Verkaufspsychologie:Überramschung!

Verkaufspsychologie: Es ist fester Bestandteil des Wundertütenkaufs, erst mal zu fühlen, was da drin sein könnte.

Es ist fester Bestandteil des Wundertütenkaufs, erst mal zu fühlen, was da drin sein könnte.

(Foto: Imago)

Restposten-Boxen aus dem Internet folgen dem guten, alten Prinzip Wundertüte. Wie konnte die Idee einer netten Überraschung für Kinder zum Schrott-Ausverkauf verkommen?

Von Kerstin Lottritz

Das Angebot liest sich verlockend: Mystery-Box Electronics, für 29,40 Euro, kostenlose Lieferung. Dazu ist eine rote Geschenkbox abgebildet, aus der ein paar Luftschlangen springen - und Fernseher, Smartwatches oder ein Navigationsgerät. Auch im Programm: ein 50-teiliges Baumarktpaket oder eine Kiste mit 20 Beauty-Produkten. Angebliche Retouren oder Restposten werden seit einiger Zeit bei Internet-Händlern als schön verpackte Überraschungsboxen angepriesen. In Wahrheit kauft man die Katze im Sack. Und genau darin besteht der Reiz.

Diese Überraschungsboxen folgen dem Prinzip eines seit Jahrzehnten bekannten Verkaufsschlagers: der Wundertüte. Bereits in den Nachkriegsjahren waren die für ein paar Pfennige am Kiosk erhältlichen Papiertüten mit Überraschungsinhalt bei Kindern beliebt. Erst versuchten sie, diesen zu ertasten, dann rissen sie die Tüte mit einem Ratsch auf und freuten sich über ein paar saure Schlangen, Bonbons und dazu Sammelkarten oder eine kleine Spielfigur.

Das Erfolgsrezept der Wundertüte heißt: Glück durch Spannung empfinden. "Das ist ähnlich wie beim Glücksspiel", erklärt Marko Sarstedt, Professor für Marketing an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. "Allein die Erwartungshaltung, etwas Tolles in der Tüte vorzufinden, schüttet Glückshormone aus."

Ein Schlumpf für 20 000 Euro

Die Wundertüten für Kinder gibt es immer noch. Sie kosten nicht mehr Pfennigbeträge, sondern mehrere Euro, das Prinzip ist ausgefeilter und zielt in vielen Fällen auf den Wunsch ab, eine Sammlung zu vervollständigen. Auch die Überraschungseier von Ferrero (die gerade wegen Salmonellen-Gefahr etwas in Verruf geraten sind) sind im Grunde nichts anderes als Wundertüten, und sie sind nicht nur bei Kindern beliebt: Für so manche Figur aus der gelben Plastikkapsel blättern Sammlerinnen und Sammler fünfstellige Summen hin - der Nachtwächterschlumpf aus dem Jahr 2008 zum Beispiel ist aktuell 20 000 Euro wert.

Verkaufspsychologie: Die Ü-Ei-Figuren "Crazy Crocos" aus den 1990er-Jahren sind vergleichsweise günstig zu haben - aber wer weiß, vielleicht steigt ihr Wert ja noch.

Die Ü-Ei-Figuren "Crazy Crocos" aus den 1990er-Jahren sind vergleichsweise günstig zu haben - aber wer weiß, vielleicht steigt ihr Wert ja noch.

(Foto: Christoph Hardt/Imago/Future Image)

Diese Überraschungsei-Logik haben sich längst Spielzeughersteller wie Lego oder Playmobil abgeschaut: In blickdichten Tütchen verkaufen sie Figuren einer bestimmten Reihe, ohne dass man vorher weiß, welches Plastikpüppchen man genau bekommt. Eine enorm verkaufsfördernde Taktik, die ein bisschen wie eine Tombola ohne Nieten funktioniert, bei der der Hauptgewinn bekannt ist, in diesem Fall die Lieblingsfigur.

Eine Wundertüte kann auch die Form eines Koffers haben. Flughäfen versteigern liegengebliebenes Gepäck, das drei Monate lang nicht abgeholt wurde. Als neuer Besitzer oder neue Besitzerin weiß man nicht, ob sich darin vielleicht ein wertvolles Schmuckstück oder nur dreckige Socken befinden. Immerhin prüfen Mitarbeiter des Zolls den Kofferinhalt vor der Versteigerung, damit man nicht aus Versehen etwa ein Kilo Kokain erwirbt.

Bei dieser Art Wundertüte geht es weniger ums Geschäft, oftmals spenden die Flughafenbetreiber die Erlöse der Versteigerungen für wohltätige Zwecke. Die Idee dahinter ist auch, den Kofferinhalt vor der Entsorgung zu bewahren. Wobei das mit der Nachhaltigkeit nur bedingt funktioniert, weil die neuen Besitzer die dreckigen Socken und vieles andere dann doch wegwerfen dürften.

Überraschungsmomente im durchgeplanten Alltag

Das Beispiel zeigt, dass das Prinzip Wundertüte auch bei Erwachsenen funktioniert. Sie kaufen aus nostalgischen Gründen, weil sie sich an schöne Erlebnisse ihrer Kindheit erinnert fühlen, "aber auch aus dem Bedürfnis heraus, sich zwischendurch mal etwas zu gönnen", sagt Marketing-Experte Sarstedt. "Im durchgeplanten Alltag schafft man sich so ein paar seltene Überraschungselemente."

Sarstedt unterscheidet zwei Käufertypen: die, die Risiken eingehen und sich an Gewinnen orientieren, und jene, die Verluste vermeiden wollen. Natürlich wagt es nur der Risiko-Typus, in etwas zu investieren, das sich als Haufen Schrott entpuppen könnte - in der Hoffnung, dass er etwas Tolles erwischen könnte. Der typische Schnäppchenjäger eben.

Wie verhält es sich nun mit den Restposten-Verkäufen bei Amazon? Geht es einfach darum, Ramsch zu verhökern und die Geiz-ist-geil-Mentalität zu befeuern, oder steckt hinter den Überraschungsboxen auch ein nachhaltiger Gedanke? Ein bisschen von beidem, urteilt Sarstedt. Die Boxen seien ein guter Weg, Restposten vor der Vernichtung zu bewahren. "Das Problem wird aber nur verschoben", sagt Sarstedt. Schlussendlich wird die Käuferin der Beauty-Box all die Lippenstifte, die ihr nicht gefallen, doch entsorgen. Die Überraschungskisten dienen also vor allem dazu, Lagerplatz zu schaffen - für neue Produkte.

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