Nach tödlicher Prügelattacke:Berlin fürchtet um Sicherheit

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Tödliche Tritte auf den Kopf, Schüsse im Dunkeln, Überfall auf einen Behinderten: Berlin leidet unter einer Welle der Gewalt. Die Polizei spricht von einem bösen Zufall, setzt aber 15.000 Euro Belohnung aus. Die Menschen in Berlin machen sich Sorgen. Wie sicher ist es in der Hauptstadt noch?

Constanze von Bullion, Berlin

Manchmal ist es, als hätte sich Gleichmut über die Stadt gelegt wie eine dicke, irgendwie schützende Decke. Sie bewahrt die Stadtbewohner vor allzu schrillen Tönen und auch davor, sich Sorgen zu machen. Um ihre Kinder, die jungen Leute nachts auf den Straßen, auch Sorgen womöglich um die eigene Haut. Berlin, das ist immer noch eine der sichersten Hauptstädte Europas. Sagt die Kriminalstatistik. Auch nachts kann man sich ohne Angst durch die Straßen bewegen. Sagen Leute, die das ständig tun.

Und jetzt? Ist Jonny K. aus Berlin-Spandau tot. Er war erst 20 Jahre alt, und nach allem, was bisher bekannt ist, haben sieben Leute ihn nach dem Besuch eines Clubs am Alexanderplatz den Schädel eingetreten.

Ein anderer Berliner, er ist 23 Jahre alt, ist eine Woche vorher, auch am Alexanderplatz, beim Verlassen des S-Bahnhofs von zwei Männern angepöbelt worden. Einer der beiden zieht eine Waffe und schießt. Der verletzte Mann wird mit einem Leistendurchschuss notoperiert. Einen Tag davor verlässt ein 22-Jähriger mit Freunden eine Party im Stadtteil Schöneberg. An einer Ecke kommt es zu einem Streit mit einem fremden Mann. Der schießt erst in die Luft und dann in die Gruppe. Die Kugel trifft den 22-Jährigen in den Bauch. Er überlebt nur knapp. Eine Woche zuvor verprügeln Fußballfans am S-Bahnhof Olympiastadion einen Hertha-Fan mit Down-Syndrom. Er geht zu Boden, da binden sie ihn mit seinem Fanschal an ein Geländer. Keiner hilft. Später wird er halb erstickt gefunden.

Wenn es auf dem Alexanderplatz dunkel wird

Und jetzt? Reicht es Berlin mal wieder. Die Stadt ist hochgeschreckt, so als habe jemand ihr die Decke weggezogen. Was ist eigentlich mit unseren jungen Leuten los?, fragen sich die Menschen. Und wo bleibt die Sicherheit an Bahnhöfen und unwirtlichen Orten wie dem Alexanderplatz, der nachts menschenleer ist, ein Niemandsland ohne Gesicht, auf dem viel Beton am Fernsehturm steht und am Wochenende zum "Pub Crawling" eingeladen wird, zum organisierten Trinkgelage.

Nein, heißt es bei der Berliner Polizei, am Alexanderplatz liegt es nicht. Auch nicht an der Hauptstadtjugend an sich. Dort ist die Gruppengewalt um 20 Prozent zurückgegangen, die Zahl der Körperverletzungen um 14,5 Prozent. Das hat nicht nur, aber auch demografische Gründe, die Zahl der jungen Leute selbst schwindet. Aber auch bei erwachsenen Straftätern lässt sich in Berlin kein nennenswerter Anstieg der Rohheitsdelikte feststellen.

Also alles nur Zufall? Ein böser Zufall, sagt die Polizei. Eine Folge von Deklassierung, sagt der Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer: "Die zunehmende soziale Ungleichheit zersetzt die Gesellschaft." Berlins Innensenator Frank Henkel spricht von "Verrohung und Gefühlskälte", die Täter sollen "so schnell wie möglich" gefasst werden. Davon aber kann noch keine Rede sein.

Bei keinem der jüngsten Gewaltexzesse kennt die Polizei die Täter. Mal wird nach einem mit "hellem Haar" gesucht, mal nach einem Blonden "mit leichten Geheimratsecken". Im Fall von Johnny K., der am Alexanderplatz starb, sind "Südländer, womöglich türkischer Herkunft" verdächtig, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Eine Spur führt da zum "Cancun", einem Lokal beim Roten Rathaus, in dem in der Mordnacht der türkische Musiker und Superstar Murat Boz eine After-Show-Party gibt. Gegen 4 Uhr früh leert sich der Laden, etwa zur gleichen Zeit kommt Jonny K. mit Freunden aus einer Bar. Jonny K. hat eine thailändische Mutter und einen deutschen Vater, ein anderer soll aus einer vietnamesischen Familie stammen.

Polizei setzt 15.000 Euro Belohnung aus

Inwiefern Aussehen und Ethnien eine Rolle spielen bei der Explosion von Aggression, die dann folgt, ist unklar. Ein Freund von Jonny K. jedenfalls ist so betrunken, dass er kaum laufen kann. Jonny K. soll nüchtern gewesen sein und einen Stuhl geholt haben, als ein paar Männer aufgetaucht seien. Nach Zeugenaussagen sahen sie "südländisch" aus, einer "mit einem schmalen, akkuraten Bart", so die Polizei. Möglicherweise Gäste des "Cancun". Die ersten sollen den Stuhl unter dem Betrunkenen weggetreten haben. Jonny K. habe "sich beschwert", so ein Polizeisprecher. Da sollen sieben Leute auf ihn losgegangen sein - und ihn gegen den Kopf getreten haben, als er schon am Boden lag. Jonny K. starb an Blutungen im Gehirn.

Vier Zeugen haben sich bisher in dem Mordfall gemeldet, ein Nachbar und Gäste des "Cancun". Weil von dort Hunderte auf dem Heimweg waren, hat die Staatsanwaltschaft bis zu 15.000 Euro Belohnung ausgesetzt. Von den Tätern fehlt jede Spur.

© SZ vom 17.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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