Süddeutsche Zeitung

Neue Tierschutzregeln:Ein Freund für Otto

Wie viel Platz braucht das Meerschwein Otto? Warum sollte er nicht allein leben? Regeln, die heute in Kraft treten, sollen Haustiere besser vor Zumutungen durch den Menschen schützen.

Von Nadia Pantel, Berlin

Otto sitzt jetzt schon etwas länger hier. Seit sechs Wochen hockt er sich wahlweise in seine Holzhütte, steckt seinen Kopf ins Heu oder beobachtet seinen Mitbewohner. Dem Herrn in der grünen Latzhose wäre es recht, wenn Otto all das bald woanders täte. "Wenn ich Ottos Käfig auf Kinderhöhe stellen dürfte, hätte ich den schon längst verkauft." Otto soll eines der 1,3 Millionen Meerschweinchen werden, die in deutschen Wohnungen Löwenzahn und Möhren essen und ständig nervös mit der Nase wackeln.

"Meinen Tieren geht es gut", sagt der Händler, "dafür brauche ich kein Merkblatt"

Sollte sich heute jemand entscheiden, Otto zu kaufen, müsste er ein Merkblatt erhalten, auf dem steht, dass Otto ein Nagetier ist, das am liebsten in Gruppen lebt, dafür einen Käfig mit den Maßen 120 cm x 60 cm x 50 cm benötigt und nicht gerne gestreichelt wird. Die Ausgabe solcher Merkblätter in Zoogeschäften schreibt vom 1. August an das Tierschutzgesetz vor. Weil der Mann in der Latzhose, der Zoogeschäftbesitzer, noch nie von diesen Auflagen gehört hat, will er auf keinen Fall in die Zeitung. "Meinen Tieren geht es gut, dafür brauche ich kein Merkblatt." Er ist ohnehin noch sauer, dass er Otto und die anderen Meerschweinchen nicht mehr zwischen Fischen und Vögeln aufstellen darf, wo alle Kinder hinkommen. "Da hat sich so ein Tierschützer beschwert, da war es angeblich zu dunkel." Der Amtsveterinär hat dann angeordnet, die Kleinnager an einem helleren Ort zu platzieren. Seitdem wird Otto hinter der Kasse übersehen. Und wartet.

Die neuen Auflagen für den Verkauf von Haustieren sind Teil des novellierten Tierschutzgesetzes, das seit Juli 2013 gilt. Zu strengeren Richtlinien bei Tierversuchen und dem Verbot sexueller Handlungen kommen nun, gut ein Jahr später, auch neue Regelungen für Haustiere hinzu. So soll der illegale Handel mit Hundewelpen noch weiter erschwert werden, indem die Tiere nur mit Erlaubnis der jeweiligen Landesbehörden eingeführt werden dürfen. Der zuständige Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) ließ sich im März dieses Jahres beim Kraulen des vermutlich legal erworbenen Schäferhundwelpen Meggie fotografieren und sagte, dass "die Kontrollbehörden nun besser gerüstet sind, um illegalen Welpenhändlern das Handwerk zu legen".

Wer ein Tier kauft, soll besser über seine Lebensgewohnheiten informiert werden

Doch auch im legalen Tierhandel sollen Hunde, Wellensittiche oder Nager künftig besser geschützt werden: eben indem Goldfisch- oder Hamster-Käufer gründlicher darüber informiert werden, wen und was sie sich da eigentlich genau in die Wohnung holen. Dem Tierhalter müssen "Informationen über die angemessene Ernährung und Pflege des Tieres, seine verhaltensgerechte Unterbringung sowie artgemäße Bewegung" mitgegeben werden, hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft angeordnet. Wie genau diese Informationen weitergegeben werden, hat es nicht festgelegt.

"Wir empfehlen unseren Mitgliedern, sich mit den zuständigen Amtsveterinären abzusprechen", sagt Antje Schreiber vom Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands. Die strengsten Merkblätter zur Tierhaltung gibt die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz heraus und stellt sie auf ihrer Website gratis zur Verfügung. Dort steht dann auch genau, wie man ein Meerschwein am besten anfasst, wenn es den Käfig verlassen soll: "Zum Hochheben der Tiere fixiert eine Hand den Brustkorb, die andere Hand unterstützt das Becken." Aufwendiger gestaltete Zettelchen gibt es von privaten Anbietern. Die geben dann weniger Auskunft über die richtigen Grifftechniken, fügen jedoch bunte Tierfotos ein. Oft geben auch Futterhersteller Info-Blätter zur Tierpflege heraus und drucken großzügig das eigene Logo zwischen die Erläuterungen. "Viele Tierhändler geben schon lange schriftliche Informationen mit, wenn sie Tiere verkaufen. Jetzt müssen das eben alle tun", sagt Antje Schreiber. Wer davon nichts mitbekommen hat oder sich verweigert, kann vom Amtsveterinär ermahnt werden.

Der Deutsche Tierschutzbund kritisiert, dass das neue Tierschutzgesetz ein "Tiernutzgesetz" geblieben sei, das weder Tierversuche noch Tierquälerei ernsthaft zu verhindern suche. Dies gelte auch für die neuen Heimtier-Regeln: "Tierverkäufer können wahllos entscheiden, was auf den Merkblättern stehen soll, die an Kunden verteilt werden. Deswegen wird es große qualitative Schwankungen geben." Österreich sei Deutschland in Fragen des Haustierschutzes voraus. Dort ist es zum Beispiel verboten, Meerschweinchen einzeln zu halten. Der Tierschutzbund fordert daher auch für Deutschland ein "Heimtierschutzgesetz, welches die Haltung, Kennzeichnung, Registrierung, die Ausbildung, die Zucht und den Handel mit Heimtieren insgesamt wirksam und umfassend einheitlich regelt".

Was die Ausbildung von Haustieren betrifft, befasst sich das neue Tierschutzgesetz in einem dritten Punkt mit Hundeschulen. Zwar kann man auch Kaninchen erheiternde Tricks beibringen, und Papageien sprechen bei richtiger Pflege willig ganze Sätze nach. Jedoch leidet kein Mensch unter einem schlecht ausgebildeten Meerschweinchen - die Körpermasse eines schlecht ausgebildeten Bernhardiners dagegen kann einiges niederwalzen. Um Hunden in Zukunft eine bessere Ausbildung zu garantieren, darf sich nach dem neuen Gesetz nur noch Hundetrainer nennen, wer vom Veterinäramt eine entsprechende Genehmigung erhalten hat.

Die Hundetrainerin ist unzufrieden: Sie fordert eine allgemeine Anleinpflicht

Der Hundetrainerin Astrid Lutz, die am Berliner Stadtrand wöchentlich bis zu 70 Hunden beibringt, an der Leine zu laufen und auf Zuruf zum Besitzer zurückzukehren, geht das berufsbedingt nicht weit genug. Sie ist für eine allgemeine Anleinpflicht für Hunde, die nur dann aufgehoben werden sollte, wenn die Halter einen Hundeführerschein ablegen. Hamburg hat so ein Gesetz bereits eingeführt. "Ich mag keine unerzogenen Hunde, und vor allen Dingen mag ich keine ignoranten Hundehalter," sagt Lutz. Kläffen, Fremde anspringen, Gesichter ablecken: Beinah alles lasse sich Hunden mit der nötigen Konsequenz abtrainieren. Und wenn die Gene sich gegen die Erziehung durchsetzen? Dann empfiehlt die Hundetrainerin einen Umzug. "Immer mehr Menschen halten Herdenschutzhunde in der Stadt. Die bellen dann natürlich die ganze Zeit. Da sollte man lieber aufs Land ziehen."

Für Herdenschutzhunde ist in dem kleinen Laden, in dem Otto wartet, ohnehin kein Platz. Der Mann in der grünen Latzhose verkauft einem Dackelbesitzer einen Knochen. Der Dackel nimmt den Knochen entgegen, der Besitzer zahlt. Und Otto zuckt und schnuppert. "Natürlich verkaufe ich den nur zu zweit", sagt der Latzhosen-Mann. Otto kann nur hoffen.

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Quelle:
SZ vom 01.08.2014/leja
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