Nachbarschaftsstreit in Neukölln:Dreimal zugestochen, aus Notwehr?

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Im Berliner Stadtteil Neukölln eskaliert am Sonntag ein Fußballspiel der Kreisliga. Am Abend liegt ein Streetworker erstochen auf dem Gehweg. Notwehr, sagt die Staatsanwaltschaft. Wie genau es dazu kam, ist völlig offen: Gab es Streit zwischen Deutschen und Zugewanderten? Verlor der junge Mann die Nerven?

Constanze von Bullion, Berlin

Wenn es so war, wie es gewesen sein soll, liegt am Ende ein junger Streetworker tot auf der Straße. Ein vorbestrafter Familienvater hat ihm ein Küchenmesser in die Brust gerammt, dreimal soll er zugestoßen haben. In Notwehr, sagt die Staatsanwaltschaft und schickt den Mann nach Hause. Verkehrte Welt? Nicht ganz. Aber eine Geschichte, die Fragen aufwirft.

Ein Streit beim Fußballspiel der Kreisliga eskalierte und am Ende lag ein 18-jähriger Streetworker tot auf einem Gehweg in Neukölln. Wie genau es dazu kam, ist völlig unklar. (Foto: dpa)

Sie beginnt am Sonntagnachmittag auf einem Fußballplatz in Berlin-Neukölln. Die Gegend ist ärmlich, aber nicht vergessen, es gibt hier engagierte Quartiersmanager und Schulen, die sich hartnäckig gegen den Bildungsnotstand stemmen. Es gibt eine frisch gestrichene Neubausiedlung für Familien aus allen möglichen Nationen und einen Fußballplatz, auf dem am Sonntag die Kreisliga spielt. Wie immer, wenn mal was los ist im Kiez, gucken Leute vom Feldrand aus zu, und wie oft in der Kreisliga gibt es Ärger. Angeblich ein Fehlpass, so genau weiß das keiner, dann eine Beschimpfung, gekränkte Ehre, üble Fouls. Der Zorn soll auf die Zuschauer übergesprungen sein - möglicherweise auch auf Sven N.

Sven N. ist 34 Jahre alt und kein Unbekannter bei der Polizei, 2005 wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Er soll sich inzwischen aber auch in einem Elternprojekt engagieren. Am Ende des Tages wird er auf der Polizeiwache sitzen, im Verhör und mit Schädelbasisbruch.

Wenn stimmt, was Sven N. erzählt, wollte er den Streit auf dem Bolzplatz schlichten. Ein Sohn seines Freundes Oliver H. soll mitgespielt haben. Und dann? Rotteten sich laut Staatsanwaltschaft die Streithähne gegen die Schlichter zusammen. Hieß das Spiel jetzt Deutsche gegen Zugewanderte? Verlor Sven N. die Nerven? Jedenfalls soll er mit Oliver H. geflüchtet sein, unter Drohungen.

Was dann kam, heißt flash mob, per Handy sollen sich etwa 20 Leute verabredet haben. Ein Passant sah junge Männer aus türkischen und libanesischen Familien mit Messern und Knüppeln zu dem Haus laufen, in das Sven N. und Oliver H. geflohen waren. Steine seien geflogen, sagten Nachbarn. Drinnen machte sich Oliver H. durch die Hintertür davon. Sven N. blieb, rief erst viel später die Polizei. Warum? "Ich bin Neuköllner, für mich sind Araber und Türken kein Problem", soll er der Polizei erklärt haben. Wollte er mit den Leuten allein fertig werden, es ihnen zeigen? Ein Freund stieß zu ihm, mit einer Machete bewaffnet. Bloß nicht rausgehen, soll er geraten haben. Sven N. aber geht raus, um zu reden, sagte er. Dazu nimmt er ein Küchenmesser und einen Hammer mit.

Ein Zeuge sieht, wie drei Belagerer Sven N. beiseite nehmen und auf ihn einschlagen. Sven N. sagt, als sie über ihm waren, habe er um sich gestochen. Er trifft Jusef El-A., 18 Jahre alt und beim Quartiersmanagement als Streitschlichter engagiert. Hat er mitgemischt? Sich dazwischengestellt? Sven N. sticht dreimal zu, trifft den Oberarm und die Brust. Eine Tötungsabsicht sieht die Staatsanwaltschaft nicht, sie geht von Notwehr aus, die Tat sei "strafrechtlich gerechtfertigt". Jusef El-A. ist tot, Sven N. mit einem Schädelbruch im Krankenhaus. Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter. Es gebe da einige Ungereimtheiten, heißt es.

© SZ vom 08.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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