Vor 25 Jahren begannen alle zu joggen, weil sie plötzlich besorgt um ihre Fitness waren. Heute ist eben Schlafen angesagt."

So lapidar erklärte es Doktor William C. Dement, Direktor des "Sleep Disorders Clinic and Research Center" der Stanford Universität Anfang April der New York Times: "Neunzig Prozent unserer Gesundheit ist vom Schlaf abhängig", behauptet der Doktor weiter.

Die Lieblingsgeneration der Wirtschaft, nämlich die zahlreichen Baby Boomer, kommen jetzt in die Fünfziger. In diesem Alter nimmt die natürliche Fähigkeit zu schlafen langsam ab. Auch werden die Menschen bekanntlich immer dicker, auch das führt zu Schlafproblemen.

Die Klinik im Wasserschlösschen

Überflüssiges Körpergewicht erschwert die Atmung und macht krank. Die Wirtschaft hat das Potenzial des neuen Schlafbedürfnisses erkannt. Eine Schlafmittelindustrie türmt sich bereits vor dem Konsumenten auf: Kissen, Betten, Matratzen, Pillen, Tropfen, Tees, Aromatherapien, CDs, Bücher. Wer sich damit noch nicht in den Schlaf retten kann, dem helfen vielleicht Schlafseminare und Schlafkliniken.

Die Anzahl dieser Schlafkliniken hat sich in den USA in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht. Nicht so in Deutschland. Da findet der von Schlaflosigkeit Zermürbte nur nach einigem Suchen die rettende ärztliche Hand.

In Deutschland gibt es 317 von der "Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin" anerkannte Schlafmedizinische Zentren, die strengen Qualitätskontrollen unterliegen. Eine private Schlafklinik liegt im Münsterland. Von Essen aus fährt ein Bummelzug dorthin.

Gesund und schön mit gutem Schlaf

Im Örtchen Borken enden die Schienen; weiter weg geht nicht. Vor dem kleinen Bahnhofshaus hängen gelangweilte Jugendliche herum. Einen seltenen Sonnenstrahl nutzt der Mann aus der Dönerbude, um müde in den Himmel zu blinzeln. Der Taxifahrer ist hinter seiner Zeitung sanft eingenickt. Ja, hier muss es sein.

Schlaflabor;dpa

Schlafforscher werden in Deutschland oft noch mit Spott empfangen - ihre Theorien finden aber zunehmend auch bei uns Anklang. Unser Bild zeigt einen Patienten im Freiburger Schlaflabor.

(Foto: Foto: dpa)

Die "Schlossklinik Pröbsting" liegt etwas außerhalb an einem kleinen See. Schön ist es hier. Ruhig. Im Hof stehen ein paar Autos, zu sehen ist niemand. Das Wasserschlösschen aus dem 13. Jahrhundert wirkt wie ein kleines Hotel. Ein bisschen märchenhaft.

Spott für die Schlafforscher

Der Legende nach warf der hier ansässige Graf seine Geliebte einst aus dem Fenster ins Wasser, als seine Frau einmal früher heimkam. Die "Weiße Frau" soll noch heute durch das Schloss spuken. Bei Tageslicht wirkt aber alles friedlich. Im Nebenhaus befindet sich die Schlafstation. Hier arbeitet Doktor Hörstensmeyer.

Der Internist und Schlafmediziner ist ein schmaler, freundlicher Mann um die vierzig. Er trägt einen beigen Pulli, dazu eine braune Cordhose und Schnürschuhe, nicht die übliche Krankenhaus-Uniform aus weißem Kittel und Birkenstocks. Mit ruhiger Art erklärt er sein Spezialgebiet. An der Art, wie er um Seriosität bemüht ist, erkennt man allerdings auch, dass Mediziner dieses Fachgebiets einigem Spott ausgesetzt sind.

Zwei Gruppen von problematischen Schläfern

"Die Patienten kommen nicht hierher, um sich mal wieder richtig auszuschlafen", beeilt er sich zu erklären: "Dies ist eine private Akutklinik für psychosomatische und psychotherapeutische Indikationen." Das klingt ernst und nicht nach einem neuen Wellness-Trend. Fast vierzig Prozent der Deutschen leiden unter Schlafproblemen. Man kann diese grob in zwei Gruppen einteilen.

Die erste, so der Mediziner, könne einfach nicht schlafen, das bedeutet: Diese Schlafpatienten haben Probleme mit dem Einschlafen, wachen ständig auf und wälzen sich nachts unruhig im Bett. Die zweite habe scheinbar keine Schlafprobleme, leide aber unter quälender Tagesmüdigkeit. Nach ausführlicher Anamnese können Schlafmediziner die Patienten einteilen.

Neben Schichtarbeit oder Lärmbelästigung sind es bei der ersten Gruppe meist psychische Probleme, die sie nicht schlafen lassen. Depressionen sind oft ursächlich - oder das berüchtigte Burn-Out-Syndrom. Um diese Patienten kümmert sich Doktor Kreiß, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie.

Bad, Fernseher, Bett - und EEG

"Nicht jeder Patient wird sofort ins Schlaflabor gesteckt. Sind die Ursachen psychisch, ist das oft nicht notwendig." Hörstensmeyer öffnet die Tür zum Schlaflabor. Das Labor ist kein nackter, steriler Raum mit Glaswand und jeder Menge Computern. Das Zimmer wirkt eher wie ein einfaches Hotelzimmer.

Mit Bad, einem Fernseher, der offenbar beruhigende Normalität verströmen soll, mit rosafarbenen Vorhängen und einem Blick ins Grüne. Nur die Apparate neben dem Bett und die an die Decke montierte Big-Brother-Überwachungskamera verraten das Labor. In diesem Hightech-Schlafzimmer sammeln die Messgeräte Tausende Daten, von der Muskelentspannung bis zur Augenbewegung. EEG, Atmung - hier bleibt wenig verborgen. Ausgewertet werden die Informationen im Raum nebenan.

"Oft haben die Patienten Sorgen, ob sie im Schlaflabor jemals schlafen können. Tatsächlich schlafen sie dann zu ihrer eigenen Überraschung gut." Hörstensmeyers Assistentin verkabelt hier abends die Patienten. Und klebt vor dem Schlafengehen knapp 20 Elektroden auf Gesicht und Körper. Auch ein Mikrofon und Nasenfühler werden angebracht. Es klopft, und Christian Windecker betritt das Labor.

Gesund und schön mit gutem Schlaf

Baby; dpa

So unbeschwert schlummern wie ein kleines Baby - der Traum vieler schlafloser Menschen.

(Foto: Foto: dpa)

Windstille im Bett

Der pensionierte Neurologe litt jahrelang unter extremer Müdigkeit. "Manchmal musste meine Sprechstundenhilfe mich am Schreibtisch aufwecken", erinnert sich der 65-Jährige. Vor zehn Jahren war der heute rüstig wirkende Rentner auf der Autobahn am Steuer eingeschlafen. Nur die schnelle Reaktion seiner Frau hatte Schlimmeres verhindert. Er ging zum Arzt, die Diagnose:

Schlafapnoe. "Da hätte ich auch selbst drauf kommen können", sagt er heute leichthin und tätschelt seinen Bauch. "Übergewicht und Schnarcher! Aber manchmal denkt man gerade eben nicht an das Naheliegende." Das schöne Wort Apnoe kommt aus dem Griechischen und heißt: Windstille. Schlafapnoe sind kleine Atemstillstände, die während des Schnarchens auftreten.

Dreißig Sekunden bis zu einer vollen Minute können sie dauern. Fünf Prozent der Männer und zwei Prozent der Frauen leiden unter diesen nächtlichen Aussetzern, Tendenz steigend, denn oft ist Schlafapnoe auch eine Folge von Übergewicht. So scheußlich sich das für uns Normalschläfer anhören mag, so erleichternd empfinden die Betroffenen das nächtliche Tragen der Atemmaske.

Atemaussetzer machen dauermüde

Sie sieht ein bisschen aus wie eine Mini-Gasmaske (nur für die Nase), die mit einem Gummischlauch an einen schuhschachtelgroßen Kompressor angeschlossen ist. "Für mich begann ein neues Leben", schwärmt Windecker. Wie selbstverständlich die Schlafmasken geworden sind, zeigt sich am Flughafen. "Bei der Durchleuchtung erkennt sie das Sicherheitspersonal sofort. Da gibt es keine blöden Fragen mehr." Fast neunzig Prozent der Betroffenen leiden unerkannt unter den nächtlichen Atemaussetzern und sind dadurch dauermüde.

Eine Behandlung von Schlafapnoe ist nicht nur in menschlicher und medizinischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht sinnvoll: In Deutschland wird der volkswirtschaftliche Schaden auf mehr als zwanzig Milliarden Euro geschätzt.

Die Bedeutung eines gesunden Schlafs wird nach Ansicht des Schlafforschers Professor Jürgen Zulley bei uns stark unterschätzt. Deutschlands bekanntester Schlafmediziner ist Leiter des "Schlafmedizinischen Zentrums" am Universitäts- und Bezirksklinikum Regensburg und Autor zahlreicher Bücher. Gut schlafen kann man lernen. "Deshalb habe ich im Jahr 2001 die erste Schlafschule in Deutschland gegründet", erklärt er in seinem Bestseller "Mein Buch vom guten Schlaf" (Zabert Sandmann Verlag).

Kichern über den Schnarcher im Bus

"Der Zweck der Schlafschule ist es, eine professionelle Anleitung für einen besseren Umgang mit Schlafproblemen jeglicher Art zu bieten, um diese zu beheben oder zu verringern." Während wir kichern, wenn der Mann im Bus uns gegenüber vor sich hin schnarcht, ist der Umgang mit Schlaf in anderen Ländern selbstverständlicher. Im Stehen schlafende Japaner sehen für uns komisch aus. In Japan oder China sind öffentliche kleine Schläfchen aber alltäglich. In New York nutzen gestresste Stadtmenschen "MetroNaps" im 24. Stock des Empire State Buildings.

Für 65 Dollar im Monat kann man täglich 25 Minuten in den "pod chairs" schlafen. Am Ausgang gibt es eine Frischestation mit Pfefferminz und Handtüchern. Schnell ist der New Yorker wieder an Luft. Zwanzig Minuten reichen, um sich verjüngt und erfrischt zu fühlen. Es ist die wachsende Eitelkeit, die es der Industrie heute leicht macht, den neuen Trend auszurufen: Wer nicht genug schläft, altert schneller, das ergab 1999 eine Untersuchung an der Universität Chicago bei Versuchen mit jungen Männern. Diejenigen, die über mehrere Tage nur vier Stunden schliefen, sahen abgespannt aus.

Fahle Haut und Ringe

Sie zeigten Alterssymptome wie Ringe unter den Augen und fahle Haut. Auch konnte man verschlechterte Vitalfunktionen nachweisen. Beim Schlafen ruht der Körper nicht, er verarbeitet schädliche Umwelteinflüsse, erneuert die Zellen und füllt unsere Energiespeicher wieder auf. Im Schlaf werden die Funktionen herabgesetzt. Blutdruck und Puls verringern sich, die Körpertemperatur sinkt, der Stoffwechsel wird verlangsamt.

Die Muskeln, die für eine aufrechte Haltung verantwortlich sind, können sich ausruhen, ebenso Wirbelsäule und Bandscheiben. Im Schlaf produziert der Körper das Hormon Leptin, das ein natürliches Sättigungsgefühl vermittelt und unser Hungergefühl über den Tag regelt. Schlafen hält also schlank. Oder auch: Nicht schlafen kann dick machen. All das ist mehr oder weniger bekannt in den Industrienationen dieser Welt. Doch was macht der durchschnittliche Deutsche im Gegensatz zum Amerikaner?

Zauberberg statt Schlaftherapie

Er liest den "Zauberberg", schläft weiter schlecht und verschläft die Errungenschaften der Schlaftherapie. Das Angebot einer Schlafklinik ist im Land der kritischen Vernunft noch nicht recht angekommen. "In den USA gehen Leute ins Schlaflabor, weil eine Freundin es auch gemacht hat. Dort müssen Freiwillige abgewiesen werden", erzählt Hörstensmayer zum Abschied.

"Davon sind wir weit entfernt. In Deutschland gibt es auch noch nicht so viele Schlaflabore. Das führt zu Wartezeiten von bis zu vier Wochen. Und die oberste Priorität der Patienten ist, dass die Kasse zahlt." Beim Rundgang durch die Schlossklinik ist von Patienten nicht viel zu sehen. Fitnessraum, Schwimmbad und Restaurant wirken verwaist. Vielleicht waren die Leute aber auch noch nicht wach.

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