Süddeutsche Zeitung

Mordprozess in Südafrika:Pitbull gegen Pistorius

Er trieb Oscar Pistorius an den Rand des Zusammenbruchs - und darüber hinaus. Fünf Tage lang hat Gerrie Nel, Beiname "der Pitbull", den wegen Mordes an seiner Freundin angeklagten Athleten verhört. Am Ende steht der Sportler alles andere als gut da.

Von Lena Jakat und Felicitas Kock

Ein Angeklagter, der mit bebender Stimme um Verzeihung bittet, weint und sich in Widersprüche verstrickt. Und ihm gegenüber ein Staatsanwalt, der nachfragt, bohrt, Druck aufbaut: Die vergangenen fünf Prozesstage in Pretoria waren dominiert von der Aussage des Paralympics-Athleten Oscar Pistorius - und von Staatsanwalt Gerrie Nel, der ihn ins Kreuzverhör nahm. Seine aggressive Verhörstrategie brachte dem Juristen in den Medien einen neuen Spitznamen ein: Pitbull.

In den Fragen des Anklagevertreters, der seit mehr als 30 Jahren als Staatsanwalt tätig ist, ließen sich Strategien erkennen, die er nutzte, um dem 27-jährigen Angeklagten zuzusetzen und ihn aus der Reserve zu locken:

Schneller Wechsel zwischen den Themen: Nels Kreuzverhör gleicht über weite Strecken dem Versuch, mit einer Nagelfeile einen Baum zu fällen. Wobei es sich bei dem Baum um Oscar Pistorius' Version der Tatnacht handelt, die zu Fall gebracht werden soll. Der Staatsanwalt wechselt in hohem Tempo zwischen verschiedenen Zeitpunkten, Orten und Vorwürfen. Bisweilen so schnell, dass der Zuhörer kaum hinterherkommt. Nel befragt Pistorius zum Beispiel detailliert zu Bauarbeiten an seinem Wohnhaus in Silver Woods, die 2009 oder 2010 ausgeführt wurden. Wann genau war das? Was wurde da gemacht? Nahmen die Arbeiter die Sensoren der Alarmanlage ab? Und dann - urplötzlich - der Sprung in die Tatnacht: Ob er sich 2013 einer Fehlfunktion der Alarmanlage bewusst war, will Nel von Pistorius wissen, und wann er die Anlage in der Tatnacht ausgeschaltet hat. Oder der Staatsanwalt fragt, ob Pistorius in dieser Nacht Angst hatte, als die Balkontüren offen standen - und ist im nächsten Moment bei einem früheren Vorfall auf der Autobahn, bei dem laut auf den Angeklagten geschossen worden sein soll.

Zermürbung: Die Zermürbungs-Taktik lässt sich beispielhaft anhand der Fragen zu den Tatort-Fotos beschreiben. Da wird ein Bild gezeigt, auf dem eine Jeans und ein Federbett zu sehen sind. Pistorius zufolge hat er die Jeans in der Nacht fallen lassen, die Bettdecke wurde später bewegt. Nel will nun genau wissen, wie sich das abgespielt hat. Immer wieder stellt er ähnliche Fragen: "Wie kam die Decke auf den Boden? Haben Sie die Decke auf den Boden gelegt? Hat sie Ihrer Meinung nach ein Polizist bewegt?" Wie dann die Jeans über der Bettdecke zu liegen gekommen sei, will er wissen: "Warum sollten sie (die Beamten, Anmerkung) die Jeans auf die Decke gelegt haben?" Pistorius hat keine Antwort.

Emotionaler Druck: Bereits in den ersten Prozesswochen hatte der Angeklagte extrem emotional auf Zeugenaussagen und Bilder zu Steenkamps Tod und Obduktion reagiert. Am zweiten Tag im Zeugenstand musste Pistorius seine Aussage vorzeitig abbrechen, weil er emotional zusammenbrach. Nichtsdestotrotz präsentiert Nel im Gerichtssaal Nahaufnahmen von der Schusswunde an Steenkamps Kopf. Der Staatsanwalt fordert den Angeklagten auf, sich das Foto anzusehen. Als sich dieser weigert, wirft Nel ihm vor, keine Verantwortung übernehmen zu wollen. Nel zeigt auch ein Video, in dem Pistorius bei Schießübungen auf eine Wassermelone zu sehen ist. "Wissen Sie, dass dasselbe mit Reevas Kopf geschah?" fragt er den Angeklagten. Pistorius' Antwort ist ein Schluchzen.

Provokation: An anderer Stelle versucht Nel, Pistorius zu reizen - unter anderem durch Fragen und spitze Anmerkungen zu dessen Charakter. Wenn er ihm etwa vorhält, bei einer Auseinandersetzung gezielt "Streit gesucht" zu haben. Oder wenn er ihm einen "seltsamen Instinkt" attestiert, weil Pistorius in der Tatnacht sofort zur Waffe griff, statt mit seiner Freundin zu sprechen. Als im Kreuzverhör wieder einmal die Sprache auf die entscheidenden Momente vor den Schüssen kommt, deutet Nel an, dass ein liebe- und rücksichtsvoller Partner anders gehandelt hätte als der Angeklagte.

Einschüchterung: Am ersten Tag des Kreuzverhörs zeigt sich Nel noch vergleichsweise freundlich. Er gebe ihm "den guten Rat", zuzuhören und exakt auf die Fragen zu antworten, die ihm gestellt würden, sagt er zu Pistorius. Doch mit der Zeit verliert Nels Ton an Zurückhaltung: Seine Aussagen brächten ihn immer tiefer in Schwierigkeiten, mahnt der Staatsanwalt. Immer wieder bezichtigt er den Angeklagten mehr oder weniger direkt der Lüge: "Warum lügen Sie?", "Sie können sich nicht erinnern, weil es nie geschehen ist", "Sie verändern Ihre Aussage ständig so, dass sie passt." Einmal schaltet sich sogar Richterin Thokozile Masipa ein - was umso mehr Gewicht hat, als sie sich nur selten zu Wort meldet - und ermahnt Nel, auf seine Wortwahl zu achten: "Man nennt einen Angeklagten nicht Lügner. Nicht, solange er im Zeugenstand ist."

Pistorius-Verteidiger Roux unter Druck

Wegen der Bezeichnung als Lügner wurde sogar eine Beschwerde bei der Südafrikanischen Menschenrechtskommission (SAHRC) eingereicht. Der Beschwerdeträger sei der Meinung gewesen, die Aussage des Staatsanwalts könne Pistorius' Recht verletzen, bis zum Nachweis der Schuld als unschuldig zu gelten. Die Kommission wies die Beschwerde zurück. Ein faires Verfahren sei trotz Nels Wortwahl gewährleistet.

Von diesem Randaspekt abgesehen, dürfte der Staatsanwalt mit dem Verlauf des Kreuzverhörs durchaus zufrieden sein. Er stellte zahlreiche kleine Details in Pistorius' Version infrage, verwirrte den Angeklagten mit seinen ständigen Themensprüngen und wurde nicht müde, die Widersprüche zu betonen, die er in Pistorius' Aussagen erkannt zu haben glaubte. Der Sportler brach unter dem Druck immer wieder zusammen, schien sich in seinen Aussagen zu verheddern - und wirkte, als würde er sich an wichtige Dinge absichtlich nicht erinnern. "Ich bin mir nicht sicher", war wohl der Satz, den Pistorius während des Kreuzverhörs am häufigsten sagte. Und "Ich bin mir nicht sicher", das kritisierte Nel wohl zurecht, ist keine sehr günstige Antwort für den Angeklagten.

Wie viel Einfluss das Kreuzverhör auf das Urteil des Gerichts haben wird, wird sich zeigen. Am Donnerstag könnte die Verhandlung zunächst für zwei Wochen unterbrochen werden. Nel hat den Aufschub selbst beantragt, aus terminlichen Gründen, wie er sagt. Dass es wie geplant am 16. Mai zu einem Urteil kommt, erscheint deshalb unwahrscheinlich. Zunächst ist nun Nels Gegenspieler am Zug: Pistorius-Verteidiger Barry Roux will 14 bis 17 Zeugen befragen. Er wird versuchen, den Schaden wieder gutzumachen, den die Glaubwürdigkeit seines Mandanten beim Kreuzverhör genommen hat.

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