Mordprozess: Mircos Mutter trifft Olaf H.:Auge in Auge mit dem Peiniger

Zum ersten Mal trifft Sandra S. im Krefelder Landgericht auf den mutmaßlichen Mörder von Mirco. Sie wirkt gefasst, als sie ihren toten Sohn als "zuverlässiges, lebhaftes" Kind beschreibt.

Er kam aus dem Nichts und riss den Sohn aus ihrem Leben: Am Donnerstagmorgen sagte die Mutter des zehnjährigen Mirco aus Grefrath im Prozess gegen den Mörder ihres Sohnes aus. Im Gerichtssaal des Krefelder Landgerichts traf Sandra S. zum ersten Mal auf Olaf H. Den Mann, der bis zu der schrecklichen Tat im September ein - nach außen hin - völlig unauffälliges Leben führte. Den Mann, der sie und Mircos Vater fünf Monate zwischen Verzweiflung und Hoffnung zappeln ließ. Den Mann, der ihren Sohn mutmaßlich überfallen, missbraucht und getötet hat.

Als die Mutter den Schwurgerichtssaal des Krefelder Landgerichts betritt, streift ihr Blick den mutmaßlichen Mörder ihres Sohnes. Unbewegt nimmt sie in der Mitte des Saals als Zeugin Platz. 20 Minuten lang schildert sie dann offen das Wesen Mircos, sein typisches Verhalten.

Das Gericht will so überprüfen, wie glaubwürdig die Aussagen von Olaf H. sind, der den Kindesmord in diversen Varianten gestanden hat. "Sie hatte den Anspruch, dem Täter ins Angesicht zu sehen. Das war wichtig für sie, sie musste es für ihren Sohn schaffen", erklärt die Anwältin der Eltern, Gabriele Reinartz, später. Die äußerliche Stärke sei ein Schutz-Mechanismus. "Da ist eine ganz immense psychische Belastung und eine ganz tiefe Betroffenheit."

Mircos Vater ist der Schmerz anzumerken. Er sitzt schwarz gekleidet als Nebenkläger neben den Staatsanwältinnen. Er hat die Hände gefaltet und vermeidet den Blickkontakt mit dem Angeklagten. Wenn er ihn kurz verstohlen anschaut, gefrieren seine Gesichtszüge.

Im Zeugenstand erzählt Mircos Mutter, dass ihr Sohn lebhaft und offenherzig war. "Er hat sehr direkt ins Gesicht gesagt, was ihm passt und was nicht." Für sein Fahrrad habe er gekämpft und es mit seinem Taschengeld mitbezahlt. "Mirco und sein Rad waren eine Einheit. Er hätte es nie alleine gelassen."

"Im Dunkeln war ihm unheimlich"

Dass Mirco am Tatabend in der Dunkelheit noch unterwegs war, sei eine Ausnahme gewesen: "Im Dunkeln war es ihm unheimlich. Eigentlich war er immer vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause." Sie rief ihn noch einmal an, mahnte zur Eile. Doch er kam nie zu Hause an.

Am zweiten Prozesstag hat das Gericht weitere Zeugen aus dem Umfeld des Opfers geladen. Es sollen jene Kinder aussagen, mit denen Mirco am Abend vor seinem Verschwinden unterwegs war. Gemeinsam mit ihnen hatte der Junge in einer Skateranlage gespielt, bevor er sich mit dem Fahrrad auf den Heimweg machte.

Das Verfahren begann am Dienstag mit einem grundsätzlichen Schuldeingeständnis des Angeklagten. Vorgetragen von seinem Verteidiger. Olaf H. selbst schwieg, wirkte in sich gekehrt, abwesend. Ein Baseball-Cap hatte er tief ins Gesicht gezogen, einen Papierstapel wie einen Schutzschild vor dem Gesicht. Entschuldigen wolle er sich nicht für die Tat, ließ er über seinen Anwalt Gerd Meister ausrichten, was er getan habe, sei unentschuldbar.

Am zweiten Prozesstag starrt er meist ins Leere. Er hört die Ausführungen von Mutters Mirco, er erfährt an diesem Tag auch, dass er zum dritten Mal geschieden ist. "Nach unserer Kenntnis ist die Scheidung bereits ausgesprochen", teilt ihm der Vorsitzende Richter Herbert Luczak mit. H. zuckt mit den Schultern.

H. hat die Tat gestanden, die genauen Umstände und auch sein Motiv sind aber noch unklar. In den polizeilichen Vernehmungen verstrickte er sich jedoch in Widersprüche: Mal will er an jenem Abend zu Hause gewesen sein, mal gab er zu, den Jungen getötet zu haben. Insgesamt 40 Zeugen hat das Krefelder Landgericht für die 15 Prozesstage geladen - die meisten von ihnen kommen aus dem Umfeld des mutmaßlichen Täters.

Es scheint, als wolle das Gericht versuchen zu klären, wer Olaf H. ist. Der dreifache Vater und Ehemann, der Vertriebsmitarbeiter, der Sexualstraftäter. Wie kann es geschehen, dass aus einem Familienvater ein Kindermörder wird? Gelingt es dem Gericht, auch nur in Ansätzen Antworten auf diese Frage zu finden, hilft das nicht nur dem Prozess.

Auch Mircos Familie könnte es helfen, das Unbegreifbare irgendwie zu verstehen.

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