Muslime in Frankreich:Staatsbürger Sündenbock

Muslime in Frankreich: "Ihr Islam ist nicht der unsrige": Teilnehmer einer Trauerkundgebung in Marseille.

"Ihr Islam ist nicht der unsrige": Teilnehmer einer Trauerkundgebung in Marseille.

(Foto: Boris Horvat/AFP)
  • Nach dem Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo durch mutmaßlich islamistische Täter ahnen französische Muslime: "Auf uns kommen jetzt schwere Zeiten zu."
  • Die muslimischen Verbände kündigen an, dass "die Imame aller Moscheen Frankreichs" beim Freitagsgebet den Terror verdammen würden.
  • Als Hoffnung bleibt den Muslimen, dass die Franzosen einen Namen wahrnehmen: Ahmed Merabet. Das war jener Streifenpolizist, den die Attentäter von Paris per Kopfschuss töteten.

Von Christian Wernicke, Paris

Malick Menzel und Mehdi X. (Name geändert) trennen Welten. Maître Menzel, ein angesehener Rechtsanwalt, wohnt im Herzen der französischen Hauptstadt. Mehdi X., ein kleiner Angestellter, lebt in tiefster Provinz, in La Rabière, einer hässlichen Hochhaussiedlung in Joué-lès-Tours, einem Vorort von Tours. Und doch, am Tag danach eint die beiden französischen Muslime weit mehr als nur ihr Glaube: Wortgleich beteuern sie, dass sie "zugleich Wut und Trauer" empfänden über den Terroranschlag islamistischer Dschihadisten just im Namen jenes Gottes, den sie täglich anbeten. Beide spüren dieselbe Angst in sich aufsteigen, ihnen schwant: "Auf uns Muslime kommen jetzt schwere Zeiten zu."

Nur Stunden nach dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo hatte der Rat der Muslime "im Namen der Muslime in Frankreich" unmissverständlich von einem "barbarischen Akt" gesprochen. Am Donnerstag kündigten die muslimischen Verbände an, dass "die Imame aller Moscheen Frankreichs" beim Freitagsgebet den Terror verdammen würden - und zwar "mit größtmöglicher Strenge".

Und doch dürften sich Frankreichs Muslime nun noch mehr in der Defensive fühlen als ohnehin schon. Der 11. September 2001, die Meuchelmorde des "einsamen Wolfs" Mohamed Merah 2012 in Toulouse, die Kriegsbilder aus dem Irak und aus Syrien haben ihren Landsleuten ein Zerrbild des Islam eingehaucht. Eines, mit dessen Folgen Menzel und Mehdi täglich leben müssen: "Islamophobie" nennen beide das Ergebnis. Drei Viertel ihrer Landsleute halten den Islam laut Umfragen für "intolerant". Oder für "etwas Negatives".

Mehdi X. ist diese Vorurteile unendlich leid. Als Hoffnung bleibt ihm vorerst nur, dass die Franzosen einen Namen wahrnehmen: Ahmed Merabet. Das war jener Streifenpolizist, den am Mittwoch das grauenhafte Amateurvideo zeigte. Schwer verletzt lag der 42-Jährige am Boden, hob die rechte Hand und flehte um Gnade - dann ermordete ihn einer der vermummten Gotteskrieger per Kopfschuss. "Ich bete, dass die Franzosen erkennen: Das ist ein maghrebinischer Name. Auch wir Muslime sind Opfer dieses Terrors", sagt Mehdi.

"Wir sind Franzosen zweiter Klasse"

In La Rabière, dem Sozialwohnungsviertel von Joué-lès-Tours, gehört Mehdi X. zu den Privilegierten. Der Vater von vier Kindern hat einen Schulabschluss, und er hat Arbeit. Die Arbeitslosenquote hier liegt bei 25 Prozent, von den Jüngeren findet nicht mal jeder zweite einen Job. La Rabière, so sagt er, sei nicht so schlimm, wie es die Pariser Banlieues sind. Aber am Ende einer Sackgasse liegt es doch. "Wir sind Franzosen zweiter Klasse", sagt der 32 Jahre alte Mann, "aber wir sind Franzosen!"

Mehdi X. trägt Vollbart, als sichtbares Bekenntnis zu seiner Religion. Die meisten seiner Freunde tun dies auch. Es sind diese jungen Väter, die die Dinge im Viertel regeln: Sie weisen die Jugendlichen zurecht, die an der Straßenecke Drogen verkaufen. Sie greifen dem alten Mann aus dem arabischen Café auf dem Weg nach Hause unter den Arm. Fast alle Frauen tragen Kopftuch. Auf dem Postamt von Joué-lès-Tours erscheinen Frauen in Burka, trotz des staatlichen Verhüllungsverbots. Es ist das Stadtviertel, in dem kurz vor Weihnachten der junge Bertrand Nzohabonayo erschossen wurde, nachdem er mutmaßlich drei Polizisten mit einem Messer angegriffen hatte und "Allahu akbar" gerufen haben soll.

Der frühere Bürgermeister der Stadt, ein Sozialist, nagelte vor vier Jahren den Schriftzug laicité ans Rathausportal - unter das Versprechen von "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit". Voriges Jahr wurde der Mann abgewählt, auch viele Muslime stimmten für den konservativen Kandidaten. Frankreichs Laizität, die strikte Trennung von Staat und Religion, ist in den Augen vieler Muslime zu einem Instrument der Diskriminierung geworden.

"Jeder zelebriert sein islamfeindliches Coming-out!"

Das sieht auch Malick Menzel so. Im Büro seiner Pariser Kanzlei hängt ein vergilbtes Plakat. "J'accuse . . . !", steht darauf. Es ist eine Reproduktion jenes legendären offenen Briefes, mit dem 1898 der Schriftsteller Émile Zola die ungerechtfertigte Verurteilung von Alfred Dreyfus, einem jüdischen Hauptmann in der französischen Armee, angeprangert hat. Die Dreyfus-Affäre war ein antisemitisch, rassistisch motivierter Justizskandal. Menzel sucht historische Parallelen.

Früher seien die Juden für alles Unglück verantwortlich gemacht worden, "heute sind wir Muslime die Sündenböcke!" Menzel bedrückt die Stimmung, schon vor dem Attentat: Rechte wie linke Politiker schürten Vorurteile gegen Muslime, "jeder zelebriert sein islamfeindliches Coming-out!" Das habe, so sagt er drastisch, in Frankreich "ein Klima wie damals bei Ihnen vor der Reichskristallnacht", den Pogromen von 1938, geschaffen.

In der Ecke von Menzels Büro hängt seine schwarze Robe. Der 46-jährige Advokat könnte als Musterbeispiel gelungener Integration herhalten: Kind algerischer Einwanderer, aufgewachsen in einer ruhigen Kleinstadt östlich von Paris, Abitur, Studium an der Sorbonne. Ehemann, Vater zweier Jungs - und ein respektierter Anwalt: "Das war mein Traum, ich hab's geschafft."

Als Staatsbürger wollte er ein Zeichen setzen

Menzel ist kein Einzelfall. Immer häufiger gelingt es den Kindern und Enkeln nordafrikanischer Zuwanderer, in akademische Berufe aufzusteigen. "Wir werden Ärzte, Anwälte, Apotheker - alles", sagt er mit Stolz. Dennoch will Menzel seine eigene Karriere keinesfalls als Beweis gelten lassen für die typischen Aufstiegschancen von Muslimen. "Erstens hatte ich einfach Glück, weil meine Eltern nicht in die Pariser Banlieues gezogen sind", erklärt er, "und zweitens habe ich immer meine Religion verschwiegen. Der Muslim in mir musste unsichtbar bleiben."

Frankreichs ascenceur social funktioniere nicht: "Der soziale Fahrstuhl nach oben war auch in meinem Fall kaputt." Menzel grinst gequält, da er seinen Weg andeutet: "Ich musste die Hintertreppe nehmen - und dann die verschlossene Tür aufstoßen." Der Erfolg verlangte ihm stete Selbstverleugnung ab. Und doppelten Einsatz.

Am Mittwoch ist Menzel nach der Arbeit noch auf die Place de la République geeilt. Zur Trauer-Demonstration für Charlie Hebdo. Als Muslim war er mit den Karikaturen der Zeitung oft nicht einverstanden. Aber als Staatsbürger wollte er ein Zeichen setzen: "Für unsere Freiheit und gegen diese Verbrecher, die meine Religion beleidigen!"

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: