"Nahe an der Kernschmelze":Atompanne - Schuld ist ein deutsches Teil

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Vier der zehn Kraftwerke Schwedens müssen nach einem ernsten Zwischenfall vom Netz - nun wird der Strom teurer.

Gunnar Herrmann

Der größte deutsche Energiekonzern Eon hat wegen möglicher Sicherheitsrisiken zwei seiner Atomreaktoren in der schwedischen Stadt Oskarshamn vom Netz genommen. Es gebe Bedenken wegen der Reserve-Generatoren der Kraftwerke, teilte die Tochter OKG des deutschen Stromkonzerns mit.

In der vorigen Woche hatte es einen Zwischenfall in einem Reaktor des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall in Forsmark gegeben. Die Kraftwerke Forsmark und Ringhals wurden danach vom Netz genommen.

Die OKG teilte mit, die beiden eigenen Reaktoren hätten dasselbe System an Reserve-Generatoren wie der Reaktor in Forsmark. Der dritte OKG-Reaktor in Oskarshamn sei dagegen sicher.

Der Produktionsstopp in vier der zehn schwedischen Reaktoren kostet die Energieunternehmen Schätzungen zufolge 1,6 Millionen Euro pro Tag, der Strompreis in Schweden stieg im Schnitt um 2,5 Prozent an.

Der Zwischenfall in Forsmark ereignete sich am 25. Juli. Bei einer Wartungspanne war ein Reaktor von der Stromversorgung getrennt worden. Für solche Fälle stehen vier Dieselgeneratoren bereit, die das Sicherheitssystem mit Strom versorgen sollen, um zum Beispiel die Kühlung zu gewährleisten.

Aber nur zwei der Generatoren sprangen wie vorgesehen automatisch an, die anderen wurden durch einen Kurzschluss lahm gelegt und mussten von den Mitarbeitern manuell in Betrieb gesetzt werden.

In der Zeitung Svenska Dagbladet kommentierte der frühere Konstruktionschef des Kraftwerks die Panne mit den Worten: "Das ist so nahe, wie man an eine Kernschmelze kommen kann."

"Beinahe-Katastrophe"

Atomkritiker sprachen von einer Beinahe-Katastrophe. Die Betreiber teilten dagegen mit, die Gefahr einer Kernschmelze habe zu keiner Zeit bestanden, da die Sicherheit des Systems auch mit nur zwei Generatoren gewährleistet sei.

Die Panne in Forsmark war allerdings so schwerwiegend, dass Eon vorsorglich zwei Reaktoren in Oskarshamn abschaltete, in denen das gleiche Bauteil verwendet wird. Anders Markgren, Sprecher des Kraftwerks Forsmark, sagte, das Bauteil stamme aus Deutschland.

Den Hersteller wollte er nicht nennen. Einem Zeitungsbericht zufolge hatte es einen ähnlichen Vorfall in den neunziger Jahren im deutschen Kraftwerk Phillipsburg gegeben.

Schwedens Atomenergiebehörde eruiert nun, ob es Schwächen im internationalen Warnsystem gibt. Umweltministerin Lena Sommestad plant nun eine Sicherheitsprüfung aller schwedischen Atomreaktoren.

Nachdem in den achtziger Jahren bei einer Volksabstimmung der Atomausstieg beschlossen wurde, hat Schweden mehrere Reaktoren stillgelegt, die verbliebenen aber aufgerüstet, sodass heute mehr Kernenergie produziert wird als zuvor.

Umfragen deuten auf eine wieder wachsende Unterstützung für die Atomkraft hin. Die Sozialdemokraten, deren Minderheitsregierung von Umweltpartei und Linkspartei gestützt wird, halten am Ausstieg fest. Die bürgerlichen Parteien wollen nach einem Wahlsieg am 17. September an der Kernenergie festhalten.

© SZ vom 4.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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