Xavier Naidoo:"Ich war von Verschwörungserzählungen geblendet"

Xavier Naidoo: Xavier Naidoo bei einem Auftritt 2017: In letzter Zeit fiel der Sänger eher mit wirren Ansichten als mit seiner Musik auf.

Xavier Naidoo bei einem Auftritt 2017: In letzter Zeit fiel der Sänger eher mit wirren Ansichten als mit seiner Musik auf.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)

Der Sänger Xavier Naidoo war tief verstrickt in der Szene der Verschwörungsgläubigen, auch für rechte Ideologien bekundete er jahrelang Sympathie. Nun gibt er sich in einem Video geläutert - wegen Putins Krieg.

Von Bernd Kramer

Was hatte der Sänger Xavier Naidoo nicht alles für einen Quatsch vertreten? Die Erde ist eine Scheibe - Naidoo hielt es offenbar für möglich. Corona ist ein Vorwand, um ungestört von der Öffentlichkeit Kinder aus den Händen pädophiler Elite-Netzwerke zu befreien? Unter Tränen spekulierte der Musiker über ein solches haarsträubendes Geheimmanöver. Noch im November fantasierte Naidoo in seinem Telegram-Kanal, der wahre Zweck der Corona-Impfung könne darin bestehen, Menschen in Zombies zu verwandeln und eine Apokalypse auszulösen.

Keine Verschwörungserzählung der vergangenen Jahre schien zu absurd, als dass sie in Naidoo nicht einen heißblütigen Anhänger hätte finden können. In der Szene der Aluhut-Träger avancierte Naidoo so zur prominentesten Vorzeigefigur, die auch die Nähe zur rechtsextremen Reichsbürgerszene nicht scheute. Spätestens da konnte man über die wirren Thesen des Sängers kaum einfach mit einem Kopfschütteln hinweggehen. So unsinnig solches Gedankengut wirkt, so gefährlich kann es auch sein, wenn ein Mann mit immer noch großer Fanbasis es unters Volk bringt.

Und nun diese Wende: In einem knapp dreiminütigen Video, das Naidoo auf Youtube stellte, präsentiert er sich als Geläuterten, als einen, der den radikalen Bruch mit seiner Vergangenheit vollzieht. "Mir wurde bewusst, dass ich meine Familie, meine Freunde, meine Fans, Menschen, die mich verteidigt haben, aber auch viele andere Menschen mit verstörenden Äußerungen irritiert und provoziert habe, für die ich mich entschuldigen möchte."

Was genau bereut er und was nicht? Der Sänger bleibt vage

Naidoo spricht aufgeräumt, es scheint ihm durchaus ernst zu sein, die Reue wirkt aufrichtig - auch wenn sein Statement in vielen Punkten vage bleibt und den Betrachter eher mit Fragen als mit Antworten zurücklässt. Was genau hält Naidoo inzwischen für falsch? Und was womöglich auch nicht? Vielleicht ist aber schlicht auch die Fülle des Abstrusen und Gefährlichen, das Naidoo in der Vergangenheit vertreten hat, zu groß geworden, um Aufräumarbeit in allen Details zu leisten. Nicht jetzt, nicht heute. Vielleicht kann ein Drei-Minuten-Clip da nur ein Anfang sein.

Naidoo spricht davon, stets nach Wahrheiten gesucht, sich dabei aber "verrannt" zu haben, was er "leider jetzt erst erkannt" habe. Welche Wahrheiten, welche Irrwege bleibt unausgesprochen, aber dafür benennt er umso klarer beim Namen, wie man viele seiner Positionen bezeichnen muss: "Ich war von Verschwörungserzählungen geblendet und habe sie nicht genug hinterfragt", sagt er, fast wie in einer Beichte. Vor allem von extrem rechten Positionen wolle er sich ausdrücklich distanzieren.

Beobachter hatten Naidoo schon früh in die radikale Schwurblerszene abdriften sehen. 1998 soll er in einer Live-Sendung beim Musiksender MTV die Rechtmäßigkeit der damaligen Bundestagswahl in Frage gestellt haben, ein beliebtes Motiv der selbsternannten Reichsbürger, die Deutschland nicht für einen souveränen Staat halten. Ein Jahr später bezeichnete Naidoo sich in einem bizarren Interview als Rassisten, aber "ohne Ansehen der Hautfarbe".

Der breiten Öffentlichkeit fiel er damals eher noch als Soulsänger mit Hang zu spirituellen Texten und vielleicht etwas zu großer Begeisterung für Jesus Christus auf. Wirklich gewandelt hat sich das Bild wohl erst mit einem Auftritt auf einer rechtsextremen Reichsbürger-Demo im Jahr 2014 in Berlin, bei der Naidoo offenbar spontan das Mikro ergriff und erklärte, Deutschland für ein immer noch besetztes Land zu halten. Seither wurden Naidoos öffentlich vernehmbare Thesen eher wirrer denn vernünftiger.

Naidoos Frau stammt aus der Ukraine

Wie kam es nun zu dem plötzlichen Sinneswandel? Naidoo erklärt ihn in seinem Statement mit dem Krieg in der Ukraine. Die Szene der Schwurbler und rechter Verschwörungsanhänger fiel in der Vergangenheit immer wieder durch ihre Nähe zu Putin auf. Eine Reichsbürger-Familie aus Mecklenburg-Vorpommern etwa hatte vor ein paar Jahren Asyl in Russland gesucht. Und Corona-Leugner wie der Ex-Schlager-Sänger Michael Wendler äußern in ihren Telegram-Kanal inzwischen Sympathie für den Machthaber in Moskau.

Selbst Naidoo hatte offenbar noch Mitte März in seinem Telegram-Kanal eine Kreml-Propaganda geteilt mit den Worten: "Die russische Polizei hat gerade ein wunderbares Video veröffentlicht!" In dem Clip formieren sich Polizisten zu triumphaler Musik zu einem Z, dem Symbol für den russischen Angriffskrieg.

Seine Frau, erklärt Naidoo nun, stamme aus der Ukraine. Nach dem russischen Überfall habe er Familienangehörige aus dem Land holen und sich vielen kritischen Fragen von Betroffenen zu seiner Haltung in der Vergangenheit stellen müssen, für die er nun aber dankbar sei. Welche Fragen genau, auch das bleibt offen.

Naidoo jedenfalls scheint zu ahnen, welche Welle sein Reue-Video auslösen dürfte - bei denen, die Erklärungen verlangen, die seinen Wandel verstehen und nachvollziehen möchten. Aber auch unter seinen vielen Anhängern aus der Szene, bei denen die Bekehrung wohl nicht auf Verständnis stoßen wird. Die Kommentarfunktion unter seinem Youtube-Video hat er jedenfalls deaktiviert.

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