Mordserie an brasilianischen Umweltschützern:Märtyrer für den Regenwald

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"Ein Klima der totalen Straflosigkeit": In Brasilien herrscht nach einer Mordserie an Umweltschützern Alarmstimmung. Wer sich für den Amazonas einsetzt, legt sich mit der Agrarmafia an - und muss um sein Leben fürchten.

Peter Burghardt

José Claudio Ribeiro da Silva wusste, dass ihn sein Einsatz für Amazonien ins Grab bringen konnte. "Ich verteidige den Regenwald, koste es, was es wolle", sagte der Brasilianer im November bei einer Konferenz in Manaus. "Deshalb kann ich jeden Moment eine Kugel in den Kopf bekommen, wegen meiner Anklagen gegen Holzfäller und Köhler. Denn die finden, ich darf nicht existieren."

Roden und Morden: Nachdem der Raubbau am Amazonas einige Jahre nachgelassen hatte - unter anderem wegen des gefallenen Sojapreises - sind in den vergangenen Monaten wieder so viele Bäume gefällt worden wie lange nicht. Wer sich in Brasilien gegen die Agrarmafia und ihre Söldner stellt, riskiert sein Leben. (Foto: dpa)

Man kann sich seine Rede auf YouTube anhören und sieht einen beeindruckenden Mann mit schwarzer Kappe und weißem Shirt. "Ich bin ein Sohn des Regenwaldes, ich lebe davon", berichtete Ribeiro, 52, dort. Er erzählte vom Schutzgebiet Praialta-Piranheira im Bundesstaat Pará, wo er seit seinem 17. Lebensjahr Paranüsse und die kakaoartige Frucht Cupuaçu erntete. 85 Prozent seien dort von Dschungel bedeckt gewesen, "jetzt sind es noch 20 Prozent, der Rest wurde schon abgeholzt." Und nun ist Ribeiro tot.

Es war die Chronik eines angekündigten Todes, in einer der schönsten und gesetzlosesten Gegenden der Welt. Am 24. Mai wurden der Umweltschützer und seine Ehefrau María do Espírito Santo da Silva erschossen, als sie die Brücke Nova Ipixuna bei Marabá überquerten. Die Mörder leerten ein Magazin und schnitten ihrem Opfer anschließend ein Ohr ab, als Trophäe. Ribeiro ereilte damit das gleiche Schicksal wie 1988 den Kautschukzapfer und Landarbeitergewerkschafter Chico Mendes, zu dessen Nachfolgern er gehörte. Wie die 2005 ermordete Ordensfrau Dorothy Stang und so viele andere.

Auch ein Zeuge am Tatort hatte nur noch vier Tage zu leben. Am 28. Mai wurde der 25- jährige Landwirt Erenilto Pereira dos Santos mit zwei Schüssen niedergestreckt. Dazwischen starb in der ähnlich gewalttätigen Region Rondônia der Bauernführer Adelino Ramos, er hatte ebenfalls gegen die Holzindustrie protestiert und wurde genauso verfolgt wie Ribeiro. Ramos, Kosename Dinho, war ein Überlebender des Massakers von 1995 an zwölf Kleinbauern in Corumbiará gewesen.

Und am Samstag fand man schließlich auch die Leiche des Aktivisten Obede Loyla Souza, 31 Jahre alt. Sein durchlöcherter Körper lag in einer Siedlung namens Esperança (Deutsch: Hoffnung). Die Täter hatten aus einem schwarzen Geländewagen heraus auf ihn gefeuert.

Spätestens seit diesen fünf Morden binnen weniger Tage ist wieder Alarmstimmung in Brasilien. Vor allem Pará sei "Wilder Westen", klagt die Pastoral-Kommission der Erde, die für die brasilianische Bischofskonferenz Entrechtete vertritt. Die Unsicherheit sei absolut, sagt ihr Anwalt José Batista, "weil das Klima der Straflosigkeit total ist." Laut der Vereinigung wurden insgesamt 212 Ökologen und Menschenrechtler umgebracht, seit 1996 in El Dorado de Carajás 19 Bauern getötet worden waren. 809 Namen stünden auf der Todesliste der Agrarmafia und ihrer Söldner.

Derweil habe die Landlosenbewegung Sem Terra mit Tausenden Familien 463 Farmen besetzt. Vom Staat seien 799 Bauern eingesperrt und 28.000 Sklaven befreit worden. Nach anderen Rechnungen gab es in zwei Jahrzehnten sogar 1000 Tote im Dunstkreis des Amazonas, der Hauptschlagader im Busch.

Hinter den Attentaten steckt der uralte Konflikt um Ländereien, der in Brasilien nie durch eine Landreform oder verlässliche Kataster gelöst wurde. Ein Brasilianer etwa gab nun bekannt, er besitze zwölf Millionen Hektar Wildnis. Holzfirmen und Straßenbauer fressen sich mit Motorsägen, Äxten und Feuer in die Lunge der Menschheit, ihnen folgen Siedler, Rinderfarmer und Monokulturen voller Soja und Zuckerrohr. Fonds und Banken investieren Milliarden in die Landwirtschaft, auch um gewaltige Wasserkraftwerke wird gestritten.

Tropenholzstämme sind dieser Art Fortschritt im Weg und zudem am Markt beliebt, auch Kohle für Stahlwerke findet immer mehr Abnehmer. Der Raubbau hatte zwar einige Jahre lang nachgelassen, unter anderem deshalb, weil der Preis für Soja fiel. Aber in den vergangenen Monaten wurde so viel Dschungel gefällt wie lange nicht, das hat mit gestiegenen Sojapreisen und einem neuen Waldgesetz zu tun.

Das Parlament in Brasilia verabschiedete gerade eine Verordnung, die Kahlschlägern allen Ernstes eine Amnestie verspricht und obendrein die Schutzbestimmungen aufweicht. Durchgesetzt hatte die skandalöse Wende die Agrarlobby mit ihren Soja-Königen und Fleisch-Riesen, Kritiker sahen sprachlos zu. "Die Mehrheit unserer Abgeordneten hat dem Mord an unseren Wäldern zugestimmt", sagte Amazoniens Greenpeace-Statthalter Paulo Adário. Brasilien habe noch viel zu tun, um eine echte Supermacht zu werden.

Dem Image des Aufsteigerlandes bekommen solche Nachrichten vor der WM 2014 und Olympia 2016 schlecht, das ahnt auch Präsidentin Dilma Rousseff. Sie will das Waldgesetz kippen und ließ einen Krisenstab bilden. Spezialeinheiten sollen besser kontrollieren und gefährdete Bewohner schützen. "Verbrechen wie diese können keine Routine in unserem Land werden", sagt die Menschenrechtsbeauftragte María do Rosário Nunes.

Für Opfer wie José Claudio Ribeiro kommt die Offensive der Regierung zu spät. Ob er Angst habe, war er gefragt worden. "Ja, ich bin ein Mensch, aber meine Angst bringt mich nicht zum Schweigen", antwortete Ribeiro. Das erledigten Auftragskiller.

© SZ vom 18.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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