Mordprozess in Frankenthal:Ein Schläger als V-Mann

Er galt als spielsüchtig und gewalttätig - dennoch heuerte das Landeskriminalamt in Mainz den gebürtigen Iraker Talib O. als Mitarbeiter an. Jetzt steht er wegen dreifachen Mordes vor Gericht.

Bernd Dörries

Im Sommer 2007 bauten Beamte des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz heimlich einen kleinen Kasten in den Motorraum eines weißen Ford Escort ein und schlossen ihn an die Autobatterie an. Der Kasten war ein GPS-Sender, von außen nicht zu erkennen, der den Fahndern im LKA immer mitteilen sollte, wo sich ihr V-Mann Talib O. befindet.

Mordprozess in Frankenthal: Talib O. sollte Informationen aus der Islamistenszene liefen. Nun steht er vor Gericht - wegen dreifachen Mordes.

Talib O. sollte Informationen aus der Islamistenszene liefen. Nun steht er vor Gericht - wegen dreifachen Mordes.

(Foto: Foto: dpa)

Alle dreißig Sekunden sollte der Sender den Aufenthaltsort des Ford nach Mainz funken, samt der Geschwindigkeit des Fahrzeugs. Talib O. galt als schwieriger Geselle, spielsüchtig und verschuldet. Ein Gewalttäter und Schwindler. Da schien es ratsam zu sein, wenn man weiß, wo sich sein Auto und er gerade aufhalten.

Der Sender funktionierte aber nur wenige Wochen, dann bekam er nur noch unregelmäßig Strom. Zuerst ging der GSM-Sender kaputt, der die Daten über das Handy-Netz verschicken sollte. Danach die Einheit, die den Aufenthaltsort speicherte.

Es dauerte aber noch ganze vier Monate, bis es im Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz jemanden auffiel, dass man den Kontakt zu einem V-Mann verloren hat, der als einer der wichtigsten und labilsten der Behörde galt. Man merkte es erst, als Talib O. im Februar 2008 wegen dreifachen Mordes gesucht wurde.

Seit Anfang November wird nun vor dem Landgericht Frankenthal gegen den 40-Jährigen und einen mutmaßlichen Mittäter verhandelt, gegen Ahmed H., einen 26-jährigen Somalier, den er seit Jahren bespitzelte, weil dieser Kontakte zu Islamisten gehabt haben soll. Beide sollen, so die Anklage, am 30. Januar 2008 drei georgische Autohändler umgebracht und ihnen etwa 10.000 Euro gestohlen haben.

Vermummte Islamisten

Talib O. soll den Georgiern einen Mercedes zum Kauf angeboten haben, der aber nie wirklich existierte. Beide Angeklagten bestreiten die Tat und beschuldigen den jeweils anderen. Talib O., der V-Mann, den das LKA Mainz auf die Islamisten-Szene angesetzt hatte, erzählt eine besonders seltsame Geschichte.

Der Somalier Ahmed H. sei mit den Georgiern in Streit geraten, weil einer ein großes orthodoxes Kreuz um den Hals getragen habe, dann seien plötzlich zwei vermummte Islamisten aufgetaucht, zusammen hätten sie die drei georgischen Christen umgebracht. Gotteskrieg in Rheinland-Pfalz. Es klingt wie ein Märchen aus 1001 Nacht.

Mindestens so interessant wie die Frage, wer die drei Georgier ermordet hat, ist vor dem Landgericht Frankenthal aber die, wie Talib O. überhaupt ein V-Mann des LKA Mainz werden konnte. Warum er als so wichtig eingeschätzt wurde, dass die Fahnder ihm ein neues Leben in Deutschland verschafften: einen deutschen Pass, den Führerschein, die Gewerbeerlaubnis und auch den weißen Ford Escort mit dem Sender.

Wenn das LKA ihn nicht angeheuert hätte, wäre Talib O. wohl schon längst nicht mehr im Land. Und es gäbe aller Wahrscheinlichkeit nach keine drei toten Georgier.

Im Jahr 1996 kommt O. mit seiner Frau nach Deutschland, er stellt einen Asylantrag, behauptet, er werde im Irak politisch verfolgt. Sein Antrag wird abgelehnt, abgeschoben wird er aber nicht.

Ein Leben vom LKA

Im Jahr 2001 wirbt ihn das Polizeipräsidium Ludwigshafen als V-Mann an, die Arbeitsbeziehung dauert aber nur wenige Monate, weil Talib O. zu wenig liefert. Zwei Jahre später bietet Talib O. seine Dienste den Ermittlern des LKA Mainz an.

Die Fahnder dort wussten wohl recht genau, wenn sie da beschäftigten, wem sie einmal mehr als 4000 Euro im Monat zahlten. Mindestens dreimal ermittelt die Staatsanwaltschaft während seiner Tätigkeit gegen Talib O. Einmal zeigt ihn seine Ex-Frau wegen Körperverletzung an. Es gibt Vorwürfe wegen Schleusertätigkeit und Passfälschung.

Dennoch setzt sich das LKA noch 2007 für seine Einbürgerung ein. Und hilft beim Führerschein, der Talib O. davor immer wieder verweigert worden war. Mal wegen seiner Aggressivität, mal weil er einen Prüfer bestechen wollte.

Ein Schläger als V-Mann

"Das jahrelange Zusammenwirken von LKA Rheinland-Pfalz mit einem mutmaßlichen Mörder lässt insgesamt das Bild einer unsäglichen Symbiose entstehen", sagt Gerhard Härdle, der Anwalt des Mitangeklagten Ahmed H.

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die Lebensläufe von V-Männern nicht gerade für eine Bewerbung für die mittlere Beamten-Laufbahn eignen. Im Fall von Talib O. stellt sich aber doch die Frage, ob er jemals hätte beschäftigt werden dürfen. Und wie mit einem Wagen des LKA Mainz drei Leichen abtransportiert werden konnten.

"Vieles schiefgelaufen"

In vielen anderen Bundesländern hätte ein solcher Vorfall wohl zu einem ziemlichen Skandal auf politischer Ebene geführt. In Mainz aber stellt kaum jemand unbequeme Fragen.

In einer vertraulichen Sitzung des Innenausschusses informierte Innenminister Karl-Peter Bruch (SPD) die Fraktionen am 3. März 2008 über Talib O. Dieser sei ein wichtiger Kontaktmann zu Islamisten-Szene gewesen, berichtete Bruch und bat um Verschwiegenheit. Seitdem schweigen alle Parteien.

Vielleicht ist die Erregungsschwelle in Rheinland-Pfalz einfach höher als anderswo. Die CDU hat genug eigene Affären am Hals. Die Polizei steht wegen eines Abhörskandals in Landau ohnehin in der Kritik, wo sie Telefonate zwischen einem Verdächtigen und seiner Verteidigerin belauschte.

Zumindest die FDP hat nun eine kurze Anfrage an die Landesregierung gestellt, als bekannt wurde, dass der GPS-Sender des V-Mannes über Monate nicht funktionierte. "So kann man doch gar nicht pennen, dass einem ein solcher Defekt nicht auffällt", sagt der innenpolitische Sprecher der Liberalen, Thomas Auler. Er war selbst jahrzehntelang bei der Polizei und kennt sich aus mit V-Männern.

"Das ist immer ein heikler Bereich. Im Fall Talib O. ist aber vieles schiefgelaufen." Bevor Talib O. V-Mann wurde, erwischte man ihn 1999 bei einem Ladendiebstahl. Mit den eintreffenden Polizisten lieferte er sich eine wilde Schlägerei und entwendete ihnen die Waffen. Später durfte er für die Polizei arbeiten.

Wichtige Akten gesperrt

Fahnder des LKA verweisen darauf, dass Talib O. gute Kontakte zu führenden deutschen Islamisten hatte. Auch sein Anwalt Stefan Allgeier sagt, seine Erkenntnisse führten "von Ulm bis ins Sauerland". Talib O. soll schon früh Kontakte zur Ulmer Islamisten-Szene gehabt haben, zum Arzt Yehia Yousif, der als Hassprediger den Boden für eine ganze Generation von Gotteskriegern bereitete, darunter Fritz Gelowicz, das Ulmer Mitglied der Sauerland-Bomber.

Auch Attila S. soll der mutmaßliche Mörder Talib O. gekannt haben, der der Sauerland-Gruppe die Zünder für ihre Bomben beschafft haben soll. Nachprüfen lässt sich das schwer, weil das LKA Mainz alle wichtigen Akten gesperrt hat.

Ende Januar ist der V-Mann-Führer als Zeuge vor Gericht geladen. Die Verteidiger befürchten, dass seine Aussagegenehmigung nicht sehr weit reichen wird. Das Innenministerium in Mainz möchte zu dem Fall keine Stellung nehmen.

Der Sauerland-Gruppe waren die Ermittler über Jahre so nah, wie keiner sonst, jedes Gespräch wurde abgehört, dazu brauchte es keinen Talib O.. Die Frage wäre ohnehin, wie er sich mit den Islamisten aus Ulm überhaupt verständigen wollte.

Vor Gericht ist sein Deutsch so schlecht, dass er einen Dolmetscher braucht. Aber vielleicht ist das auch wieder nur so ein Trick im Leben von Talib O. Eine der vielen Geschichten.

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