Mythen:Geisterschiff voraus!

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Als Gespensterschiff stellte der Maler Charles Temple Dix um 1860 den fliegenden Holländer dar. (Foto: gemeinfrei)

Der fliegende Holländer, der dazu verdammt ist auf alle Ewigkeit über die Meere zu segeln, ist eine Legende. Doch für den Mythos gibt es reale Vorbilder.

Von Josef Schnelle

Wenn Richard Wagner nie den Schoner Thetis nach London genommen hätte, um 1839 den Gläubigern in Riga zu entkommen und nach neuen Geldgebern zu suchen; wenn sein Schiff nicht wegen stürmischer See auf der zweiwöchigen Überfahrt mehrfach in norwegischen Häfen angelegt hätte, dann hätte er nie die Seemannsgeschichten vom "fliegenden Holländer" gehört.

Deren tiefgründige Abenteuerbotschaft hätte den derart von der Macht der See und der Farbigkeit der Erzählungen Gepackten nicht so inspiriert. Und die düster-süchtige Schwärmerei vom Fahrensmann, der dazu verdammt ist, mit seinem Schiff ruhelos über die Meere zu segeln, bis ihn die wahre ewige Liebe einer Frau erlöst, wäre nie zur Oper geworden.

1881 sah der britische Prinz George das mysteriöse Schiff im "rot glühenden Licht" auftauchen

Sie wurde am 2. Januar 1843 im Königlichen Hoftheater zu Dresden uraufgeführt. Wagner und der fliegende Holländer bilden seitdem eine unentwirrbare Einheit. In dem Werk klagt der "Holländer"-Bariton, der ohne große Hoffnung um die Tochter eines norwegischen Kapitäns wirbt: "Die Frist ist um und abermals verstrichen sind sieben Jahr'. Voll Überdruss wirft mich das Meer an Land... Ha, stolzer Ozean! In kurzer Frist sollst Du mich wieder tragen."

So mutlos und zugleich stolz singt der Holländer sich zum Landgang, zunächst überzeugt von der ewigen Dauer seiner Qual.

Den legendenhaften Ursprung des Stoffes, den er als Libretto schrieb, vernebelte Wagner unter anderem dadurch, dass er die Handlung zunächst nach Schottland, dann nach Norwegen verlegte. In Wahrheit dreht sich in der Sage vom fliegenden Holländer alles um Kap Hoorn.

Die Passage vom Atlantik zum Pazifik im Gewimmel von Inseln und falschen Landengen an der Südspitze Lateinamerikas gehörte im 17. Jahrhundert zu den gefürchtetsten und kaum bezwingbaren Gewässern. 800 Schiffe, die hier auf dem Meeresgrund liegen, der größte Schiffsfriedhof der Welt, künden von Strömungen und tückischen Fallwinden, die manchen Segler in den Untergang trieben.

Kein Wunder, dass sich die Mär festsetzte, ein Kapitän sei derart besessen davon gewesen, Kap Hoorn zu umrunden, dass er schwor, es auf ewig zu versuchen, weshalb ihn der Teufel dazu verdammte, der "Ahasver des Meeres" zu werden. Auch das schon früher umsegelte Kap der Guten Hoffnung spielte in manchen Geschichten um den Ruhelosen die Rolle als schwer überwindbare Meeresbarriere.

Der holländische Kapitän Bernard Fokke geriet in Verdacht, den fliegenden Holländer zu befehligen, als er es von den Niederlanden bis Jakarta in nur 90 Tagen schaffte. So einer musste mit dem Teufel im Bunde sein!

Noch 1869 waren nachweislich mehr als 200 "Geisterschiffe" auf den Meeren unterwegs - Schiffe, deren ganze Besatzung von Seuchen oder Skorbut ausgelöscht worden war. Wenn man einem solchen Schiff begegnete, traute sich keiner an Bord, man ließ sie weitersegeln, bis sie irgendwann in einem Sturm versanken.

Gab es daher also sogar mehr als einen fliegenden Holländer? Mehrmals wird auch von Luftspiegelungen ähnlich einer Fata Morgana am fernen Horizont berichtet, von Schiffen, die im Himmel oder im Nebel hängen und sich plötzlich buchstäblich in Luft auflösen.

Immer wieder kam es im Laufe der Jahrhunderte auch zu vermeintlich echten Sichtungen, hinter denen die Berichterstatter den fliegenden Holländer vermuteten, manchmal mit Kapitän und Mannschaft, manchmal ohne, manchmal mit dem Leibhaftigen selbst am Steuerrad.

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1881 berichtete der britische Prinz George, der an Bord der Fregatte HMS Inconstant war, dass plötzlich der Bug des im "roten Licht glühenden" berühmten Geisterschiffs auftauchte, nur 180 Meter entfernt. 13 Personen, schrieb der 16-jährige Prinz und spätere britische König in seinem Tagebuch, sollen das Schiff gesehen haben, wie es sich gehört mit schwarzen Masten und blutroten Segeln.

Es ist schwer festzustellen, welches Geheimnis diese realen Sichtungen verbergen. Ist der fliegende Holländer ein reines Fantasiekonstrukt oder gab es ihn wirklich? Fassbarer sind zahlreiche literarische Zeugnisse.

Bei Washington Irving segelt der fliegende Holländer 1822 auf dem Hudson River, Kanonenkugeln scheinen durch ihn hindurch zu fliegen. Wilhelm Hauff machte ein Märchen aus dem Stoff, und 1827 hatte ein erstes Theaterstück im Londoner Adelphi Theatre Premiere. Vielleicht hat auch Wagner davon gehört.

Wagners Vorbild Heine

Das Werk stand Pate für eine Passage in Heinrich Heines Schelmenroman "Memoiren des Herren von Schnabelewopski". Dort muss der fliegende Holländer schon 1831 durch die Treue eines Weibes erlöst werden. Der Teufel, so Heine ironisch, glaube nicht an Weibertreue und hielte seinen Handel mit dem Kapitän daher für leicht zu gewinnen. Wie später bei Wagner stürzt sich das "treue Weib" aber rasch ins Meer und überwindet so den Fluch.

Den ganzen "Duft der Sage" wolle er sich ungestört verbreiten lassen, bis man sie "bis zur Behaglichkeit liebgewinnen kann", so beschreibt Wagner in einem Brief sein Konzept. Vielleicht fasziniert gerade das bis jetzt an der Legende in Hunderten von Romanen und Filmen.

Denn das Phantomschiff taucht auch heute wieder auf - etwa in Johnny Depps "Pirates of the Caribbean"-Filmreihe, wo es mit seiner Gespenstermannschaft direkt aus dem Meer an die Oberfläche schießt: ohne jedes Bodenholz wie ein Gerippe wirkend, aber übermächtig in seinem Auftritt und zu jeder Seeschlacht bereit.

Irgendetwas muss an der Legende dran sein, und sei es nur die Erinnerung an die schwere See, und wie man sie damals mit primitivsten Mittel bezwingen musste.

© SZ vom 19.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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