Musical:Gänsehaut

Im Allgäuer Kurort Bad Wörishofen gibt es jetzt tatsächlich "Kneipp - das Volksmusical". Wadenwickel und kalte Güsse? Ringelblumensalbe? Und das als Musical? Wir waren bei der Weltpremiere dabei.

Von Titus Arnu, Bad Wörishofen

Auf der Bühne singt eine Gießkanne. Frauen in wallenden blauen Gewändern tanzen "Wasser". Es kommen auch singende Karotten, singende Kräuter, singende Würste und ein ziemlich süßer singender Apfel zum Einsatz. Mittendrin steht Pfarrer Sebastian Kneipp (Florian Speyerer) mit weißem Arztkittel und Headset. Er singt über Wadenwickel, preist die Wirkung kalter Güsse und proklamiert seinen Leitspruch: "Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!" Geht jetzt gleich die Sprinkleranlage im Saal an, um das Publikum konsequent abzuhärten? Es bleibt zum Glück heiter und trocken. Und jetzt alle: "Heiße Wickel, kalte Güsse, und für die Füße ein Paar nasse Strümpfe."

Im Kursaal von Bad Wörishofen, gleich neben der Forschungsstelle für medizinische Balneologie, spielen mehr als 100 Mitwirkende recht flüssig das Leben des Wasserarztes nach. "Kneipp - das Volksmusical" heißt das Stück. Kneipp als Musical? Allein beim Gedanken daran wird einem heiß und kalt. Vor der Weltpremiere am Samstag steigt die Pulsfrequenz dann natürlich automatisch. Als das Licht im Saal ausgeht, fühlt es sich an wie die Sekunde vor einem Kneipp-Guss: Eigentlich ist man darauf gefasst, was gleich passiert, gleichzeitig hat man ein bisschen Angst davor. Müssen die Zuschauer in den ersten Reihen jetzt damit rechnen, dass sie nass werden?

Weniger Glamour für einen Musical-Stoff geht wohl nicht: Wassertreten und Dinkel

Gibt es eigentlich einen Musical-Stoff, der weniger Glamour bietet als Wadenwickel und kalte Güsse?

Musical: Kneippen gehört zum Immateriellen Kulturerbe der Unesco.

Kneippen gehört zum Immateriellen Kulturerbe der Unesco.

(Foto: Wikipedia/CC BY-SA 3.0)

"Klar, das Thema wirkt erst einmal ein bisschen sperrig", gibt Sanni Risch zu, die das Musical mit Laiendarstellern einstudiert hat. Andererseits sind die Hauptdarsteller erfolgreicher Musicals oft extrem seltsame Gestalten: Katzen, die auf einem Müllplatz leben (Cats), ein Sonderling mit einem entstellten Gesicht (Phantom der Oper), blutsaugende Monster (Tanz der Vampire), transsexuelle Außerirdische (Rocky Horror Show). Das erfolgreichste Musical der Welt, Starlight Express, erzählt die Geschichte von sprechenden Eisenbahnen, die um den Sieg bei einer "internationalen Weltmeisterschaft der Züge" kämpfen - aus Sicht der Züge.

Gemessen daran ist die Geschichte des frommen, fleißigen Bademeisters Kneipp, der vor 120 Jahren starb, im Juni 1897, absolut bühnentauglich. Die Handlung: ein Wechselbad der Gefühle. Sie beinhaltet alle Elemente, die ein unterhaltsames historisches Drama braucht, bis auf die Liebe vielleicht. Als Sohn armer Weber im Allgäu geboren, wurde Sebastian Kneipp erst Knecht, dann Pfarrer. Als Theologiestudent im Priesterseminar Dillingen erkrankte Kneipp an Tuberkulose. Es gab keine wirksamen Medikamente, aber ihm fiel ein altes Buch über Wasserbehandlungen in die Hände. Mit einer Gießkanne verabreichte er sich kalte Güsse und stieg im Winter in die Donau, um sich abzuhärten. Die Waschküche des Wörishofener Dominikanerinnen-Klosters wurde zur Urquelle des Heilbades, dort testete Kneipp seine Methoden an Patienten aus, denen die Ärzte nicht mehr helfen konnten.

Kneipp Musical Bad Wörishofen

Am Wochenende feierte in Bad Wörishofen, der Wirkstätte von Pfarrer Kneipp, "Kneipp - das Volksmusical" Premiere.

(Foto: Simon Ledermann)

Das Musical erzählt eine internationale Erfolgsstory: Vom wunderlichen Wasserdoktor, der von etablierten Ärzten als Kurpfuscher beschimpft und vom Klerus argwöhnisch beäugt wurde, stieg Kneipp zu einem der allerersten Gesundheitsgurus seiner Zeit auf. Er behandelte - sehr demokratisch - Bäuerinnen ebenso wie Adelige, ließ reiche Kurgäste durch den Dorfbach waten und wickelte Gichtgeplagte in warme Tücher, die er mit Heilkräuter-Essenzen tränkte. Er riet zu gemäßigter körperlicher Anstrengung in gutem Schuhwerk und lockerer Kleidung (heute nennt man das Nordic Walking). Auch Holzsägen, Cricket, Radfahren oder Hausarbeit zählte er zu den "gesunden Tätigkeiten". Und dann propagierte er noch vollwertige Kost, lobte Hafermus, empfahl Dinkel und riet zum Schroten des ganzen Korns. Im Sinne einer ganzheitlichen Heilkunde mahnte er: "Vergesst mir die Seele nicht!"

Ob die Kneipp-Kur im medizinischen Sinne wirkt, ist bis heute wissenschaftlich nicht eindeutig belegt. Trotzdem gehört das Kneippen seit 2016 zum Immateriellen Kulturerbe der Unesco. In Bad Wörishofen ist das Erbe des Wasserdoktors auf Schritt und Wassertritt zu erleben. Man muss nur die Kneipp-Straße entlangwandern (Bewegung!), weiter zum Kneipp-Mausoleum flanieren und schließlich zum Wellness-Kurhotel Kneippianum stapfen. Überall Brunnen, Kneipp-Anlagen und Läden mit Kneipp-Produkten. Eine echte Marktlücke ist noch eine Bar mit dem Namen Kneippe, die nicht nur Kräutertee und Kaffee Hag ausschenkt.

Musical: Sebastian Kneipp, frommer und fleißiger Bademeister, starb im Juni 1897. Er erkrankte als Student an Tuberkulose, dann fiel ihm ein Buch über Wasserbehandlungen in die Hände.

Sebastian Kneipp, frommer und fleißiger Bademeister, starb im Juni 1897. Er erkrankte als Student an Tuberkulose, dann fiel ihm ein Buch über Wasserbehandlungen in die Hände.

(Foto: imago)

"Man kommt an Kneipp nicht vorbei hier", sagt Regisseurin Sanni Risch, die mit ihrem Ensemble schon mehrere Singspiele auf die Bühne gebracht hat. "Ein Musical über Kneipp war eine Herzensangelegenheit von mir", sagt Risch, die mit allen Wassern gewaschen ist - sie hat die Musik komponiert (eine erfrischende Mischung aus Volksmusik, Jazz und Balladen), das Libretto geschrieben und sie singt auch noch ein wichtiges Solo gegen Ende des Stücks selbst. Darsteller, Musiker, Tänzerinnen und Alphornbläser - alle Mitwirkenden kommen aus dem Allgäuer Kurort und der näheren Umgebung. Auch Stadtpfarrer Andreas Hartmann hat eine Rolle übernommen, überraschenderweise als Stadtpfarrer, der eine Predigt über Gesundheit und Glauben hält.

Die Marke "Volksmusical" hat übrigens nichts mit Volksempfänger und Volkswagen zu tun, Sanni Risch hat sie entwickelt, um "Traditionen und wichtige Ereignisse einer Region in Erinnerung zu halten". Ob das ähnlich gut funktioniert wie in Oberammergau, wo die Dorfgemeinschaft seit 1634 alle zehn Jahre eine Art Jesus-Musical auf die Bühne bringt? Zunächst sind in Bad Wörishofen fünf weitere Aufführungen geplant, wenn es genügend Zulauf gibt, könne das Kneipp-Musical aber weitergehen, besser gesagt -fließen. Nur dahinplätschern sollte es nicht.

Tut es auch nicht. Es ist ein wechselwarmer Abend ganz im Sinne Kneipps: Mal wirkt es erfrischend, dann kommen wieder kontemplative Phasen mit viel Beterei und historischen Vorträgen, bei denen die Gefahr besteht, dass einem die Füße einschlafen. Kurz darauf kribbeln sie wieder, wenn Kinder im Allgäuer Dialekt singen oder der hübsche Apfel sehr eindrucksvoll tanzt. Wie hatte es Sebastian Kneipp selbst einmal gesagt? "Um gesund zu bleiben, muss sich der Mensch bewegen, schwitzen und soll das Wasser in seiner mildesten Form gebrauchen."

Das alles ist bestimmt Absicht, Stichwort: Wechseldusche. Am Ende gibt es warmen Applaus, der sich schwallartig im Kurhaus in Richtung Bühne ergießt.

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