Navigationsgeräte:Sie haben Ihr Ziel verpasst

Früher lag der Straßenatlas unterm Fahrersitz: Heute lassen sich Autofahrer von Navigationsgeräten auf Skipisten, in Flüsse oder unbeabsichtigt quer durch Europa lotsen. Macht die GPS-gesteuerte Routenführung dumm?

Von Titus Arnu

Die Aussichtsplattform "5 Fingers" auf dem Krippenstein ist laut Eigenwerbung "nichts für schwache Nerven". Wie eine ausgestreckte Hand ragt sie über einen 400-Meter-Abgrund. Normalerweise gelangen Besucher per Seilbahn zu der Plattform über dem Hallstätter See, aber zurzeit ist die Bahn wegen Revision geschlossen. Ein Wiener Urlauberpaar steuerte den 2000 Meter hohen Gipfel dieser Tage also mit dem Auto an. Das war auch nichts für schwache Nerven.

Auf digitalen Karten sieht es so aus, als würde die Straße "Winkl" von Obertraun zu den Fingern aus Stahl führen - im Winter ist diese Strecke allerdings die Talabfahrt des örtlichen Skigebiets. Die beiden Wiener lenkten ihren Wagen trotzdem auf den Forstweg, auf dem in regelmäßigen Abständen Kunstschnee-Haufen lagen. In so einem blieb das Fahrzeug bald stecken. Die Feuerwehr kam und befreite das Auto mit Hilfe einer Seilwinde.

Schon einmal musste die Obertrauner Feuerwehr zu einem ähnlichen Einsatz ausrücken: Ein Navi hatte deutsche Urlauber auf eine Langlaufloipe gelotst. "Viele schauen nur auf Google Maps, lassen sich von ihrem Navi in die Irre leiten und landen dann im Nirgendwo", sagt Hans Strick, Einsatzleiter der Feuerwehr.

Navigationsgeräte: Einziger Vorteil bei Umwegen durch eine falsche Routenführung im Navigationssystem: Man kommt oft an Orte, die man vorher nicht kannte. Illustration: Marc Herold

Einziger Vorteil bei Umwegen durch eine falsche Routenführung im Navigationssystem: Man kommt oft an Orte, die man vorher nicht kannte. Illustration: Marc Herold

Reflexartig kommt da die These auf: Navi macht blöd. Die Ansagerinnen mit der sirenenhaften Stimme scheinen mündige Autofahrer in willenlose Zombies zu verwandeln. Wenn man sich blind auf die elektronische Führung verlässt, verliert man dann nach und nach seine natürliche Orientierungsfähigkeit? Und wenn man alles bei Google nachschaut, statt kurz nachzudenken, ersetzt man dann sein Hirn durch eine digitale Krücke?

Menschen sind eigentlich mithilfe ihrer natürlichen Sinne in der Lage, sich eine Route anhand von auffälligen Wegpunkten zu merken und sich darüber hinaus einen skizzenartigen Überblick über eine Landschaft oder ein Stadtviertel anzueignen. Wissenschaftler nennen das "kognitive Karte". Frauen schneiden beim Orientierungssinn in Studien weniger gut ab, wenn sie eine Richtung einschätzen sollen, dafür können sie sich besser Details merken. Männer kennen sich im Schnitt besser aus mit Himmelsrichtungen oder Entfernungen.

Bevor es Navigationssysteme gab, kam es öfter zu Ehestreits über Richtungsfragen, denn der Beifahrer war gezwungen, Straßenkarten zu lesen. Deren Referenzrahmen sind die Himmelsrichtungen, wer also wissen will, wo es langgeht, muss erst seine Position mit der nach Norden ausgerichteten Karte abgleichen. Das ist kompliziert, trainiert aber das kognitive Kartensystem im Kopf. Wer sich auf die Elektronik verlässt, braucht solche Hirndrehungen nicht, die digitale Karte ist fast immer egozentrisch ausgerichtet. Schadet dieser Egotrip dem Orientierungssinn?

Der Mannheimer Psychologe Stefan Münzer ist dieser Frage in mehreren Studien nachgegangen. Er wollte herausfinden, wie häufig die Befragten gedruckte Karten und Navigationsgeräte nutzen und wie gut sie sich ohne diese zurechtfinden. Ergebnis: Wer immer gesagt bekommt, wo es langgeht, erwirbt kaum noch Wissen über seine Umgebung und verlernt leicht, Koordinaten im Kopf zu speichern.

Zu einem Revival der Landkarte aus Papier wird es deshalb aber wohl nicht kommen, die digitalen Helfer sind fest in unserem Leben implantiert. An der Uni Münster versuchen Geografen, Informatiker und Psychologen deshalb, ein deppensicheres GPS-Gerät zu entwickeln. Es soll nicht mehr befehlen: "Dem Routenverlauf 750 Meter folgen!", sondern reden wie jemand, den man am Straßenrand nach dem Weg fragt. "Bei der nächsten Ampel rechts und dann weiter bis zur Kirche." Das klingt menschlicher, aber ob es hilft?

Ein Fehler ist schließlich schnell passiert: Schon das Eintippen des Ortes oder der Postleitzahl kann zu Problemen führen, ein Zahlen- oder Buchstabendreher hat weitreichende Folgen. Wer dem Straßenverlauf folgt, ohne mitzudenken, kann schon mal enden wie ein Auto im Landkreis Lüneburg: Das mit vier Personen besetzte Fahrzeug versank vergangenen Februar in der Elbe, nachdem der Fahrer sich von seinem Navigationsgerät direkt ins Wasser leiten ließ. Bei der vermeintlichen Straße handelte es sich um eine Fährverbindung. Die vier Insassen kamen mit dem Schrecken davon - allerdings komplett nass und unterkühlt.

Möglicher Ansagetext eines Navigationsgeräts, das Forscher in Münster derzeit entwickeln

"Bei der nächsten Ampel rechts und dann weiter bis zur Kirche."

Nicht nur Autofahrer werden Opfer von Navi-Pannen: In den Alpen müssen immer öfter Fahrradfahrer aus lebensgefährlichen Situationen gerettet werden, weil sie einer GPS-Route auf einen Klettersteig gefolgt sind. Ein Teilnehmer des Goldsteig-Ultramarathons in der Oberpfalz verfehlte 2015 das Ziel um mehr als 50 Kilometer - sein GPS-Gerät führte ihn zu einem Bauernhof nach Niederbayern.

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