Natur:Auf Freierspfoten

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Im April wurde Luchs Friedl im Schwarzwald betäubt und mit einem Peilsender ausgestattet. So ist er zu einer kleinen Berühmtheit geworden. (Foto: dpa)

Luchs Friedl stromert seit Monaten kreuz und quer durch den Südwesten, ein Peilsender hält seinen Weg fest. Die Menschen in Baden-Württemberg sind fasziniert. Das Tier sucht aber nur eines: eine Partnerin.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Vier Monate lang streifte Friedl durch den Mittleren Schwarzwald, dann fühlte er sich einsam, verständlicherweise. Friedl ist im besten Mannesalter, wer bleibt da gern allein? Also begab er sich Anfang August auf Wanderschaft. Unter der Neckartalbrücke querte er die Autobahn A 81, zog ostwärts über die Schwäbische Alb, fand keinen Gefallen an der Stadt Ulm, machte kehrt, wanderte entlang der A 8 Richtung Stuttgart, machte einen großen Bogen um die Landeshauptstadt und treibt sich nun im Zollernalbkreis herum. Rund 250 Kilometer hat er binnen weniger Wochen zurückgelegt. Damit ist er zu einer kleinen Berühmtheit geworden, zu einem Botschafter seiner Art. Aber auch zu einem tragischen Helden. Denn was der Luchs sucht, wird er in Baden-Württemberg wohl nicht finden: ein Weibchen.

Alexander Bonde, ein grüner Politiker, ist seit vier Jahren als Minister für den ländlichen Raum Baden-Württembergs zuständig. Ob es daran liegt, dass sich in diesem Jahr Wildtiere in das Bundesland wagen, die seit Jahrhunderten hier nicht mehr heimisch sind, ein Wolf und ein Luchs? Das würde nicht einmal der umtriebige Minister behaupten, der die Einrichtung eines Nationalparks im Schwarzwald durchgesetzt hat. Aber den Wildtieren verschafft er mit seiner Öffentlichkeitsarbeit gehörige Aufmerksamkeit.

Friedl, der Luchs mit dem Peilsender am Hals, macht den Menschen auf faszinierende Weise deutlich, auf welch langen und doch geheimen Wegen sich so ein Tier durch das Land bewegen kann. Mitten unter uns. Und irgendwann werden vielleicht auch die Baden-Württemberger diskutieren, ob man nicht bloß einen Einzelgänger, sondern eine Population der größten Katze Europas im Land haben will. Die Regierung des benachbarten Rheinland-Pfalz hat beschlossen, den Luchs zurückzuholen; schon im kommenden Winter sollen im Pfälzer Wald die ersten Exemplare ausgesetzt werden. In Baden-Württemberg ist das ausdrücklich nicht geplant, obwohl der Luchs politisch "willkommen" ist.

Ohne menschliche Hilfe aber wird das Tier in Baden-Württemberg wohl nicht wieder heimisch werden können; das hat der Freiburger Wildtier-Ökologe Micha Herdtfelder in einer preisgekrönten Dissertation festgehalten. Zu gefährlich und zu weit sind die Wege der Zuwanderung. Weibliche Tiere scheinen ohnehin nicht so reiselustig zu sein wie männliche. Und selbst wenn sich zufällig ein einzelnes Luchs-Paar in Baden-Württemberg paaren sollte: Die Überlebenschancen für die Jungen wären eher gering. Man müsste also gezielt mehrere Tiere ansiedeln.

Als Mitarbeiter der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg verfolgt Herdtfelder nun die Wege von Friedl, froh über jedes Signal, das der Luchs sendet. Friedl stammt aus dem Schweizer Jura, dort ging er Forschern in eine Fotofalle. Sie gaben ihm den prosaischen Namen B 430. Den Namen Friedl erhielt das Tier auf Wunsch des Landesjagdverbands. Dieser übernahm die Patenschaft für Friedl, nachdem er im April im Schwarzwald entdeckt und mit dem Sender ausgestattet worden war. Das sei doch ein schönes Zeichen für den Wertewandel im Verhältnis zu Wildtieren, findet Herdtfelder. Der Jäger und der Luchs, das war ja lange Zeit keine Liebesgeschichte.

Historisch genauso belastet ist das Verhältnis zwischen Nutztierhalter und Luchs. Auch in dieser Beziehung leistet Friedl fast vorbildliche Öffentlichkeitsarbeit. Im Schwarzwald hat er zwar aus einer Koppel vier Lämmer gerissen, doch seither ernährt er sich vorwiegend von Rehen, Füchsen und Hasen. Der Schafhalter wurde aus einem Fonds entschädigt.

In einer beim Ministerium angesiedelten Arbeitsgemeinschaft befassen sich schon seit zehn Jahren Jäger, Landwirte, Naturschützer, Wildtierexperten und andere Betroffene mit den Perspektiven des Luchses in Baden-Württemberg. Friedl liefert ihnen nun wertvolle Informationen. Wie viel Raum braucht er? Welche Barrieren sind ihm im Weg? Wovon ernährt er sich? Noch bis April 2016 soll Friedl Signale senden, dann wird sich das Halsband samt Sender lösen. Ob es ihn irgendwann zurück in die Schweiz zieht, "Cherchez la femme!", dort eine Partnerin suchen?

Das hervorragend ausgebaute Straßennetz des Landes Baden-Württemberg birgt jedenfalls die größte Gefahr für Friedl auf seiner Wanderschaft. Hoffentlich bleibt ihm das Schicksal des einsamen Wolfes erspart, der Anfang des Sommers im Ortenaukreis bei Lahr gesichtet wurde: totgefahren auf der A5.

© SZ vom 28.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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