Süddeutsche Zeitung

Nach Clausnitz:Deutschlands Polizisten, die Prügelknaben

Die Polizei hat ein Imageproblem, nicht erst seit den Vorfällen in Clausnitz. Aber liegt die Verantwortung nicht eher bei der politischen Führung?

Kommentar von Joachim Käppner

Namen, Zahlen, Bilder rauschen in der Flut der Informationen vorbei. Und dann ist da jenes Foto oder Video, das nur einen mikroskopisch kleinen Ausschnitt des Geschehens zeigt und doch zu dessen Ikone wird: der Flüchtling, der ein Merkel-Porträt in die Kamera hält; der Hitlergruß von Freital; die grobkörnigen Aufnahmen von der Kölner Silvesternacht, auf denen junge Männer es dem Land, das sie aufnahm, mit Gewalt und Verachtung danken.

Zur Galerie symbolischer Bilder ist nun das Video aus Clausnitz/Sachsen hinzugekommen, auf dem ein Polizist einen jungen Flüchtling roh aus dem Bus zerrt, während vor den Fenstern Ausländerfeinde brüllen.

Die wehrhafte Demokratie muss sich wehrhaft zeigen

Der Staat zeigt die harte Hand - aber nicht gegen die Täter, sondern gegen die Opfer: Dafür scheint der Clip zu stehen, mit solchen Kommentaren wird er im Netz verbreitet. Da mag die Polizei noch so oft darauf verweisen, sie sei in der Unterzahl gewesen und habe die Flüchtlinge schnell in Sicherheit bringen wollen: Das Imageproblem ist nicht zu leugnen, und nicht nur in Sachsen.

Es scheint manchmal, als sei die Ordnungsmacht überfordert angesichts der wachsenden Intoleranz und Aggressivität der politischen Auseinandersetzung. In der Kölner Silvesternacht wissen ganze Hundertschaften nicht weiter. In Berlin nehmen 500 Polizisten auf der Suche nach linken Gewalttätern besetzte Häuser mit einer Verve auseinander, die Kritiker in Clausnitz vermissten. Es hilft jetzt wenig, wenn Vorgesetzte und Minister sich verhalten wie eine bedrängte mittelalterliche Heerschar und den Schildwall schließen.

Es ist schon wahr: Kürzungen der Bezüge, Millionen Überstunden, Tausende gestrichene Stellen, die Flüchtlinge - es rächt sich jetzt, dass Bund und Länder lange Jahre kurzsichtig an der Polizei gespart, ihr zugleich aber immer neue Aufgaben zugewiesen haben. Vielerorts sind die Beamten an der Grenze des Leistbaren angekommen. Kommen sie jedoch zu spät, mit zu geringen Kräften und agieren hilflos wie in Köln und Clausnitz, dann leidet das Rechtsgefühl der Menschen.

So wächst das Misstrauen, bis in die politische Mitte hinein. Bei vielen Linken steht die Polizei ohnehin im Verdacht, auf dem rechten Auge blind zu sein; aus Sicht mancher, die sonst schon eine Verkehrskontrolle als staatliche Repression empfinden, kann nun der Knüppel in Clausnitz nicht locker genug sitzen. Für die radikalisierte Rechte verkörpert die Polizei "das System", das die Falschen schütze statt "das Volk".

Die Beamten fühlen sich zwischen diesen Fronten als Prügelknaben, zumal in der aufgeheizten, polarisierten Atmosphäre der Flüchtlingsdebatte. Dabei leisten sie, mehrheitlich, trotz aller Belastungen immer noch gute Arbeit; es gibt bei der deutschen Polizei deutlich weniger Brutalität, Korruption oder politische Einflussnahme als in vielen Nachbarstaaten.

Und doch fällt es ihr schwer, Fehler abzustellen, ja, sie überhaupt einzugestehen. Man dürfe die Polizei nicht aus der Ferne pauschal verurteilen, fordern ihre Vertreter, um sie sogleich aus nicht minder großer Ferne pauschal freizusprechen. Verständlicherweise beklagen ihre Gewerkschaften wachsende Gewalt gegen die Polizei - Gewalt durch die Polizei aber scheint es in ihrer Welt fast nicht zu geben. An Pannen sind andere schuld, Korpsgeist ist wichtiger als Gemeinsinn oder die Frage, ob eine Einsatzstrategie richtig war. Zur Lage in Sachsen konstatiert der Rechtsextremismusforscher Hajo Funke: "Es ist vor allem ein Versagen der Polizei - und ein Versagen der politischen Führung."

Durch Relativieren ist niemandem geholfen

Aber ist nicht eher umgekehrt? Wenn die politische Führung Probleme beschönigt und unterschätzt, wird die Polizei es nicht viel besser machen. Das war in Köln so, wo leitende Beamte offenbar in vorauseilendem Gehorsam Ausländerkriminalität nicht beim Namen nennen wollten und dann überrascht waren, dass es sie trotzdem gibt. Das ist in Sachsen nicht anders, wenn die Politik das energische Einschreiten gegen rechts scheut.

Kölns Polizei dagegen hat einige Tage nach Silvester einen ausländerfeindlichen Aufzug kurzerhand aufgelöst, weil Straftaten zu befürchten waren. Ausgerechnet Sachsen hat ja nach der Wende die "Soko Rex", eine erfolgreiche Polizeitruppe gegen rechte Gewalt, gegründet. Heute tun Regierungspolitiker in Dresden verbissen so, als seien rechte und linke Gewalt im Land von gleicher Bedrohungskraft - obwohl es 2015 nur 18 linke Beschuldigte gab und 631 rechte.

Aber durch Relativieren ist niemandem geholfen. Das Recht gilt für alle gleich, und es muss gleichermaßen und konsequent durchgesetzt werden. Es gibt sogar einen Namen dafür: die wehrhafte Demokratie.

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SZ vom 24.02.2016/fued
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