Süddeutsche Zeitung

Natascha Kampusch:323 Euro für jeden Tag im Keller

Acht Jahre Gefangenschaft wären vermeidbar gewesen, sagen die Anwälte von Natascha Kampusch und verklagen deshalb die Republik Österreich auf Schadenersatz. Trotz der gravierenden Fahndungspannen der Polizei sind die Erfolgsaussichten sehr gering.

Michael Frank, Wien

Natascha Kampusch, die von 1998 bis 2006 von einem Entführer in einem Kellerverlies gefangen gehalten worden ist, will jetzt Schadenersatz von der Republik Österreich. Die Rechtsvertreter der jungen Frau, die als Zehnjährige gekidnappt worden war, haben bei der zuständigen Finanzprokuratur in Wien ihre Ansprüche gerade noch rechtzeitig vor der Verjährung eingebracht. Demnach fordern sie pro Tag der Gefangenschaft 323 Euro, was sich auf knapp eine Million Euro summieren würde.

Solche Klagen im Rahmen der Amtshaftung des Staates werden sehr selten geführt, weil sie ohne den Nachweis schuldhaften Fehlverhaltens der Behörden keine Aussicht auf Erfolg haben.

Auch in diesem Fall scheint zweifelhaft, ob sich der Beweis führen lässt. Eine Kommission unter dem früheren Verfassungsgerichtshofpräsidenten Ludwig Adamovich hatte immerhin erhebliche Fehler und Fehleinschätzungen bei der Fahndung festgestellt. So hatte ein Hundeführer der Polizei bald nach der Entführung eindeutige Hinweise und ein sehr stimmiges Psychoprofil des Täters Wolfgang Priklopil geliefert, das unbeachtet blieb.

Aufgrund verschiedener anderer Unstimmigkeiten, deretwegen die Fahndungshoheit an auswärtige Polizeibehörden delegiert wurde, geht die Klage jetzt davon aus, dass Natascha Kampusch die Geiselhaft hätte erspart werden können. Die Behörde habe so ein achtjähriges Martyrium verschuldet, für das nun Ausgleich zu leisten sei.

Altverfassungsrichter Adamovich ist zudem davon überzeugt, dass die Einzeltäter-Theorie - Priklopil hat sich am Tag des Entkommens von Natascha vor einen Zug geworfen - nicht zu halten sei. Eine junge Zeugin sprach damals von zwei Entführern. Das Innenministerium als die der Polizei übergeordnete Behörde hat von nun an drei Monate Zeit, auf die Eingabe zu erwidern, bevor offiziell Klage erhoben werden kann.

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SZ vom 02.03.2011/olkl
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