Süddeutsche Zeitung

Mordfall in Wiesbaden:Warum es schwierig ist, Ali B. im Irak festzunehmen

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Er soll an der Vergewaltigung und Ermordung der 14-Jährigen beteiligt gewesen sein - und hat sich mit seiner Familie in den Irak abgesetzt. Über die Chancen, ihn dort aufzuspüren.

Von Max Sprick

Überhastet sei die achtköpfige Familie aufgebrochen, berichten Zeugen. Am 2. Juni, zehn Tage, nachdem die 14-jährige Susanna F. als vermisst gemeldet wurde, hat der Tatverdächtige Ali B. laut den Ermittlern mit seinen Eltern und Geschwistern die Flüchtlingsunterkunft in Wiesbaden-Erbenheim verlassen. Zunächst in Richtung Düsseldorfer Flughafen, wo sie Flugtickets zeigten, auf denen andere Namen angegeben gewesen seien, als auf ihren Aufenthaltspapieren für Deutschland. Sie sollen außerdem sogenannte Laissez-passer-Dokumente bei sich gehabt haben, eine Art Passierschein, in arabischer Sprache verfasst und mit Passbildern versehen, ausgestellt von der irakischen Botschaft. Die Passfotos sollen zwar abgeglichen worden sein, nicht aber die Namen.

Auf diese Weise, so die ersten Erkenntnisse der Wiesbadener Staatsanwaltschaft, konnte die Familie B. von Düssseldorf nach Istanbul fliegen - und dem Zugriff der deutschen Polizei zumindest vorerst entkommen. Sie flogen weiter nach Erbil, in die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan im Irak. Eine Stadt, von der das Auswärtige Amt abrät, sie zu bereisen. Außer es sei unbedingt notwendig. Nach der mutmaßlichen Beteiligung Ali B.s an der Vergewaltigung und Ermordung von Susanna F. lautet die Frage nun: Wie stehen die Chancen, den 20-Jährigen im Irak aufzuspüren?

Auch Zielfahnder sind immer auf die Kooperation mit örtlichen Behörden angewiesen

Darüber könne man nur mutmaßen, sagt der Sprecher des zuständigen Polizeipräsidiums Westhessen. Vielleicht reise B. ja wieder nach Deutschland ein.

Bernhard Egger ist leitender Kriminaldirektor des Landeskriminalamts Bayern und Abteilungsleiter 5 "Zentrale kriminalpolizeiliche Dienste", also Vorgesetzter der Zielfahnder. Seine Mitarbeiter haben Verdächtige an Thailands Stränden oder im Hinterland Nigerias aufgespürt, sie übernehmen Fälle, wenn die Kriminalpolizei nicht weiterkommt, sezieren Leben und Charakter eines Gesuchten. Ihre Erfolgsquote sei 100 Prozent. Der Fall ist nicht Eggers, doch spricht man mit ihm darüber, wird klar, wie schwierig die Fahndung ist.

Egger weist auf die Rechtslage hin: Deutsche Ermittler verhaften bei einer Zielfahndung im Ausland nicht selbst, sie sind auf Rechtshilfe des entsprechenden Landes angewiesen und arbeiten mit den örtlichen Behörden zusammen. "Wir liefern keine Fakten und stellen auch keine Anfragen, die im Zusammenhang mit Delikten stehen, für die in dem Land die Todesstrafe möglich ist." Der Irak belegt in der weltweiten Hinrichtungsstatistik von Amnesty International einen Spitzenplatz. Sollten Deutsche Behörden trotzdem Rechtshilfe im Fall von Ali B. anfragen, müsste das Justizministerium über eine Genehmigung entscheiden. Fraglich sei außerdem immer, wie ausländische Behörden auf einen reinen Verdacht reagieren, es sei unklar, ob die Ermittler vor Ort dem überhaupt nachgehen würden. Selbst wenn, mit dem Irak gibt es kein Auslieferungsabkommen. "Ich kenne kein Land der Welt, das, auch wenn ein Auslieferungsabkommen besteht, eigene Staatsbürger ausliefert", sagt Egger.

Wäre der Verdächtige ein EU-Bürger und in einen EU-Staat geflohen, stünden die Chancen recht gut, ihn zu fassen. Aber so? "Müssen deutsche Zielfahnder am Fall dranbleiben und hoffen, dass es irgendwann eine günstige Gelegenheit gibt, um zuzuschlagen", sagt Egger.

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SZ vom 08.06.2018
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