Museumsschädlinge:Es krabbelt im Museum

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Diese Riesenkäfer im Naturhistorischen Museum Wien sind, im Gegensatz zu einigen winzigen Verwandten, für die Exponate völlig ungefährlich. (Foto: Martin Zips)

Motten, Pelzkäfer oder Papierfischchen fressen sich durch Exponate und richten in den Sammlungen große Schäden an. Der Biologe Pascal Querner hat sich darauf spezialisiert, solchen Schädlingen den Garaus zu machen. Auf der Jagd in den Kellerräumen des Naturhistorischen Museums in Wien.

Von Martin Zips, Wien

Von Charles Darwin stammt der Satz, dass sich die Natur immer im Krieg befindet. Entweder mit sich selbst oder mit der „äußeren Natur“. Im Wiener Naturhistorischen Museum aber scheint es überraschend friedlich zuzugehen, die ausgestopften Nashörner, Robben oder Giraffen, die teilweise mehr als 200 Jahre alt sind, blicken gemütsruhig von ihren Podesten.

Na, fühlen Sie sich beobachtet? Im Saal 34, dem „Großsäugersaal“, blicken einige Exponate von oben auf die Besucherinnen und Besucher herab. (Foto: Martin Zips)

Aber der Eindruck, dass man sich hier in einer kampffreien Zone befindet, täuscht. Aus einer geheimen Kellertür, gleich neben dem mit einer goldenen „Venus von Willendorf“ gekrönten Christbaum, tritt ein schlanker Mann mit schwarz umrandeter Brille und orange-blauer Winterjacke. Es ist der Biologe Pascal Querner. Als er den Christbaum sieht, sagt er: „Da haben sie mich mal wieder nicht gefragt.“

Querners Reich in diesem riesigen, von Kaiser Franz Joseph I. in Auftrag gegebenen Kuppelbau mit seinen mehr als 25 Millionen Objekten sind nicht nur die Ausstellungsräume. Es sind die Lagerräume, die Archive, der Untergrund. Dort muss er gleich wieder Klebefallen kontrollieren, denn was in den Schauräumen tot bei Besuchern Begeisterung entfacht, das setzt woanders lebend Exponaten zu. 19 verschiedene Schädlingsarten hat Querner im Gebäude ausgemacht. Hinzu kommen 350 Insekten, Spinnentiere und andere Gliederfüßer. „Das Naturhistorische dürfte weltweit das Museum mit der höchsten Diversität sein“, sagt Querner, 49. „Es handelt sich um eine Hochrisikosammlung.“ Für den Christbaum in der Eingangshalle zumindest kann er Entwarnung geben: „Das ist ein klassischer lebender Baum aus dem Wald, da dürfte nichts Schlimmes drauf sein.“

Der Weihnachtsbaum stellt Pascal Querner zufolge keine Gefahr dar. Aber was ist mit den Anhängern? Nicht dass sich darin irgendein gefräßiges Käferlein versteckt. (Foto: Martin Zips)

Die eigentliche Gefahr lauert woanders. Zum Beispiel in Leihgaben, aus welchen Kleidermotten schlüpfen, die ihre Eier dann womöglich in ausgestopften Tieren ablegen. So wie vor einigen Jahren in einem Berliner Museum, wo plötzlich Hunderte Motten aus tibetanischen Reissäcken krochen. In Wien ist ein solches Szenario unwahrscheinlich. „Unsere historischen Stopfpräparate wurden vor langer Zeit mal mit Arsen behandelt“, erklärt Querner. Das biete auch heute noch einen guten Schutz. Mittlerweile sei Arsen natürlich verboten.

Auch Pelzkäfer, Wollkrautblütenkäfer und Museumskäfer können Exponaten gefährlich werden, zum Beispiel getrockneten Insekten. Brotkäfer und Tabakkäfer wiederum stellen für das Herbarium mit seinen mehr als 200 000 Pflanzentypen eine Gefahr dar.

Vor einige Zeit, erzählt Querner, seien während einer Schau in einem Wiener Kunstmuseum plötzlich Dutzende Käfer aus dem Holzrahmen einer italienischen Leihgabe geschlüpft, da sei er gleich gerufen worden, weil man auch um die anderen Exponate und den Parkettboden fürchtete. Das Bild sei sofort in Quarantäne genommen worden.

Mariä Verkündigung, angefressen von Braunen Nagekäfern

Er kann schon froh sein, dass zumindest hier, im Naturhistorischen, weder Joseph Beuys noch Anselm Kiefer ausgestellt werden. Einige Materialien, die diese Künstler verwendeten, sind für Schädlinge besonders schmackhaft. Der Schweizer Künstler Dieter Roth nannte Motten, Würmer und Brotwürmer gar mal seine „Assistenten“. Und seine deutsche Kollegin Katharina Grosse machte die Hamburger Museumswelt mit faulenden Kieferbäumen nervös. Noch nicht mal religiöse Kunst ist vor Schädlingsbefall gefeit: In einer Berliner Gemäldegalerie plumpsten einmal Braune Nagekäfer aus der „Verkündigung an Maria“.

Der aktuell schlimmste Feind vieler Sammlungen ist das Papierfischchen, ein hungriger Zellulose-Fresser, der sich im Gegensatz zum Silberfischchen auch in trockenen Räumen ausgesprochen wohlfühlt. „Schauen Sie einmal“, ruft Pascal Querner, zurück im staubigen, dunklen Museumskeller. „Da hinten läuft gerade wieder eins.“ Und tatsächlich: Das Fischchen bahnt sich seinen Weg zwischen dem Kickertisch für Mitarbeiter und einer rätselhaften Schaufensterpuppe mit Schweinekopf.

Im Museum ist nicht immer alles seriös. (Foto: Martin Zips)

Die Papierfischchen sind nicht nur in Österreich ein Problem, wo sie seit 2003 nachgewiesen sind. Von selbst wandern die Millionen Jahre alten Tierchen übrigens nicht durch die Welt, es ist immer der Mensch, der sie verschleppt. Meist gelangen sie über Verpackungsmaterial in die Gebäude und fressen sich dann glücklich durch Bücher, Fotografien und Dokumente. „Papierfischchen werden fünf bis sieben Jahre alt“, sagt Querner. „Sie leben in Spalten und Ritzen und vermehren sich bei Staub, Feuchtigkeit und Wärme exponentiell.“ Um den Schädling aus dem Naturhistorischen Museum am Wiener Ring wieder herauszubekommen, müsste man eigentlich das gesamte Gebäude schockfrieren. Und da das nicht geht, hilft vor allem: putzen, kehren, saugen und Fallen stellen.

Die Klebefalle ist einigen Käfern zum Verhängnis geworden. (Foto: Martin Zips)

Querner, als Sohn eines österreichischen Diplomaten in Hongkong aufgewachsen, sammelte schon als Kind Insekten und spezialisierte sich nach dem Biologiestudium auf „Integrated Pest Management“, wie sich moderne Schädlingsbekämpfung nennt. Er ist einer von nicht mehr als zehn Menschen weltweit, die von ihrem Fulltime-Job als Museumsberater leben können. Mal ist seine Kompetenz in Oman gefragt, dann in Sri Lanka. Mal beteiligt sich Querner an wissenschaftlichen Projekten, dann schult er Museumspersonal in Workshops. Zudem untersucht er gerade gemeinsam mit einer Doktorandin die Auswirkungen des Klimawandels auf Museumsschädlinge („Die Doktorandin macht den Schimmel, ich die Insekten“). Und so viel sei schon mal gesagt: Je wärmer und je feuchter, umso zufriedener sind die Schädlinge.

Im Keller führt er seinen Besucher nun zum Herzstück der Schädlingsbekämpfung: vor die große Stickstoffkammer. In ihr wird, das kann man durch ein Fenster sehen, gerade ein auf dem Rücken liegendes, ausgestopftes Eichhörnchen „begast“. Auch die 30 000 Vogelpräparate, die dem Naturhistorischen Museum kürzlich aus einer privaten Sammlung geschenkt wurden, haben hier schon viele Tage verbracht. „Mindestens drei Wochen in der Stickstoffkammer – das überlebt kein Tier. Außerdem gibt es im Museum noch Tiefkühlkammern und -truhen, die den meisten Larven den Garaus machen können.“

Interessant, dass nur ein paar Räume weiter Präparatoren Speckkäfer züchten, welche ihnen Skelettknochen sauber fressen. Kontrollierte Natur kann dem Menschen durchaus nützlich sein. Auch Querner unterhält bei sich zu Hause eine kleine Papierfischchenzucht – er braucht ja Anschauungsmaterial für Kurse und Experimente.  Natürlich achtet er pingelig darauf, dass ihm kein einziges Tier entwischt.

Das Museumspersonal bittet er immer wieder darum, die Fenster geschlossen zu halten. Doch das ist leichter gesagt als getan: Eine Klimaanlage gibt es im Naturhistorischen nicht, und seit auch der alte Luftkanal aus Sicherheitsgründen zugemauert werden musste, messen die Innenthermometer im Sommer hier schon mal 30 Grad.

In flagranti erwischt: Querner dringt eigentlich darauf, dass alle Fenster geschlossen bleiben mögen. (Foto: Martin Zips)

Unten im Keller öffnet sich jetzt plötzlich eine Aufzugtür. Eine italienische Familie hat den falschen Knopf gedrückt. Querner unterstützt sie bei der Suche nach dem richtigen und meint anschließend: „Das darf natürlich nicht passieren, dass die Museumsbesucher irrtümlich hier unten landen.“ Sie könnten ja Geisterfischchen oder Teppichkäfer am Schuh kleben haben.

Später, als man das Gebäude wieder verlässt, ist man betört von der Vielfalt der Natur, zugleich etwas aufgewühlt und sich hektisch kratzend. Wie groß die nachgebildeten Käfer und Fliegen oben in der Ausstellung waren! Bedrohlich wie auf den Bildern eines Alfred Kubin oder Hieronymus Bosch.

Auf dem Weg zurück in die Innenstadt schaut man noch schnell im Haus der österreichischen Geschichte am Heldenplatz vorbei und betrachtet das dort ausgestellte Original-Eurovision-Song-Contest-Kostüm von Conchita Wurst jetzt mit ganz anderen Augen. Als man dann auch noch hinaus auf jenen Balkon blickt, von dem aus Hitler einst den „Anschluss“ verkündete, traut man seinen Augen nicht: Gleich neben der Balkontür steht eine Insektenfalle. Pasqual Querner hat sie dort aufgestellt. Es ist schon ein Kampf mit der Natur.

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