Motivwagen:Wenn der Geist des Karnevals missbraucht wird

Verdacht auf Volksverhetzung nach Faschingsumzug

Verdacht der Volksverhetzung: Am Sonntag rollte ein Faschingspanzer mit der Aufschrift "Ilmtaler Asylabwehr" auf einem Umzug im oberbayerischen Reichertshausen.

(Foto: Florian Simbeck/dpa)
  • In Reichertshausen rollte ein Faschingspanzer mit der Aufschrift "Ilmtaler Asylabwehr" auf einem Umzug.
  • Die Verantwortlichen beteuern, dass keine rechtsradikale Gesinnung dahinter stecke, die Staatsanwaltschaft ermittelt trotzdem.
  • Mit den Prinzipien des Karnevals hat so ein Wagen jedenfalls nichts zu tun.

Von Ingrid Fuchs und Harald Hordych

Ist das noch Fasching oder ist das schon Krieg? Über die Straße im oberbayerischen Reichertshausen rollt ein Papp-Panzer, der Nachbau eines Tigers, eines Modells der Wehrmacht. Die Attrappe war offenbar schon in den vergangenen Jahren Teil des Gaudiwurms des Oberilmtaler Carnevalvereins (OCV) und niemand hat sich darüber aufgeregt. Doch an diesem Sonntag hat der Panzer eine neue Beschriftung und ruft Empörung hervor. Auf die eine Seite des Gefährts hat jemand "Asylpaket III" gepinselt, auf die andere "Ilmtaler Asylabwehr", oben drauf sitzen während des Faschingszuges ein paar Gestalten in Olivgrün und Flecktarn.

Eine Persiflage auf die schießwütige AfD? Einfach nur Gaudi? Oder der Ausdruck einer politischen Gesinnung? Was sich das Brüderpaar aus dem oberbayerischen Petershausen dabei gedacht hat, ist auch am Tag danach nicht ganz klar. Die Mutter beharrt auf der Version einer harmlosen Gaudi. Der Donaukurier berichtet dagegen, dass die Männer damit durchaus gegen die Asylpolitik der Bundesregierung demonstrieren wollten. Von möglicher Satire ist kaum mehr die Rede.

Der Verdruss richtete sich früher gegen die Herrschenden

Die Verantwortlichen des OCV beteuern zwar, dass gewiss keine rechtsradikale Gesinnung dahinter stecke, die Staatsanwaltschaft ermittelt aber trotzdem. Jemand hat Anzeige wegen Volksverhetzung erstattet. Der Papp-Panzer ist nicht der erste Fall, an dem sich Streit entzündet. Was zu der Frage führt: Was ist im Karneval erlaubt und was nicht?

Straßenumzüge mit Motivwagen sind gemessen an der Zeit, seit dem Karneval vielerorts gefeiert wird, eine junge Erscheinung. In Köln wird der Rosenmontagszug seit 1823 organisiert, in Düsseldorf seit 1825. Die Lust, sich zu verkleiden, reicht bis in die Antike und heidnische Kulturen zurück. Die bösen Wintergeister sollten vertrieben werden. Das ausgiebige Feiern vor der Fastenzeit (Carne vale = Fleisch lebe wohl) wurde von der katholischen Kirche geduldet, ja teilweise sogar gefördert. Er diente als Ventil.

Was da an Verdruss und Ärger herauskam, richtete sich gegen die Herrschenden, gegen die man praktisch nichts ausrichten konnte. König und Kirche durften endlich einmal lächerlich gemacht werden, durch Narren, die ein Narrenreich nachbildeten und in dem ein Narrenkönig regiert. Unten tritt ausnahmsweise mal nach oben - dieser Grundsatz gehört bis heute zu den Merkmalen des Karnevals. Um das zu verstehen, reicht ein Blick auf die Motivwagen der im Fernsehen übertragenen Umzüge, die durch die Hochburgen Mainz, Düsseldorf oder Köln ziehen.

Karneval ist anarchisch

Dabei gilt, dass ein Motivwagen im Rosenmontagszug die Dinge verkürzt, gern auch platt, darstellen darf. Wenn das anders wäre, könnte man den Karneval abschaffen: Er ist anarchistisch. Was mehr ist als die im Straßenkarneval konsequent befolgte Aufforderung zum Schunkeln mit allen Körperteilen. Die Wagen bei den Rosenmontagszügen sind in der Wahl ihrer Mittel nie zimperlich gewesen. Da rollt ein Wagen an Millionen Schaulustigen vorbei, denen teilweise die Sicht verdeckt ist. In Sekunden muss sich die Pointe erschließen. Mit hintersinnigen Andeutungen darf sich der Karneval nicht aufhalten.

Gerade die Düsseldorfer und Kölner Narren haben sich nie falsche Zurückhaltung auferlegt: 2009 etwa wurde Angela Merkel zur "Kapitolinischen Wölfin" im Geiste des antiken Roms, an deren Kanzlerzitzen sich die angeblich Bedürftigen nähren durften: "Abwrackprämie" und "Bankenhilfe". Auch ihr Vorgänger Schröder zog blank: Mit geöffnetem Bademantel stand der nackte Gerhard auf dem Hänger, wie ein Exhibitionist entblößte er sein Genital. Warum? Weil er der alten kreischenden Dame SPD die nackten Tatsachen präsentierte: Der Staat ist pleite.

Der Geist des Karnevals

Jedes Mal wird die Frage aufgeworfen: Dürfen die das? Die närrische Meinungsfreiheit nimmt sich viel Raum, wenn es gegen die da oben geht. Und das müssen die Mächtigen aushalten. Nun rollt ein Panzer, noch dazu einer aus dem von Nazideutschland ausgelösten Zweiten Weltkrieg, und die Interpretation ist zwingend, dass er am Ende das Mittel gegen die vielen Menschen sein soll, die auf ihrer Flucht in diesem Land Aufnahme finden wollen.

Kein Flüchtling ist zu sehen. Nicht mal der Hauch einer fremdenfeindlichen Karikatur ist zu entdecken. Genauso wenig wie beim Karnevalsumzug durch das thüringische Wasungen, wo ein Balkan-Express Richtung Europa rollte, auf dem kein Flüchtling zu sehen war, dafür aber ein Schriftzug: "Die Plage kommt."

Die Gerichte werden klären, ob in solchen Fällen der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt ist. Unabhängig davon aber wird so der Geist des Karnevals für Stimmungsmache missbraucht, die dort nichts verloren hat. Denn der Stich wird gegen Menschen geführt, die mitnichten die da oben sind. Es geht um die Ärmsten der Armen und diejenigen, die um Schutz nachsuchen. Der Ilmtaler Panzer und der Wasunger Expresszug widersprechen den Prinzipien des Karnevals, selbst wenn kein Wort so wenig zum karnevalistischen Ausnahmezustand passen mag, wie das Wort Prinzip.

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