Süddeutsche Zeitung

Müll:Was ist schlimmer: Hundekot oder Hundekotbeutel?

Acht Millionen Hunde in Deutschland, 16 Millionen Kot-Haufen täglich - und die schwierige Frage nach der richtigen Entsorgung.

Von Thomas Hummel

Für einen Aprilscherz ist Hundekot immer gut. In diesem Jahr erregte die Meldung Aufsehen, dass zwei Niederländer mit einer Drohne und einer Wärmebildkamera die Ausscheidungen aufspürten, eine weitere Drohne mit einem inkludierten Staubsauger entfernt sie dann ein für alle Mal. Niemand müsse sich mehr die Finger schmutzig machen. Was sich nach einem Traum für alle Stadtpolitiker, Stadtreiniger, Bürger und auch Hundebesitzer anhört, löste sich am 1. April leider in Nichts auf. Das Haufenproblem wartet weiterhin auf seine Lösung.

Fast acht Millionen Hunde sind heute in Deutschland gemeldet. Das ergibt etwa 16 Millionen Stinkehaufen pro Tag, ein gigantischer Entsorgungsfall. Der Mensch fliegt zwar bald zum Mars, aber es gelingt ihm nur schwerlich, seinem geliebten Hund den Gang auf eine Art Klo beizubringen. Also scheucht er ihn mehrmals am Tag aus der Wohnung, und der Hund macht wann und wo er muss. Die Städte und Kommunen reagieren darauf seit einigen Jahren, in dem sie die Besitzer anweisen, den Kot ihrer Tiere einzusammeln und in den Mülleimer zu werfen. Das führte zur allgemeinen Entspannung, weil die Fälle von Hundescheiße an der Schuhsohle massiv zurückgingen. Doch seitdem gibt es ein neues Problem: die Hundekottüten, fast immer aus Plastik.

Deutschland schmeißt weg - ein Schwerpunkt

Mehr als 45 Millionen Tonnen Haushaltsmüll wandern in Deutschland jedes Jahr in die Tonne. Zwar wird ein Teil davon recycelt, die Statistik aber zeigt: Der Müll in Deutschland wird nicht weniger, im Gegenteil: Wir schmeißen immer mehr weg. Ist das ein Problem? Alle Texte zum Thema finden Sie hier.

Schätzungen zufolge werden mehr als 500 Millionen Beutel pro Jahr in Deutschland verwendet, die meisten davon landen in der Müllverbrennungsanlage. Denn ein Plastikbeutel mit Hundekot darin ist nicht recyclebar. Und was noch schlimmer ist: Manchem Herrchen ist selbst das Tragen der Plastikbombe zum nächsten Mülleimer zu viel.

"20 Prozent der Tüten werden irgendwo in der Gegend entsorgt", sagt Gerd Geerdes, Einsatzleiter der Stadtreinigung in Wilhelmshaven, "die Dinger werden an den Zaun gebunden, in die Hecke geschmissen oder fliegen ins Meer." Worin genau die Motivation liegt, den Kot des Tieres erst einzusammeln und ihn dann mitsamt der Tüte wieder in die Natur zu werfen, ist rätselhaft. Angeblich glauben einige, dass sie mit der Hundesteuer quasi den städtischen Reinigungsdienst bezahlen. Was die Behörden strikt zurückweisen. "Man müsste die Hundehalter angehen", klagt Geerdes, "das findet auch hin und wieder statt. Aber generell ist man da machtlos."

Rita Kampmann betreibt in München die Hundeschule "Freude am Hund" und kann das nur bestätigen: "Es liegen überall die Säckchen rum." Sie gehe zu den Leuten hin und versuche mit ihnen zu reden. Oft genug aber sammelt sie die vollen Beutel rund um den Olympiapark selbst ein, weil sie fürchtet, diese würden sonst mir ihrer dort ansässigen Hundeschule in Verbindung gebracht. Für Kampmann trägt die Stadt an dem Dilemma eine Mitschuld: "Es gibt viel zu wenig Mülleimer. Die Leute wollen halt nicht den Kackbeutel durch den halben Park tragen." Also landen die Dinger am Wegesrand, manchmal entstehen regelrechte Sammelstellen mit zwei Dutzend Gassibeuteln.

Kommt nicht zufällig Frau Kampmann oder ein städtischer Reinigungsdienst vorbei und entsorgt sie, liegen die Tüten dort bis in alle Ewigkeiten. Denn Plastik verrottet nicht. "Es ist schon gruselig, wie viel Plastikmüll da entsteht", findet die Hundetrainerin. Sie hadere oft mit der Frage: Was ist schlimmer, Hundekot oder Hundekot-Plastiktüte? Genau darauf hat sich Arne Krämer aus Hamburg spezialisiert.

Der 30-Jährige widmete sich in seiner Abschlussarbeit in International Business und Marketing dem Thema Umweltverschmutzung durch Hundekottüten. Er erstellte die Internetseite Poopmap.de, auf der Menschen Fotos weggeworfener Gassibeutel hochladen können, anhand des GPS-Codes finden sich Fundort und Bild auf einer Karte wieder. Binnen kurzer Zeit beteiligten sich Hunderte an dem Projekt, vor allem in Hamburg. Heute ist Krämer ein Experte für Hundekottüten - und Geschäftsführer der Sustainable People GmbH, die biologisch abbaubare Beutel verkauft. Er kann stundenlang über Gassibeutel referieren, über Materialien, Preise, Herstellungsfragen. Oder wieso ein grellroter Beutel abschreckender für Umweltverschmutzer ist als ein schwarzer. Krämer hat über diese Themen einen mehrseitigen Leitfaden im Internet veröffentlicht. Für den umweltbewegten Hundehalter hat er allerdings eine schlechte Nachricht: "Den idealen Hundebeutel gibt es nicht."

Er habe einen Beutel produziert, der zu 50 Prozent aus Abfällen der Pommesproduktion hergestellt war. Doch: "Der war zu teuer, nur eine Stadt wollte ihn kaufen." Er reduzierte den Anteil pflanzlicher Stoffe auf 30 Prozent, der Rest ist erdölbasiert, liege jedoch in einer chemischen Struktur vor, die von Enzymen und Mikroorganismen abgebaut werden kann. Landet so eine Tüte samt Inhalt im Gebüsch, wird sie sich im Laufe der Zeit zersetzen.

Als einer der Ersten wurde Gerd Geerdes von der Stadtreinigung in Wilhelmshaven auf die neuen Beutel aufmerksam. Die Stadt am Wattenmeer wollte etwas tun gegen herumliegende Plastiksäckchen: "Man weiß ja, wie schädlich Plastik gerade in den Meeren ist", erklärt Geerdes, weshalb die Politiker den Mehrkosten für die abbaubaren Biotüten zustimmten. Nun erhält Geerdes Anrufe von Kollegen anderer Städte und Gemeinden, die sich über das Modell informieren wollen: "Das finde ich in Ordnung, denn man muss sich ja gegenseitig helfen", sagt er.

Doch nur wenige Kommunen ringen sich bislang zur umweltverträglichen Lösung durch. Mit ungefähr einem Drittel Zusatzausgaben müssen sie rechnen, da käme etwa in München bei fast zehn Millionen Gassibeutel pro Jahr ein ordentlicher Betrag zustande. Den der Steuerzahler finanziert. Krämer argumentiert freilich, dass man die Folgekosten der Plastik-Verschmutzung mitrechnen müsse.

Egal ob Kot oder Kotbeutel, der ideale Umgang mit den Ausscheidungen des Hundes ist schwer zu finden. In Neapel, Málaga oder einigen Stadtvierteln Londons nehmen die Behörden DNA-Proben der Tiere, um die herumliegenden Haufen zuordnen und die Besitzer bestrafen zu können. Die Stadtreinigungsbetriebe der deutschen Hundehauptstadt Berlin (etwa 100 000 Halter) nutzen 13 sogenannte Hundekotbeseitigungsfahrzeuge, die die Haufen einfach wegsaugen. Außerdem ist es in Berlin inzwischen Pflicht für einen Hundeausführer, eine Tüte bei sich zu tragen, sonst droht eine Ordnungsstrafe.

Und dennoch bleiben die Hundekothaufen ein immerwährendes Problem. Da darf man schon mal träumen von einer Drohne, die die Stinkbomben einsammelt. Am besten sollte sie damit zum Mars fliegen.

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