Süddeutsche Zeitung

Nach Freispruch:Kachelmann rechnet ab

Kachelmann ist frei, doch die Debatte reißt nicht ab. Unionspolitiker fordern, die Berichterstattung bei Vergewaltigungsprozessen einzuschränken. Auch der Moderator hat sich nun erstmals zu Wort gemeldet - via Twitter greift er einzelne Medien an.

Mit dem Freispruch von Jörg Kachelmann ist am Dienstag einer der spektakulärsten Prozesse der vergangenen Jahre zu Ende gegangen. Die Diskussion geht indes weiter. Nun soll sich auch Moderator Jörg Kachelmann selbst erstmals via Twitter zu Wort gemeldet - und über die Berichterstattung geklagt haben.

J_Kachelmann, der ansonsten Wettermeldungen verbreitet, schreibt am Dienstag: "In der super illu, einem der traurigen gewaechse aus den elendsvierteln des deutschen journalismus von hubert burda steht wohl, dass ich heute mit etwas sehr brisantem in die oeffentlichkeit gehen wuerde." Die "brisante Nachricht" des Wettermoderators folgt wenig später: "die kaltfront ist unterwegs und morgen ist es in weiten teilen deutschlands viel kaelter." Aber auch gegen den Focus und die Bunte wettert J_Kachelmann: "Ok. Focus luegt, bunte luegt", heißt es.

Bereits vier Wochen nach Kachelmanns Verhaftung war die Illustrierte Bunte mit einer großen Enthüllungsgeschichte mit dem Titel "Jetzt spricht die Ex-Freundin" und einem Titelfoto der Frau erschienen. Im Prozess kam heraus, dass die Ex-Freundin dafür 50.000 Euro bekommen haben soll. Vor Gericht warf Kachelmanns Verteidiger Johann Schwenn dem Burda-Verlag vor, Zeuginnen beeinflusst zu haben.

Bei J_Kachelmann kommt allerdings auch die Bild nicht gut weg: Der Kommentar "Wir wollen über Hubert Burdas Schergen nicht die ewig eklig blubbernden Mediensümpfe unter Friede Springer vergessen" ist mit einer Gegendarstellung verlinkt. Der von Kachelmann gegründete Wetterdienst Meteomedia bestätigte auf Anfrage von sueddeutsche.de, dass der Twitter-Account von dem Moderator betrieben wird.

Das Landgericht Mannheim hatte Kachelmann am Dienstag vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. Es gebe keine "tragfähigen Beweise", dass der 52-Jährige im Februar 2010 eine Freundin mit einem Messer bedroht und vergewaltigt habe, sagte Richter Michael Seidling. Es gelte deshalb der Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten". Auch Seidling hatte in der Urteilsbegründung Kritik an den Medien geübt. Sie hätten im Fall Kachelmann nicht nur "Stimmungen" erzeugt, sondern auch die Persönlichkeitsrechte der Nebenklägerin und des Angeklagten "in nicht gerechtfertigter Weise" verletzt.

Union will Berichterstattung über Vergewaltigungsprozesse einschränken

Rechtsexperten der Union wollen nun die Berichterstattung über Vergewaltigungsprozesse beschränken. Der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Siegfried Kauder (CDU): "Es darf nicht sein, dass die Intimsphäre der Betroffenen bis in den letzten Winkel in aller Öffentlichkeit ausgebreitet wird."

Die Tendenz, Verfahren wegen Vergewaltigung medial rücksichtslos auszuschlachten, entmutige Opfer sexueller Gewalt, sich an die Behörden zu wenden. Es wäre aber fatal, wenn die ohnehin geringe Anzeigebereitschaft der Betroffenen weiter abnehme, warnte Kauder.

Die Medien müssten verpflichtet werden, nicht über Aussagen zu berichten, die vor Gericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit gemacht würden. "Was hilft es dem Opfer einer Vergewaltigung, dass es sich hinter verschlossenen Türen dem Gericht anvertrauen kann, wenn sämtliche Aussagedetails später doch in der Zeitung stehen?", sagte Kauder.

Er schlug vor, strengere Auflagen für die Berichterstattung über Sexualdelikte notfalls gesetzlich zu regeln, "soweit die Medien sich nicht zu einer überzeugenden Selbstverpflichtung bereit erklären". Weiter dringt Kauder darauf, Schutzlücken in der Strafprozessordnung zu schließen. "Zeugenaussagen, die nicht öffentlich gemacht werden, sind während des gesamten Prozesses besonders zu schützen." So müssten auch Schlussplädoyers und Urteilsbegründung ohne Zuschauer erfolgen, soweit nichtöffentliche Aussagen darin wiedergegeben würden, forderte der CDU-Politiker.

Auch CSU-Rechtsexperte Norbert Geis forderte einen "Ehrenkodex, mit dem sich die Branche verpflichtet, weitaus zurückhaltender über Prozesse wegen sexueller Gewalt zu berichten". Grundsätzlich sei die Öffentlichkeit des Strafprozesses eine Errungenschaft, "die Berichterstattung darf aber nicht so weit führen, dass die Betroffenen dadurch an den Pranger gestellt und vorverurteilt werden", sagte Geis

Dagegen sagte der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz, die Medien seien in dem Mannheimer Prozess "bedient und instrumentalisiert worden". "Gericht, Staatsanwaltschaft, Verteidiger - alle wollten den Medienprozess" Jetzt gebe es nur Verlierer und Opfer. "Dieser Prozess wird als negatives Lehrstück in die deutsche Justizgeschichte eingehen."

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