Nach dem Foltermord von Siegburg:Gewalt in der Viererzelle

Der Foltermord in der JVA Siegburg schockierte ganz Deutschland. Zwei Jahre danach werden erneut Vorwürfe gegen die zuständige Justizministerin laut.

Johannes Nitschmann

Zwei Jahre nach dem Foltermord an einem Häftling im Siegburger Jugendgefängnis gerät die nordrhein-westfälische Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) erneut wegen schwerer Misshandlungen von Gefangenen durch Mithäftlinge unter politischen Beschuss.

Siegburg: Gewalt in der Viererzelle, AP

Vergitterte Fenster der JVA Siegburg: Zwei Jahre nachdem der brutale Foltermord Deutschland schockierte, werden Vorwürfe gegen die Justizministerin laut.

(Foto: Foto: AP)

Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Opposition im Düsseldorfer Landtag, Frank Sichau, warf der Ministerin am Montag vor, sie habe "die Folterpraktiken" unter Häftlingen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Gelsenkirchen "vertuschen" wollen. Die Fraktionsvorsitzende der Landtags-Grünen, Sylvia Löhrmann, forderte Müller-Piepenkötter auf, das Parlament rasch darüber zu informieren, "warum sie über die abscheulichen Vorgänge im Gelsenkirchener Gefängnis nichts gesagt oder nichts gewusst" habe.

Alarmiert sind die Parlamentarier durch eine vom Landgericht Essen am 10. Dezember 2008 zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift gegen zwei ehemalige Häftlinge der JVA Gelsenkirchen. Den beiden Angeklagten im Alter von 25 und 26 Jahren wird vorgeworfen, in der Zeit zwischen dem 15. und 31. März 2008 in einer Viererzelle zwei Mithäftlinge körperlich und sexuell misshandelt oder "durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt" zu haben. Insgesamt hat die Staatsanwaltschaft 20 Einzelstraftaten angeklagt. Dabei soll ein 24-jähriger Häftling auch fast zum Selbstmord gezwungen worden sein.

Laut Anklageschrift wurde dem Gefangenen von seinen Zellengenossen ein etwa zwei Meter langes Stromkabel um den Hals gelegt. Der Hauptangeklagte habe den 24-Jährigen aufgefordert, "einen Abschiedsbrief zu schreiben" und "sich am Fenster aufzuhängen", andernfalls werde er "ihm dabei helfen". Nach den Feststellungen der Staatsanwaltschaft befand sich das "weinende und zitternde" Opfer "in panischer Todesangst". Schließlich habe ein Mitgefangener dem Hauptangeklagten die Kabelschlinge entrissen und damit die bedrohliche Situation entschärft.

Das Düsseldorfer Justizministerium bestätigte am Montag, dass es bereits Anfang April 2008 über diese Vorwürfe informiert worden sei. Dem Landtag sei "nichts verschwiegen" worden. Die Vorgänge in der JVA Gelsenkirchen würden als "besondere Vorkommnisse" in einer Jahresauflistung für 2008 an die Vollzugskommission des Landtags gemeldet. Die Opposition versuche, "mutmaßliche Gewaltübergriffe unter Gefangenen zu skandalisieren", erklärte Ministeriums-Sprecher Ulrich Hermanski. Für den Vorwurf, in der JVA Gelsenkirchen sei ein Gefangener fast zu Tode gefoltert worden, gebe es "keinerlei Anhaltspunkte".

Der SPD-Rechtsexperte Sichau nannte die Erklärung des Justizministeriums "perfide". Die Vorgänge in der JVA Gelsenkirchen hätten wegen ihrer Brisanz eine umgehende Unterrichtung des Landtags erfordert. Schließlich sei bei Bekanntwerden dieser Taten noch ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit der Aufklärung des Foltermordes an einem 20-jährigen Häftling im Siegburger Jugendgefängnis beschäftigt gewesen. Bei den Misshandlungen in der JVA Gelsenkirchen habe es sich "eindeutig auch um Folterpraktiken" gehandelt, erklärte Sichau.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: