Süddeutsche Zeitung

Nach Unfall:Zu späte Rettung - BGH konkretisiert Bademeister-Pflichten

  • Eltern haben einen Schwimmbadbetreiber auf Schadenersatz verklagt, weil ihre verunglückte Tochter zu spät gerettet wurde.
  • Das Mädchen ist seit dem Unfall schwerstbehindert.
  • Der Bundesgerichtshof (BGH) hat den Eltern recht gegeben, ob sie wirklich Geld bekommen, muss aber weiter verhandelt werden.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es ging um drei Minuten, das ist eine Ewigkeit in einer solchen Situation. Im Schwimmbad hatte sich eine Boje abgesenkt, das kann für einen Bademeister ein Alarmsignal sein, vor allem, wenn das trübe Wasser keinen Blick unter die Wasseroberfläche erlaubt. Aber die beiden Aufsichtspersonen im Naturschwimmbad Linderhohl im rheinland-pfälzischen Höhr-Grenzhausen ließen sich Zeit. Erst fragten sie zwei Kinder, ob sie das Befestigungsseil verknotet hätten. Dann schickten sie einen Jungen zur Boje, der dort aber nur "etwas Glitschiges" feststellen konnte. Schließlich holte einer der Bademeister seine Schwimmbrille aus dem Gerätehaus, schwamm zur Boje und fand: ein lebloses Mädchen, dessen Arm sich im Bojenseil verknotet hatte. Das zwölfjährige Kind überlebte mit knapper Not, wird aber wegen irreparabler Hirnschädigungen sein Leben lang schwerstbehindert bleiben.

Das war im Juli 2010, seither kämpfen die Eltern im Namen des Kindes mit der Gemeinde um Schadenersatz in Millionenhöhe. Um mindestens drei Minuten habe sich die Rettung verzögert, hatten Land- und Oberlandesgericht Koblenz festgestellt, dennoch hatten die Richter die Klage abgewiesen. Doch nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) den Eltern recht gegeben. Bevor wirklich Geld fließt, muss das Oberlandesgericht den Fall zwar erneut prüfen, doch schon jetzt ist klar: Es ist ein Grundsatzurteil, das den Druck auf die Schwimmbadbetreiber enorm erhöhen wird.

Erstens hat der BGH noch einmal die Pflichten des Badebetriebs ausbuchstabiert: Auch wenn eine lückenlose Beobachtung jedes Schwimmers nicht möglich sei, müsse der gesamte Badebereich "fortlaufend" und "regelmäßig" überwacht werden, und zwar von einer Position aus, von der das Areal zu überblicken sei. Oder der Bademeister müsse eben häufig seinen Standort wechseln.

Hätte der Mann drei Minuten früher reagiert, wäre das Mädchen laut Richtern gesund

Zweitens, und das ist viel wichtiger: Ist dem Bademeister "grobe Fahrlässigkeit" vorzuwerfen - wofür hier angesichts der Gemächlichkeit der Rettungsaktion einiges spricht -, dann muss ein Kläger nicht auch noch den Nachweis führen, dass ein aufmerksamer Bademeister die schweren Gesundheitsschäden vermieden hätte. Dass also die Tochter noch gesund wäre, hätte der Bademeister die fatalen drei Minuten früher eingegriffen.

Ein solcher Nachweis ist oft nicht möglich, und daran war die Klage vor den Koblenzer Gerichten dann auch gescheitert. Der BGH dagegen gewährt den Klägern in solchen Fällen nun erstmals eine sogenannte Beweislastumkehr, ähnlich wie bei der Arzthaftung. Danach entkommt der Schwimmbadbetreiber nur dann der Haftung, wenn er seinerseits beweisen kann, dass das Unglück auch durch eine pflichtbewusste Aufsicht nicht abwendbar war. Gelingt ihm das nicht, dann muss er zahlen.

Dass es hier um Millionen gehen kann, zeigt der konkrete Fall. Die Klage beläuft sich auf mindestens 500 000 Euro Schmerzensgeld plus einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 650 Euro; weitere Schäden, wie die lebenslange Erwerbsunfähigkeit, noch gar nicht mitgerechnet. Ein beträchtliches Haftungsrisiko also - das die Aufmerksamkeit im Bademeisterwesen schärfen dürfte.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3769306
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.11.2017/eca
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.