Mordfall Lena:Polizei räumt schwere Ermittlungspanne ein

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Im November schon zeigte sich ein junger Mann in Emden an: Er habe kinderpornografisches Material gesammelt und selbst angefertigt. Vier Monate später tötet er ein elf Jahre altes Mädchen. Der Durchsuchungsbeschluss für seine Wohnung lag seit Ende Dezember vor, wurde jedoch nie umgesetzt. Nun ermittelt die Polizei intern.

Jens Schneider, Hamburg

An so einem Abend werden sich viele fragen: Was wäre gewesen, wenn? Hätte man die Tat verhindern können? Wäre dieser Mord so auch passiert, wenn die Polizei anders reagiert hätte, in diesen Wochen seit vergangenem November? Die Antwort ist vermutlich kompliziert, auch komplizierter, als es zunächst erscheint. Und natürlich kann niemand wissen, ob alles anders gelaufen wäre. Aber die Nachricht aus Emden an diesem Dienstagabend wirkt überaus verstörend.

Im November des vergangenen Jahres hatte sich der 18-Jährige, der am Wochenende wegen des Mordes an der elf Jahre alten Lena in Emden festgenommen wurde, selbst bei der Polizei gemeldet. Das machte der stellvertretende Präsident der Polizeidirektion Osnabrück, Friedo de Vries, am Dienstagabend bekannt.

Der Junge habe sich auf dem Kommissariat selbst angezeigt. Der 18-Jährige habe damals angegeben, dass er vor längerer Zeit Fotos von einem unbekleideten Kind aufgenommen habe und auch kinderpornographisches Material gesammelt habe. "Im Rahmen seiner Selbstanzeige gab er zu Protokoll", so de Vries, " dass er aktiv gegen seine Neigung vorgehe". Er habe angegeben, dass er sich in fachlicher Betreuung befände. "Er wollte", so liest de Vries aus dem Protokoll von damals vor, "mit dieser Selbstanzeige einen Schlusspunkt unter dieses Kapitel setzen." Die Polizei nahm das auf, mehr allerdings passierte mit ihm nicht.

Der Fahndungserfolg sollte nach einer fürchterlichen Woche Ruhe bringen

Das trägt der stellvertretende Polizeipräsident an diesem Abend in Emden vor. Er hat am Dienstag interne Ermittlungen innerhalb der Polizei eingeleitet. "Ich selbst bin betroffen und in Sorge", sagt er vor der Presse. Er gehe davon aus, dass der damals aufnehmende Beamte entschieden habe, dass der Mann nach seiner Selbstanzeige die Wache wieder verlassen könne - ob zu Recht oder zu Unrecht, das werde man aufklären.

All das wird bekannt zwei Tage, nachdem die Ermittler in Emden mit Erleichterung, ja einem gewissen Stolz, wie es hieß, ihren Fahndungserfolg verkündet hatten. Sie hatten eine Woche nach dem Mord an der Elfjährigen im Parkhaus in der Emder Innenstadt den mutmaßlichen Mörder festgenommen. Er hatte die Tat gestanden, Spuren seiner DNA wurden am Tatort gefunden.

Der Polizei zufolge hatte er das Mädchen sexuell missbraucht und dann getötet, um seine Tat zu verdecken. Der Fahndungserfolg sollte Ruhe bringen nach einer fürchterlichen Woche, in der es bereits genug Pannen gegeben hatte. Kurz nachdem die Kleinstadt in Ostfriesland vom Mord im Parkhaus erfahren hatte, meldete die Polizei nämlich, dass ein anderer Jugendlicher, ein 17-Jähriger, unter dringendem Tatverdacht festgenommen worden sei. Sein Name wurde über das Internet bekannt, eine zunächst virtuelle Hatz begannen. Vor dem Kommissariat sammelte sich dann ein Mob, der dazu aufrief, den Jungen zu lynchen. Wenig später stellte sich seine Unschuld heraus.

Zu der Durchsuchung der Wohnung kam es nie

Die nun bekannt gewordene Panne habe nichts mit der Arbeit der "Mordkommission Parkhaus" zu tun, betont de Vries. Der stellvertretende Polizeipräsident spricht von nicht nachvollziehbaren Verzögerungen bei den Ermittlungen. Die erste Anzeige hatte es sogar schon vor dem November gegeben.

Im September 2011 soll bereits der Stiefvater des jungen Mannes ihn angezeigt haben, weil er Kinderpornographie beim Sohn seiner Lebensgefährtin entdeckt hatte. Die Emder Polizei gab den Fall den Angaben zufolge an die Polizeiinspektion Aurich/Wittmund weiter. Die für Kinderpornographie zuständige Staatsanwaltschaft in Hannover wurde verständigt. Einige Wochen nach der Selbstanzeige vom November erging offenbar am 30. Dezember ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss.

Doch zu dieser Durchsuchung der Wohnung kam es nie. Warum, das soll nun geklärt werden. Das interne Ermittlungsverfahren laufe erst seit Dienstag, sagte de Vries. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sicherte eine lückenlose Aufklärung der Panne zu.

© SZ vom 04.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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