Natascha Kampusch:"Die Gesellschaft will Frauen so sehen, wie der Entführer mich sah"

Natascha Kampusch

Natascha Kampusch im Wiener Burggarten

(Foto: dpa)

Und zwar als unterlegen und weniger intelligent. Zehn Jahre nach ihrer Befreiung spricht Natascha Kampusch über Arroganz als Waffe - und warum sie sich heute gestattet, Menschen zurück zu hassen.

Interview: Hannah Beitzer

"Mir kam es manchmal vor, als ob Kinder versuchten, einen seltsamen Käfer zu retten. Sich darum streiten, wer ihn halten darf, und ihn zum Schluss im Übereifer zerquetschen." So beschreibt Natascha Kampusch, wie sie ihre Mitmenschen empfand, nachdem sie sich vor zehn Jahren aus dem Bunker retten konnte. Wolfgang Priklopil hatte sie als Kind entführt und acht Jahre gefangen gehalten. In ihrem aktuellen Buch "Natascha Kampusch: Zehn Jahre Freiheit" rechnet sie mit aufdringlichen Journalisten, windigen Beratern und Verschwörungstheoretikern ab.

SZ: Sie sind jetzt zehn Jahre in Freiheit - in welchen Momenten fühlen Sie sich besonders frei?

Natascha Kampusch: Ich hatte oft Situationen, in denen ich Freiheitsgefühle hatte. Zum Beispiel, als ich für eine Dokumentation mit dem Journalisten Christoph Feurstein nach Barcelona geflogen und dort in einem Katamaran gefahren bin. Ich habe das Meer gespürt und es war so schön! Viel häufiger aber noch hängt Freiheit von den Gedanken im Kopf ab. Es hat auch mit Unabhängigkeit zu tun.

Sehr eindrücklich beschreiben Sie in Ihrem Buch, wie Sie kurz nach Ihrer Selbstbefreiung im Krankenhaus einen Kuchen backen - um sie herum stehen lauter Leute, die Ihnen sagen, was Sie alles falsch machen.

Das war eine sehr typische Situation damals. Die Leute hielten mich für völlig unbedarft, für unfähig, einen simplen Kuchen zu backen. Da gab es so ein typisches Bild, wie ein Opfer wie ich zu sein hat: Traumatisiert, neurotisch, ungebildet, weil ich die Schule nicht abgeschlossen habe.

Woher kam dieses Bild?

Es hat sicher mit meinem speziellen Fall zu tun. Aber auch damit, dass ich eine junge Frau war. Die Gesellschaft will Frauen so sehen, wie der Entführer mich sah: als unterlegen, weniger intelligent. Ich habe daher mein Buch allen Frauen gewidmet, die für ihre Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen. Denn es gibt noch zu viele Frauen, die glauben, eine Rolle erfüllen zu müssen. Die sich selbst aufgeben, heiraten, Kinder kriegen, weil es von ihnen erwartet wird - auch wenn es sie todunglücklich macht. Ich will ihnen Mut zusprechen. Sie sollen nicht sagen: Das ist mein Schicksal und ich muss das hinnehmen.

Gab es Momente, in denen Sie selbst kämpfen mussten, um nicht in diese Haltung zu verfallen?

Sicher. Der Entführer hat zum Beispiel immer betont, dass er mich für dumm hält. Gleichzeitig hat er aber auch den Verdacht geäußert, dass ich meine Intelligenz nur verstecke. Er hatte also auch Angst vor meinem Verstand. Ich habe sehr bald nach meiner Selbstbefreiung einen Intelligenztest gemacht. Dabei hat sich herausgestellt, dass ich vor allem sprachlich überdurchschnittlich begabt bin. Seitdem weiß ich, dass ich nicht dumm bin (lacht).

Ihnen hat man aufgrund ihres selbstbewussten Auftretens Arroganz vorgeworfen.

Ich verstehe, woher das kommt. Einerseits davon, dass ich dem typischen Opfer-Bild nicht entspreche. Auf der anderen Seite war für mich vor allem zu Beginn eine kühle, distanzierte Haltung gegenüber Journalisten eine Waffe. Ihr könnt noch so voyeuristisch sein - ich bin ich und mache, was ich will. Das wurde mir als Arroganz ausgelegt.

Um Ihren Fall rankten sich bald die wildesten Verschwörungstheorien, auch Ihre Rolle wurde immer wieder angezweifelt. Wie sind Sie damit umgegangen?

Das war sehr schwer für mich. In der Gefangenschaft habe ich mir die Welt draußen immer als Gesellschaft rechtschaffener Menschen ausgemalt. Auch wenn ich natürlich schon vor der Entführung wusste, dass nicht alle Menschen gut sind. Aber damit, wie böswillig mir manche Leute gegenüber getreten sind, habe ich nicht gerechnet. Da musste ich erst lernen, mich abzugrenzen. Inzwischen gestatte ich mir, einige Menschen zurück zu hassen.

Streit gab es auch in Ihrer Familie, gerade Ihr Vater ging mit seiner eigenen Version in die Öffentlichkeit - im Buch stellen Sie sich jedoch schützend vor ihn.

Ich möchte wirklich nicht schlecht über meinen Vater reden. Er war schon immer ein sehr emotionaler Mensch, der manchmal Dinge tut, ohne die Konsequenzen zu überblicken. Er lässt dann auch nicht mit sich reden, weil er überzeugt ist, das Richtige zu tun.

Haben Sie viel Kontakt zu Menschen, denen ähnliches wiederfahren ist wie Ihnen?

Ich bekomme schon viele Zuschriften. Manche Leute drücken mir nur einfach Ihre Empathie aus, sind sehr respektvoll. Bei manchen bin ich auch überfordert. Sie schreiben mir seitenlang ihre Lebensgeschichte, oft ist das sehr wirr. Da schalte ich manchmal auch eine Psychologin ein, ob es mir gefährlich werden kann. Ich bin schließlich nicht ausgebildet dafür, Menschen mit ernsthaften psychischen Problemen zu helfen.

Wie erging es Ihnen mit Beziehungen außerhalb der Familie?

Am Anfang hatte ich viele Freunde und Bekannte, die älter waren als ich. Mit ihnen hab ich mich gut verstanden. Allerdings gab es einen großen Druck auf mich, Freundschaften mit Gleichaltrigen zu schließen. Viele Menschen wollten mein Wissen und meine Erfahrung nicht sehen. Sie sagten: Du bist doch noch so jung, Du hast doch noch Dein ganzes Leben vor Dir!

Das zu hören fand ich einerseits komisch. Anderseits wollte ich mit Anfang 20 auch gern dem Bild einer jungen Frau entsprechen. Ich wollte andere Jugendliche verstehen, ihre Konsumwelt, ihre seltsamen Einstellungen zu Karriere, Liebe und Beziehungen. Ich wollte auch ein wenig anecken. Ich wollte so kompromisslos sein wie die anderen Jugendlichen. Es hat aber nicht geklappt.

Wie ist das heute?

Ich kann es inzwischen akzeptieren, wie ich bin. Ich bin eben nicht der Typ, der in engen Hosen und T-Shirt Vespa fährt - na und? Einige meiner Freunde sind älter, einige jünger. Warum sollte man sich nur in seinem eigenen Semester bewegen. Aber auch mit den Gleichaltrigen sind die Gespräche leichter geworden. Vielleicht hilft es, dass manche von ihnen inzwischen selbst einige Rückschläge im Leben hinnehmen mussten.

Neulich hatte ich ein Vorgespräch mit einem Journalisten für eine Dokumentation. Da sagte er zu mir: Sie reden wie eine Großmutter! Eine Bekannte von mir war dabei und sagte leichthin: Ach, sie war schon immer so! Das fand ich sehr lustig.

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