Süddeutsche Zeitung

Musikindustrie:Popstar Kesha muss bei Produzenten bleiben - trotz Vergewaltigungsvorwurf

Lesezeit: 3 min

Von Julia Ley

Ein New Yorker Gericht hat am Freitag einen Antrag auf einstweilige Verfügung der Popsängerin Kesha Sebert ("Tik Tok") abgewiesen. Sie hatte sich aus dem Plattenvertrag mit ihrem Produzenten Lukasz Gottwald lösen wollen, bekannt als "Dr. Luke", der schon andere Popgrößen wie Britney Spears und Miley Cyrus betreut hat. Gottwald soll sie jahrelang missbraucht haben.

Die 28-Jährige, die unter ihrem Vornamen "Kesha" bekannt ist, brach in Tränen aus, als sie das Urteil von Richterin Shirley Kornreich hörte. In ihrem Antrag hatte sie geschrieben: "Ich weiß, dass ich nicht mit Dr. Luke arbeiten kann. Ich bin körperlich nicht dazu in der Lage. Ich fühle mich in keinerlei Hinsicht sicher." Richterin Kornreich scheinen diese Worte nicht überzeugt zu haben: "Sie bitten mich, einen Vertrag aufzulösen, der hart verhandelt wurde und für diese Industrie typisch ist", begründete sie ihre Entscheidung. Und fügte hinzu: "Mein Instinkt ist es, das zu tun, was kommerziell Sinn ergibt." Seit Kesha ihren Produzenten 2014 in einem früheren Verfahren wegen Missbrauchs verklagt hat, liegt ihre Karriere auf Eis.

Mit dem jetzt abgewiesenen Antrag hatte Keshas Anwalt Mark Geragos erreichen wollen, dass die Sängerin bei einem anderen Label Platten aufnehmen darf, bis der Prozess um die Missbrauchssvorwürfe entschieden ist. Die Richterin hielt dagegen, dass die Plattenfirma Sony Music Entertainment, der auch Gottwalds Label Kemosabe Records gehört, Kesha zugesichert habe, auch ohne direkte Zusammenarbeit mit "Dr. Luke" Platten aufnehmen zu können. Zudem seien die Missbrauchsvorwürfe nicht ausreichend durch medizinische Atteste belegt.

Fast Zehn Jahre lang soll "Dr. Luke" Kesha missbraucht haben

Die Vorwürfe, die Kesha ihrem Produzenten macht, sind gravierend. Seit Gottwald sie 2005 mit 18 Jahren unter Vertrag nahm, soll er sie systematisch terrorisiert haben. CNN zitiert aus der Anklageschrift: "Dr. Luke beleidigte Miss Sebert, um ihr Selbstvertrauen, ihr Selbstbild und ihr Selbstwertgefühl zu zerstören, damit er absolute Kontrolle über ihr Leben und ihre Karriere erhalten kann." Gottwald habe der jungen Sängerin wiederholt vorgeworfen, sie sei zu dick, einmal habe er sie als "fetten Kühlschrank" bezeichnet. Kesha habe deshalb später Bulimie entwickelt.

In mindestens zwei Fällen, so der Vorwurf, habe der Produzent sie außerdem unter Drogeneinfluss zum Sex gezwungen: Einmal, kurz nach Beginn ihrer Zusammenarbeit, habe er ihr im Anschluss an eine Party eine "Nüchternheitspille" verabreicht - tatsächlich waren es K.o.-Tropfen. Kesha sei am nächsten Morgen nackt, mit Schmerzen und desorientiert in seinem Bett aufgewacht, ohne Erinnerung daran, wie sie dort hingelangt sei. Ein anderes Mal habe er sie vor einem Flug dazu gezwungen, eine Substanz zu inhalieren, die sie außer Gefecht setzte. Im Flugzeug habe er sie dann missbraucht, berichtet das Musikmagazin Rolling Stone.

Gottwald bestreitet die Vorwürfe - und wehrt sich mit einer Gegenklage

Gottwald hat Keshas Anschuldigungen von Anfang an bestritten. Noch am selben Tag, an dem Kesha 2014 die ursprüngliche Missbrauchsklage einreichte, wehrte er sich mit einer Gegenklage: Kesha sei mit dem Verlauf ihrer Karriere unzufrieden und habe die Anschuldigungen erfunden, um sich vorzeitig aus dem Vertrag zu lösen. Insgesamt sechs Alben sollte Kesha mit Gottwald aufnehmen, erst zwei davon sind bisher erschienen.

Doch Gottwalds Vorwürfe gehen noch weiter: Schon Monate bevor Kesha und ihre Mutter die Klage einreichten, habe er einer Kopie der Anklageschrift erhalten - verbunden mit der Drohung, vor Gericht zu gehen, wenn er sie nicht aus dem Vertrag entließe.

Die umstrittene Entscheidung vom Freitag hat in dem Streit nun eine erste Richtung vorgegeben: Kesha muss vorerst bei Sony bleiben und ihre vertraglich vereinbarten Pflichten erfüllen. Das Urteil in dem eigentlichen Verfahren steht allerdings noch aus. Sollte sich herausstellen, dass Gottwald Kesha tatsächlich physisch und psychisch missbraucht hat, dürfte das auch ihrem Bestreben, sich von Sony zu lösen, Nachdruck verleihen.

Popstars solidarisieren sich mit Kesha

In den sozialen Netzwerken traf die Entscheidung des New Yorker Gerichts auf Unverständnis. Unter dem Hashtag #Freekesha machten viele Fans ihrer Enttäuschung Luft. Kein Künstler könne unter solchen Bedingungen frei arbeiten, schreibt diese Nutzerin.

Auch mehrere Popstars solidarisierten sich mit Kesha. So schrieb zum Beispiel Lady Gaga, die selbst als Teenager von einem Plattenfirmamitarbeiter vergewaltigt worden sein soll: "Es gibt auf der ganzen Welt Menschen, die dich lieben @KeshaRose. Und ich muss ehrlich sagen, dass mich deine Tapferkeit tief beeindruckt."

Auch die mehrfache Grammy-Preisträgerin Kelly Clarkson, die selbst schon mit Dr. Luke gearbeitet hat, teilte einen Tweet, der die Entscheidung als "Bullshit" bezeichnete. Darunter schrieb Clarkson: "Ich versuche nichts zu sagen, da ich nichts Freundliches sagen kann. Daher sage ich hier nichts über Dr. Luke."

Doch viele Kesha-Fans waren Worte der Unterstützung nicht genug. Auf der Online-Platform change.org gibt es deshalb jetzt eine Petition, ihre Unterzeichner wollen Sony boykottieren. Schon jetzt haben sie mehr als 180 000 Menschen unterschrieben.

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