Nach dem Costa-Concordia-Unglück:US-Anwalt umwirbt deutsche Überlebende

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Schreckliches haben die Überlebenden auf der "Costa Concordia" durchgemacht. 11.000 Euro Entschädigung bietet ihnen die Reederei - wenn sie auf weitere Klagen verzichten. Ein US-Anwalt verspricht den deutschen Überlebenden nun ein Vielfaches. Er möchte gegen den amerikanischen Mutterkonzern vor Gericht ziehen und Entschädigung nach amerikanischem Maßstab erstreiten.

Nicolas Richter

Eben noch haben sie von den letzten Stunden an Bord der Costa Concordia erzählt, der Angst, der überforderten Besatzung, und noch immer liegt Ungläubigkeit in ihren Stimmen, dass ein Kreuzfahrtschiff sinken kann, Ungläubigkeit, es bei allem Chaos doch überlebt zu haben.

Der US-Anwalt John Arthur Eaves wirbt in München um deutsche Kunden: "11.000 Euro sind bloß Peanuts." (Foto: dpa)

Aber an diesem Nachmittag wenigstens wird das beklemmende Erinnern überlagert von einem anderen Gefühl, es klingt kämpferisch und etwas verwegen, die einstigen Costa-Passagiere umschreiben es mit dem Satz: "Wir gehen nach Amerika." Was klingt wie die nächste Unternehmung einer Reisegruppe, ist die Zivilklage der Opfer vor einem Gericht in den Vereinigten Staaten.

Der Bozener Rechtsanwalt Markus Wenter, der die Ex- Concordia-Passagiere aus Deutschland vertritt, wollte ursprünglich vor italienischen Gerichten Entschädigungen erstreiten, weil die Reederei Costa Crociere, der die Concordia gehört, in Genua beheimatet ist.

Vor einem Monat aber stellte sich in Rom der amerikanische Anwalt John Arthur Eaves vor und kündigte an, gegen die britisch-amerikanische Reederei Carnival vorzugehen, den Mutterkonzern von Costa Crociere mit Sitz in Miami. Wenter hatte das Gefühl, er müsse seinen Mandanten diese Option zumindest anbieten. Also brachte er am Wochenende beide Seiten in München zusammen - nicht ohne seinen US-Kollegen vorher zu warnen, die Deutschen seien etwas formalistischer als andere Völker.

Als John Arthur Eaves junior, 45, im "Eden Hotel Wolff" vor gut einem Dutzend Betroffenen sitzt, gelingt es ihm relativ schnell, die Skepsis zu zerstreuen. Wie Anwesende aus der Sitzung berichten, weist Eaves darauf hin, dass er die weite Reise nicht auf sich genommen hätte, wenn er sich nicht einen Erfolg ausrechne: "Ich investiere viel Zeit in diesen Fall, und die ist sehr kostbar, denn ich habe zu Hause eine wunderschöne Frau und fünf Kinder."

Geduld soll sich lohnen - Eaves stellt Summen in Aussicht, wie man sie in Europa nicht kennt

Die Reederei Costa Crociere hat jedem Passagier, der unverletzt von Bord gekommen ist, pauschal 11.000 Euro angeboten, freilich unter der Bedingung, dass jede Klage unterbleibt. Einige der Schiffbrüchigen haben dies angenommen, manche auch aus Angst, am Ende gar nichts zu bekommen. Wenter und Eames versuchen deswegen erstmal die Dringlichkeit aus der Sache zu nehmen. Falls eine Klage in den USA scheitere, könne man sich dann in Italien noch immer an Costa Crociere halten, sagt Wenter; diese Ansprüche verjährten nicht, man müsse sie jetzt bloß im Grundsatz mal anmelden.

Geduld soll sich jedenfalls lohnen, denn Eaves stellt Summen in Aussicht, wie man sie in Europa nicht kennt. Für die bloße Anwesenheit an Bord der Concordia sollen 100.000 Dollar drin sein. Bei psychischen Spätschäden, die sich auch körperlich niederschlagen, wie etwa in Schweißausbrüchen, Ticks oder Hautausschlägen, könnten es 300.000 bis 700.000 sein. Bei Todesfällen könne man für die Angehörigen je nach Fall zwei bis fünf Millionen Dollar erstreiten.

Eaves sagt, er habe keinen Zweifel daran, dass amerikanische Gerichte für den Fall zuständig seien. Der Sitz Carnivals liege in Miami, und ein Amerikaner habe das Unglücksschiff entworfen. Nach dem amerikanischen Recht der unerlaubten Handlungen ("tort law") sei es unerheblich, dass die Passagiere keinen Vertrag mit Carnival geschlossen hätten, sondern mit Costa Crociere. Entscheidend sei, dass mögliche Versäumnisse Carnivals einen Schaden verursacht hätten.

Dazu könne gehören, dass die US-Reederei einerseits mit ihren hohen Sicherheitsstandards geworben, es andererseits aber zugelassen habe, dass Concordia-Kapitän Francesco Schettino regelmäßig zu nah an der Küste gefahren sei. Oder der Umstand, dass die Mannschaft für Krisen nicht vorbereitet gewesen sei. Oder der, dass das Schiff weniger für größtmögliche Sicherheit als auf maximalen Profit ausgelegt worden sei. Kapitän Schettino, so der Anwalt, sei wohl eher wegen seiner Kompetenz als "Show-Mann" ausgewählt worden als wegen seiner Fähigkeiten als Navigator.

Der Amerikaner hat politische Ambitionen

Eaves bemüht sich, nicht wie jene Kollegen zu wirken, die man in den USA abfällig "ambulance chaser" nennt, weil sie Katastrophen nachjagen, um daran zu verdienen. Immer wieder redet er vom politischen Auftrag, die aus seiner Sicht veralteten Schifffahrtsgesetze ("voller Ritzen wie ein alter Holzkahn") modernisieren zu lassen. Nicht ohne Pathos erklärt er seinen baldigen Mandanten, dass man die Todesopfer der Katastrophe am besten dadurch ehre, dass man neue Unfälle verhindere - dafür müsse man den Kreuzfahrttourismus reformieren.

Der Amerikaner hat durchaus eine Schwäche für die Politik. Vor fünf Jahren trat er in seinem Heimatstaat Mississippi zur Gouverneurswahl für die Demokraten an, verlor aber deutlich gegen seinen wesentlich älteren, republikanischen Rivalen. Im Auftrag seiner Mandanten hat er immer wieder das US-Militär verklagt, unter anderem im Fall Cavalese, als ein tieffliegendes US-Militärflugzeug in Italien eine Gondel zum Absturz brachte. "Die Angehörigen der Opfer waren anfangs Mandanten, am Ende waren sie Freunde", sagt er.

"Morgen entscheiden wir, ob wir nach Amerika gehen"

Mit solchen Aussagen gewinnt er die Concordia-Opfer in München schnell für sich. Er erklärt ihnen, dass die von Costa gebotenen 11.000 Euro bloß "Peanuts" seien, ein alterprobter Überrumpelungstrick. Er sagt, dass er alle Prozesskosten übernehme, im Erfolgsfall aber 35 bis 40 Prozent der erstrittenen Summe behalte. Falls jemand sofort Geld brauche, könne ein Investor etwas vorschießen bis zum Ende des Verfahrens. Dann bittet er jeden der Anwesenden mit "Titanic-Erfahrung", wie er sagt, ihm ein paar Eindrücke der Unglücksnacht zu schildern. Er hört eine Weile zu und sagt: "Ich würde sterben vor Angst."

Am Ende, als der Mann aus Jackson, Mississippi, sie zwei Stunden umworben hat, finden etliche Opfer, dass es dumm wäre, es nicht mit Eaves zu versuchen. Schließlich soll es keinerlei Risiko geben, aber die Aussicht auf mindestens 60.000 Dollar - Anwaltshonorar abgezogen. Nicht mal vor Gericht müsse man erscheinen, hat der Anwalt gesagt. Ein Passagier scherzt, er könne schon mal hinreisen, allerdings lieber nicht mit dem Schiff. Die Stimmung ist heiter. "Wir schlafen drüber", sagt eine der Concordia-Passagierinnen, "morgen entscheiden wir, ob wir nach Amerika gehen".

© SZ vom 12.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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