Nach der Katastrophe:Nur sechs Hubschrauber

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Die nepalesische Regierung spricht inzwischen von 3900 Toten - mindestens. Weil das Land kaum eigene Mittel hat, ist es auf fremde Hilfe angewiesen.

Von Lena Jakat, Stefan Mayr und Marten Rolff, München

Es ist das schlimmste Beben in der Region seit mehr als 80 Jahren, und die weltweite Hilfsbereitschaft wirkt beachtlich: Keine 48 Stunden nach den verheerenden Erdstößen in Nepal am vergangenen Samstagmittag hatte die Asiatische Entwicklungsbank dem Himalaja-Staat 200 Millionen Dollar für den Wiederaufbau versprochen sowie Zelte, Medikamente und Nahrung. Auch die Europäische Union hatte drei Millionen Euro Soforthilfe angekündigt, Italiens Bischofskonferenz hat denselben Betrag gesammelt - um nur einige zu nennen. Indien sandte umgehend 400 Tonnen Hilfsmaterial, das Deutsche Rote Kreuz schickte einen Hilfsflug ins Krisengebiet, ebensop Spaniens Außenministerium. Allein: Es schien bis Montag für die Helfer schwierig bis unmöglich zu sein, die vielen Betroffenen überhaupt zu erreichen.

150 Deutsche seien seit dem Beben vermisst, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Internetausgabe.

Schon bis Sonntag hatte es mehr als 60 Nachbeben gegeben, der ohnehin völlig überlastete Flughafen von Nepals Hauptstadt Kathmandu musste deshalb immer wieder geschlossen werden, einige Maschinen mit Hilfsgütern mussten abdrehen. Der Nepal-Länderkoordinator von Caritas International, Peter Seidel, bezeichnete Kathmandu am Montag im ZDF als "Mausefalle, das riesige Tal ist von außen nur sehr schwer zu versorgen".

Der Dharahara-Turm, ein Wahrzeichen Kathmandus, stand seit 1832, er war 62 Meter hoch. Nun ist nur noch ein Stumpen übrig. (Foto: Narendra Shrestha/dpa)

Behindert werden die Rettungsarbeiten auch durch die zerstörte Infrastruktur. Der Boden des Tals ist extrem weich, was die Übertragung des Bebens der Stärke 7,8 auf der Richterskala begünstigt hatte. Laut Augenzeugen hatten sich auf den Straßen gigantische Risse "wie Schlunde" aufgetan, viele Zufahrtswege sind unpassierbar, Brücken zerstört, vielerorts drohen Nachbeben und Erdrutsche. "Die meisten alten Gebäude, darunter die historischen Stätten, sind eingestürzt. Sogar die neuen Gebäude haben Risse. Es wirkt so, als könnte nur ein weiteres Erdbeben alles endgültig zum Einsturz bringen", beschrieb ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation Care der SZ die Situation vor Ort. "Die Leute haben furchtbare Angst. Sie sind alle im Freien. Es hat geregnet. Sie haben seit zwei Tagen nicht geschlafen." Die öffentlichen Plätze in Kathmandu glichen Zeltstädten. Das betroffene Gebiet ist mit 6,6 Millionen Einwohnern das am dichtesten besiedelte des Landes.

Der Flughafen ist überlastet, eine Hilfsmaschine aus Indien musste umdrehen

Nepals früherer Premierminister Baburam Bhattarai flog zum Epizentrum des Bebens in seine Heimatregion Gorkha, 80 Kilometer von Kathmandu entfernt. Zu einem Bild, das ein komplett zerstörtes Dorf an einem Hang zeigt, schrieb er auf Twitter: "Noch keine Rettungs- und Hilfsaktionen in entlegenen Bergdörfern! Sendet sofort kleine Helikopter mit Hilfsgütern." Entscheidend sei, dass die Hilfe die Betroffenen in den ersten drei Tagen erreiche, sagte Tankred Stöbe, Präsident von Ärzte ohne Grenzen Deutschland, am Montag in Berlin. Anschließend sinke die Überlebenschance für Verschüttete rapide, "es ist ein Wettlauf gegen die Zeit".

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(Foto: Wally Santana/AP)

Zerstörte Hauptstadt: Weite Teile Kathmandus haben sich in eine Trümmerwüste verwandelt, mehrere zehntausend Menschen haben ihre Häuser verloren.

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(Foto: Niranjan Shrestha/AP)

In Schutt und Asche: In den Trümmern der eingestürzten Häuser suchen Rettungskräfte nach Opfern, im Hintergrund steigt Qualm empor.

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(Foto: Danish Siddiqui/Reuters)

Mit bloßen Händen graben manche Helfer in den Schuttbergen - es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig.

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(Foto: Niranjan Shrestha/AP)

Das Erdbeben hat auch das kulturelle und spirituelle Herz des Landes beschädigt. Einige Tempel stürzten ein - darunter auch der Dharahara-Turm.

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(Foto: Niranjan Shrestha/AP)

Seit 1979 ist das Kathmandutal von der Unesco als Weltkulturerbe eingestuft. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass davon nicht mehr viel übrig bleibt.

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(Foto: Bernat Armangue/AP)

Der Durbar-Platz: Wichtige Hindugötter haben hier ihren Tempel, tausende Gläubige pilgern täglich dorthin. Jetzt liegt er teils in Schutt und Asche.

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(Foto: Navesh Chitrakar/Reuters)

Noch standhaft: Inmitten einer Hausruine ragt eine gelbe Blume hervor, die Zahl der Todesopfer steigt jedoch stündlich weiter.

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(Foto: Prakash Methema/AFP)

Den Überlebenden machen zusätzlich Regenfälle zu schaffen. Viele verbringen die Nächte - auch aus Angst vor Nachbeben - in provisorischen Zeltstädten.

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(Foto: Niranjan Shrestha/dpa)

Viele Menschen sind zurzeit auf Nachbarschaftshilfe angewiesen, auch die weltweite Solidarität ist beachtlich. Doch viele Hilfsgüter kommen nicht an.

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(Foto: Danish Siddiqui/Reuters)

Der internationale Flughafen Nepals war zwar am Montag geöffnet, doch konnten viele Flugzeuge nicht landen und Reisewillige mussten draußen ausharren.

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(Foto: Bernat Armangue/AP)

Paradoxer Hoffnungsschimmer: An einer zerstörten Hauswand hängt ein Porträt von Lakshmi, der hinduistischen Göttin des Glücks und der Liebe.

In Nepal sind die Helfer völlig überlastet, an vielen Stellen graben sie mit bloßen Händen nach Überlebenden. Die Regierung korrigierte die Zahl der Todesopfer bis Montagabend (deutscher Zeit) auf 4010 nach oben, sie rechnet damit, dass bis zu 5000 Menschen umgekommen sind. Die Zahl der Verletzten wurde am Montag mit 7500 angegeben. Viele müssten auf den Straßen versorgt werden, weil die Krankenhäuser überfüllt seien.

Die Regierung rief Nepals Bürger zu Blutspenden auf. Nepal gehört zu den ärmsten Ländern Asiens, es verfügt nur über sechs eigene Hubschrauber, die für die Versorgung derzeit oft das einzig mögliche Verkehrsmittel. Das Stromnetz, die ohnehin schlechte Wasserversorgung und die Telefonverbindungen sind weitgehend zusammengebrochen. "Die Kommunikation ist eine der größten Herausforderungen, weil das Netz sehr instabil ist", sagte Grishma Ray Aryal von Care in Nepal der SZ. Neben der Versorgung der Verletzten und Obdachlosen müsse man die "wegen der vielen Leichen" gefährliche hygienische Situation in den Griff kriegen. Man wisse, dass viele Organisationen Hilfe angekündigt haben, sagte Aryal. "Aber wir haben noch keinen Überblick, wer bereits hier ist."

Bis Montag war es für viele Helfer schwer, das Krisengebiet überhaupt zu erreichen. Indien etwa schickte mehrere dringend benötigte Helikopter; eine Hilfsmaschine der Luftwaffe habe jedoch wegen "Überlastung" des Flughafens in Kathmandu umdrehen müssen, hieß es aus dem Verteidigungsministerium in Delhi.

Auch aus Deutschland sind mehrere Hilfsteams nach Nepal aufgebrochen, darunter je eines des DRK und des Technischen Hilfswerks. Nicht alle erreichten jedoch ihr Ziel. So strandete ein Mediziner-Team der Hilfsorganisation Humedica aus dem schwäbischen Kaufbeuren, das eine Linienmaschine bestiegen hatte, in Neu Delhi. Das Flugzeug sei lange über Kathmandu gekreist und schließlich abgedreht, sagte Humedica-Sprecher Steffen Richter der SZ, "auch weil Militär- und Hilfsgüter-Flüge Vorrang hatten". 58 Helfer der gemeinnützigen Organisation Isar Germany warteten in Neu Delhi ebenfalls auf ihren Flug. Man habe Suchhunde, Medikamente und Hilfsgerät dabei, sagte Isar-Mitglied Stefan Heine. Am Dienstag soll er in Kathmandu landen.

Was ihn erwartet, ist unklar. Er weiß ja noch nicht einmal, wo er sein Quartier aufschlagen kann.

© SZ vom 28.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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