Mütend ist also das neue pandemische Kollektivgefühl. Mit diesem Neologismus aus "müde" und "wütend" beschrieb die Ärztin Carola Holzner vor wenigen Tagen in einem vielbeachteten Facebook-Post, was 13 Monate Pandemie und das "politische Rumgeeiere" bei ihr auslösten. Als Markus Lanz am Dienstagabend im ZDF den zugeschalteten Ministerpräsidentenkonferenzteilnehmer Stephan Weil fragte, ob er wisse, was sich hinter dem Wörtchen verberge, schaute der zwar verwirrt - und müde, wegen nächtlicher Dauerverhandlungen. Doch andere Teilnehmer blickten wissend in die Runde und im Gefühls- und Meinungsbekundungsmedium Twitter war die Zustimmung ohnehin groß.
Die Menschen sind mütend. Die bananenbrotige Anfangseuphorie der Pandemie ist längst einer Dauermüdigkeit gewichen, doch die Leute sind nicht mehr nur pandemüde, sie sind jetzt auch verärgert: über Ja-Nein-Jein-Lockdowns, Verlängerungsverlängerungen, Dochnichtruhetage und förderale Extrawürste. Mütend eben.
In außergewöhnlichen Situationen, wenn sich Gefühle überlagern, scheint das vorhandene Vokabular einfach nicht mehr auszureichen - und Menschen erfinden neues. Goethe zum Beispiel schrieb von Hoffnungslust. In jener Elegie ging es zwar um (unerfüllte) Liebe, doch der Neologismus passt ebenso zur (unüberwundenen) Pandemie. Gleiches gilt für das Wörtchen weltschmerzdunkel in Joseph von Eichendorffs Lyrik. Und auch Erich Kästners Optimistfink würde wunderbar auf die Liste der Corona-Wortneuschöpfungen passen, am besten in der Kategorie Schimpfwörter neben dem Covidioten (abwertend für Mensch, der sich in der Pandemie unangemessen verhält), dem Schlafschaf (abwertend für Person, die nicht an Verschwörungstheorien glaubt) und dem Wirrologe (abwertend für Virologe oder Mensch, der denkt, einer zu sein).
Mehr als 1200 Wörter, die in der Pandemie entstanden sind oder eine neue Bedeutung bekommen haben, hat das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in seinem Neologismenwörterbuch bereits dokumentiert. Neben all den Begriffen, die diverse Ministerpräsidentenkonferenzen hervorgebracht haben und hier nicht weiter erwähnt werden sollen, weil sie sowieso nur mütend machen, entdeckt man darunter viele schöne Kofferwörter.
So war an Coronachten keine Reise ins Warme angesagt, sondern Staycation - Urlaub zu Hause. Statt den neuen Trikini (zweiteilige Bademode mit passender Maske) am Strand zu tragen, konnte man einen Quarantini (Cocktail in der Quarantäne) zu Hause auf dem Sofa trinken. Modebewusste Menschen hatten längst ein Mask-Have (eine besonders trendige Mund-Nase-Bedeckung) neben dem langweiligen FFP2-Modell. Leider reagiert die Haut darunter manchmal unschön mit Maskne (Pickel aufgrund des Gesichtsstoffs).
Mütend steht noch nicht im Neologismenwörterbuch, und so treffend der Begriff und all die anderen verzeichneten sein mögen: Sie reichen immer noch nicht aus für all die pandemiesen Gefühle, die da noch sind: Man ist übermüpfig, und unausgerastet, hat Langeeile (Eile und Langeweile zugleich) und feiermisst so manche Party. Also blickt man sehnsuchend und müderfordert Corostern entgegen und hofft, bald aus seiner Coronarkose zu erwachen. Oder hat jemand eine bessere Covidee?