Mount Everest:Von wegen heilig

Mount Everest: Das Kloster Rongbuk liegt beschaulich und abgeschieden an der Nordseite des Mount Everest - noch.

Das Kloster Rongbuk liegt beschaulich und abgeschieden an der Nordseite des Mount Everest - noch.

(Foto: imago)

Hotel, Hubschrauberlandeplatz, Mietwagen-Station: China baut ein Besucherzentrum am Mount Everest. Die Bergsteiger-Szene befürchtet eine weitere Kommerzialisierung im Himalaja.

Von Titus Arnu

Die Gegend rund um das Kloster Rongpu in Tibet ist karg und menschenleer. Rongpu liegt auf knapp 5000 Metern und gilt als einer der höchsten und kältesten ständig bewohnten Plätze der Erde, es wurden dort schon Temperaturen unter 55 Grad minus gemessen. Etwa 30 buddhistische Mönche und Nonnen leben im höchsten Kloster der Welt, sie haben einen erhebenden Blick auf die Qomolangma, die "Mutter des Universums", besser bekannt als Mount Everest.

Wer den höchsten Berg der Welt von Norden her besteigen will, kommt am Kloster Rongpu vorbei. Die Chinesen haben Rongpu mit einer Schotterpiste für geländegängige Autos und Kleinbusse erschlossen. Die Straße endet auf 5200 Metern an einem Campingplatz, es gibt Parkplätze, kleine Lebensmittel- und Souvenirläden. Wer will, kann vom höchsten Postamt der Welt eine Everest-Postkarte abschicken.

Was kommt als Nächstes? Ein Wellnesshotel mit Blick auf den Hillary Step?

Nun will China die Infrastruktur an der Nordseite des Berges weiter ausbauen. Geplant ist ein internationales Bergsteiger-Zentrum mit Hotel, Restaurants, Seminarräumen, Hubschrauberlandeplatz und einer Bergrettungszentrale. "Es wird außerdem ein Bergsteigermuseum geben, eine Mietwagenstation, Werkstätten für Autos, Motorräder und Fahrräder", sagt Nyima Tsering, Direktor der Sportbehörde von Tibet. Die Anlage soll so groß werden wie zwölf Fußballfelder und 100 Millionen Yuan kosten, etwa 13,5 Millionen Euro. Wie die staatliche Zeitung China Daily berichtet, soll die Anlage im Ort Old Tingri bis zum Jahr 2019 fertiggestellt werden.

In der Bergsteigerszene ist die Aufregung groß seit der Ankündigung des Projekts, befürchtet wird eine "Disneylandisierung" der gesamten Region. Nicht genug, dass kommerzielle Expeditionen auf Routen unterwegs sind, die mit Fixseilen und Leitern präpariert sind, und man mit dem Bus fast bis ins tibetische Basislager fahren kann - jetzt auch noch ein Hotel mit Heliport? Was kommt als Nächstes? Ein Wellnesshotel mit Blick auf den Hillary Step?

Der reflexartige Aufschrei war zu erwarten, doch man muss die Sache etwas relativieren. Das Besucherzentrum entsteht nicht direkt am Everest, Old Tingri liegt etwa 60 Kilometer nordwestlich des Gipfels. Trekking-Puristen, die lieber vier Tage zu Fuß gehen zum Basecamp, als in einen Jeep zu steigen, mögen die Nase rümpfen, aber für Touristen und Bergsteiger wird der Stützpunkt auch Vorteile bringen.

Bislang gibt es keine fest stationierte Bergrettung am Everest, weder auf der Nord- noch auf der häufiger frequentierten Südseite. Ein Rettungshubschrauber nur wenige Flugminuten entfernt könnte Alpinisten aus lebensbedrohlichen Situationen helfen (sofern sie sich in einer Höhe befinden, die der Hubschrauber noch erreichen kann), und Trekkingtouristen ausfliegen, die sich verletzt haben oder an akuter Höhenkrankheit leiden.

China will mit dem Projekt den Tourismus in der armen und politisch heiklen Region ankurbeln. Die Chinesen sind im Vorfeld der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking dabei, den Bergtourismus und Wintersport im großen Stil zu fördern. Das Besucherzentrum am Everest ist nur ein kleiner Teil eines ambitionierten Fünfjahresplans, der die Alpinkompetenz des Landes steigern soll - unter anderem mit dem Bau neuer Skigebiete wie dem höchsten Lift der Welt in der Nähe von Lhasa. Die Investitionen im Everest-Gebiet sind eine Initialzündung für die touristische Erschließung auf chinesischer Seite.

Für die Konkurrenz im Süden sind das beunruhigende Nachrichten. In Nepal ist der Bergtourismus einer der wichtigsten Wirtschaftszweige. Allein durch die Besteigungsgenehmigungen für den Everest kassiert Nepals Regierung jährlich drei Millionen US-Dollar an Gebühren, etwa 11 000 Dollar pro Person. Doch nach dem verheerenden Erdbeben im Jahr 2015 gingen die Besucherzahlen drastisch zurück, zum Teil um die Hälfte. Das Land erholt sich nur langsam, die Schäden an Straßen, Brücken und Gebäuden sind teilweise noch nicht repariert, internationale Hilfsgelder versickerten bei korrupten Behörden. Nepal ist eines der ärmsten Länder der Welt, und der Entschlossenheit Chinas, Skigebiete und Hotels aus dem Boden zu stampfen, hat man wenig entgegenzusetzen.

Auf der populären Südroute des Everest versuchten sich im vergangenen Jahr mehr als doppelt so viele Bergsteiger wie auf der Nordroute von Tibet aus. Auf der Nordroute muss man drei technisch anspruchsvolle Steilstufen überwinden. Dafür müssen die Bergsteiger auf der Südseite durch den Khumbu-Eisbruch, ein Labyrinth aus Gletscherspalten und Séracs, haushohen Türmen aus Eis. In diesem Abschnitt passieren die meisten tödlichen Unfälle am Everest. 2014 starben dort 16 einheimische "Icefall Doctors", als sie die Route für die Touristen präparierten. Auf der überfüllten Südroute kommt es manchmal zu regelrechten Staus an den Schlüsselstellen. Eine Straße zum Basecamp gibt es auf der nepalesischen Seite nicht - und schon gar kein Hotel mit Hubschrauberlandeplatz. Das spricht alles dafür, dass die Nordroute in Zukunft mehr genutzt wird.

China hat scharfe Restriktionen angekündigt, um unerfahrene Kletterer von der Besteigung des Achttausenders abzuhalten. Zudem sollen Behördenvertreter das Management der Expeditionen besser überwachen und dafür sorgen, dass die Besucher ihren Müll wieder mitnehmen. Das klingt alles vernünftig, ist aber für manche Einheimische rund um den Berg trotzdem eine schlechte Nachricht, nicht nur wegen der weiteren Kommerzialisierung. Die Mutter des Universums gilt vielen Buddhisten immer noch als heiliger Berg. Die Chinesen haben da andere Prioritäten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: