Muttermilch-Börse:Stillen online

Lesezeit: 4 min

Stillen Brust geben Tipps Experten Hebamme Mutter Baby Kind

Schön, wenn der Nachwuchs da ist. Doch nicht jede Mutter hat genügend Milch für ihr Baby.

(Foto: m!ra / photocase.com)

"Es gibt nun mal Mütter, die haben zu viel Milch, und solche, die haben zu wenig": Deshalb hat Tanja Müller die erste deutsche Internet-Tauschbörse eingerichtet. Wirklich eine gute Idee? Wissenschaftler warnen vor gewaltigen Risiken.

Von Ines Alwardt

Sie steht vor dem Waschbecken im Krankenhaus, auf dem Boden die Fläschchen. Knapp hundert sind es, bis zum Rand gefüllt mit Muttermilch. Tanja Müller laufen Tränen über die Wangen, als sie den Inhalt in den Ausguss kippt. Es ist der Moment, in dem sie weiß: "Ich muss etwas tun."

Ihre Tochter liegt auf der Intensivstation für Frühgeborene, die Kleine kann die Mengen an Milch nicht trinken, die Müller jeden Tag mühsam abpumpt und ins Krankenhaus bringt. Ein Jahr zuvor, als ihr Sohn zur Welt kam, hat Müller sich die Milch herbeigesehnt. Damals litt sie an einer schweren Brustentzündung und konnte nicht stillen. Und nun, bei der Tochter: Milch im Überfluss. Da gibt Müller sich selbst ein Versprechen. "Ich wollte die überschüssige Milch und die Mütter, die keine haben, zusammenbringen", sagt sie heute, zwei Jahre später.

Tanja Müller, Mutter zweier Kinder, gelernte Hotelfachfrau, hat vor einigen Tagen die erste deutsche Online-Börse ihrer Art ins Leben gerufen. Frauen können dort nicht etwa Schuhe kaufen, Klamotten oder Kochrezepte tauschen, sie handeln mit einer ganz natürlichen Flüssigkeit. Auf www.muttermilch-boerse.de verkaufen oder verschenken stillende Spenderinnen ihre überschüssige Muttermilch - an Frauen, die ihren eigenen Kindern selbst nicht die Brust geben können. Es ist ein riskantes Geschäft, warnen Mediziner. Aber es floriert, nicht nur in den USA und Kanada.

Die medizinischen Angaben sind freiwillig

Auf Müllers Internetseite klingen die Angebote wie Kleinanzeigen auf Ebay: "Abgepumpte, eingefrorene, steril abgepackte Milch für Zuckerschnuten", schreibt eine Frau. 4,50 Euro verlangt sie für 100 Milliliter. Glaubt man den Angaben, ist ihr Kind 38 Wochen alt, die Frau Nichtraucherin und fünffache Mutter. Jede Frau, die ihre Milch auf der Börse anbietet, muss das Alter ihres Kindes angeben und ihre Postleitzahl. Die medizinischen Angaben macht jede von ihnen freiwillig: keine Drogen, Hepatitis, Syphilis und kein HIV. Ob das auch stimmt? Eine Garantie gibt es für die Käufer nicht.

"Gemeingefährlich" nennt deshalb Professor Bernd Koletzko, Kinderarzt am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität in München, solche Börsen. Er sagt: "Man kann nicht einfach eine biologische Flüssigkeit im Internet verhökern." Die Spendermilch einer fremden Mutter an ein anderes Kind zu geben, ohne die notwendigen Sicherheitsstandards einzuhalten, sei "absolut unverantwortlich".

Schwere Krankheiten wie HIV, Hepatitis oder Syphilis könnten über Muttermilch übertragen werden, auch Rückstände von Medikamenten oder Drogen könne sie enthalten. In der rohen Milch könnten sich zudem schnell Keime bilden, warnt Koletzko. Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) schlägt Alarm. "Wir warnen davor, Muttermilch über das Internet zu beziehen", teilt der Verband mit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema