Süddeutsche Zeitung

Nandus:Die netten Jahre sind vorbei

In Mecklenburg-Vorpommern leben Nandus. Für Landwirte wird der südamerikanische Vogel zur Plage. Und Naturschützer fürchten, dass er das biologische Gleichgewicht stören könnte.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Die Karriere der Nandus im norddeutschen Hinterland läuft ganz gut. In den Neunzigerjahren lebten hier noch einzelne Exemplare als exotische Zierlaufvögel auf der Ranch eines Bauunternehmers in Groß Grönau. Dann machten sie sich selbständig, schwammen durch die Wakenitz und lernten im Osten ihre Freiheit zu lieben. Nahrung gab es genug, natürliche Feinde kaum, und sie vermehrten sich so erfolgreich, dass sie heute vor dem deutschen Gesetz als heimische Art gelten. Ihr Ausbreitungsgebiet südlich der A20 erstreckt sich mittlerweile vom Ratzeburger See bis nach Rehna. 2008 streiften noch 40 Nandus durchs Gelände. 2015 waren es 140. Heute sind es 220. Den Nandus geht es gut. Den Menschen und der Mecklenburger Natur mit ihnen auch?

Ausflügler haben ihre Freude daran, wenn die großen Vögel über die ruppigen Wiesen rund um die Dörfer der Gegend stolzieren. Es hat seine eigene Faszination, dass die Nandus sich hier niedergelassen haben, obwohl sie doch eigentlich ins Grasland Argentiniens oder in die brasilianische Dornbuschsavanne gehören. Aber nun reift in Nordwestmecklenburg allmählich die Erkenntnis, dass es eines Tages doch zu viele Nandus werden könnten. Schon früh befürchtete mancher Naturschützer, dass der Vogel eines Tages das biologische Gleichgewicht stören könnte. Im Winter gab es nun Beschwerden von zwei Bauern, denen Nandu-Herden die Rapsfelder zerstört hatten.

Vergangene Woche hat es deshalb im Zarenthiner Verwaltungsgebäude des Biosphärenreservats Schaalsee-Elbe eine interne Beratung gegeben zwischen Landwirten, Hegegemeinschaft sowie Vertretern des Biosphärenreservats und des Agrarministeriums von Mecklenburg-Vorpommern. Wichtigstes Ergebnis: Noch in diesem Jahr sollen Maßnahmen ergriffen werden, "um die Reproduktion der Nandus zu stoppen", wie eine Sprecherin des Agrarministeriums sagt.

Eiersammeln oder ein begrenzter Abschuss mithilfe einer Ausnahmeregelung des Artenschutzrechts - das könnten solche Maßnahmen sein. Aber welche Maßnahmen die Verantwortlichen genau ergreifen werden, um den geschützten Laufvogel möglichst schonend zurückzudrängen, steht noch nicht fest. Und Frank Philipp von der Arbeitsgruppe Nandu-Monitoring hält überhaupt nichts davon, darüber zu spekulieren, ob die Nandus demnächst bejagt werden dürfen. Schon deshalb nicht, weil der rechtliche Rahmen für eine Jagderlaubnis nicht einfach und nicht so schnell zu schaffen sei, wie er sagt.

Frank Philipp ist seit Jahren damit betraut, für Mecklenburg-Vorpommerns Landesregierung die Nandus zu zählen und erforscht mit seinen Arbeitsgruppe-Kollegen das Leben der Tiere in Deutschland. Zuletzt erst hat er eine Studie auf den Weg gebracht, um besser verstehen zu können, wohin genau die Nandus sich ausbreiten. Die Nandus sind ein Teil seines Lebens geworden, trotzdem möchte er sich nicht als Nandu-Lobbyist verstanden wissen. "Ich kann das nachvollziehen, wenn ein Bauer sagt, 40, 50 Nandus regelmäßig auf meinem Feld finde ich nicht mehr schön", sagt er. Aber er mag auch den Eifer nicht, mit dem sich manche über die Nandus aufregen. Die Tiere hätten noch keinen Landbesitzer in den Ruin getrieben, sagt Frank Philipp. Er will Zahlen und Fakten sammeln, die dem Problem - falls es überhaupt eins gibt - klare Umrisse geben und die so klare Entscheidungen möglich machen. "Ich sehe meine Aufgabe darin, die Debatte zu versachlichen", sagt er.

Der richtige Umgang mit einer Natur, die sich über eine andere Natur gelegt hat, ist nicht leicht, an den Nandus kann man das ganz gut sehen. Sie sind in die Mecklenburger Fauna ohne künstliche Hilfe hineingewachsen. Trotzdem bleiben sie ein Fremdkörper. Sie wirken wie Außerirdische, die sich auf dem falschen Planeten verirrt haben. Und Philipp kann jetzt schon sagen, dass der Trend zu mehr Nandus in Nordwestmecklenburg nicht abbrechen wird, wenn man nichts tut. 80 Küken hatten die deutschen Nandus vergangenes Jahr, diesmal dürften es ähnlich viele werden. Schlimm? Eine Plage? Frank Philipp bleibt betont sachlich. Die Nandus muss der Mensch nicht fürchten. Andere Tiere machen größere Probleme. Frank Philipp sagt: "Nandus als tagaktive Art würde man leichter wieder loswerden als zum Beispiel den Waschbär."

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SZ vom 12.04.2017
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