Helga Matura, genannt ,Karin', ist seit neun Jahren die ungekrönte Königin der Frankfurter Nächte. Sie ist die zweite Nitribitt", schrieb die Quick in einer Reportage nach der Ermordung der Prostituierten. Großtönend fuhr die Illustrierte fort: "Nur - sie hat mehr Format. Sie ist noch schöner. Noch begehrenswerter. Und noch lasterhafter." In der Nacht des 27. Januars 1966 hatte jemand der 32-Jährigen in ihrer Wohnung in der Gutleutstraße 85 von hinten ein Stilett in den obersten Halswirbel gestochen.
Der brutale Mord beherrschte damals die Spalten der Boulevardpresse. So erfuhr man, dass sie sich in die "wunderbare braune Haut ihres rechten Oberschenkels die Initialen ihres adeligen arabischen Verehrers hatte einbrennen lassen". Doch zu einer Legendenbildung, wie bei der 1957 erwürgten Rosemarie Nitribitt kam es bei ihr nicht. Der "Tod der schönen Sünderin", wie der Stern sie nannte, ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten.
Ermordete Prostituierte:Rosemarie Nitribitt: Mord, Geld und viel Doppelmoral
In den Wirtschaftswunder-Jahren war Rosemarie Nitribitt Industriellen und Politikern zu Diensten. Vor 60 Jahren wurde die Prostituierte brutal getötet. Warum wurde ihr Mörder nie gefasst?
Wohl auch deshalb, weil die Sechzigerjahre dann andere, die Gesellschaft wirklich bewegende Nachrichten produzieren sollten, bei denen man sich nicht mehr am Tod einer "Lebedame" satt lesen wollte. Lebedame: noch so ein vermufft-lüsternes Wort, mit dem man die Tätigkeit der 1933 in Bottrop geborenen Helga Sofie Matura zu umschreiben suchte. So wurde über ihr Leben und Sterben kein ambitionierter Film wie "Das Mädchen Rosemarie" gedreht, sondern nur der heute auch vergessene Kolportagefilm "In Frankfurt sind die Nächte heiß". Nur der Schriftsteller Matthias Altenburg, der unter dem Pseudonym Jan Seghers Krimis verfasst, hat sich (wie 1982 Gerhard Zwerenz mit dem Roman "Abschied von den Mädchen") des Matura-Mordes vor einigen Jahren angenommen und den Krimi "Die Akte Rosenherz" geschrieben.
50 Paar Schuhe und ein teures Himmelbett
Am ehesten dürften noch Kunstkenner mit dem Namen Helga Matura etwas anzufangen wissen. Unmittelbar nach ihrem Tod ließ sich Gerhard Richter durch Fotos in der Revue und der Quick zu zwei für seine damalige Werkphase typisch verwischten, doppelbödigen Ölgemälden inspirieren. Auf dem ersten sitzt sie fröhlich im Gras. Weil der Maler den Untertitel des Revue-Bildes "Ermordete Lebedame: Helga Matura" auf "Helga Matura" zusammenstrich, wird es zum Porträt einer ganz normalen jungen Frau mit brünettem Haar, der die Zukunft offenzustehen scheint.
Das zweite ist noch verwirrender, zeigt es doch "Helga Matura mit Verlobtem". Die Quick titelte zuvor: "Das letzte Bild der Matura - mit ihrem Verlobten Rainer". Sie hält den 22-jährigen Fernmeldetechniker Rainer Segeth im Arm, beide sind adrett gekleidet und blicken ziemlich keck. Wer hier das sagen hat, ist klar: Helga Matura, die um einiges größer ist als Segeth. "Ich denke", hat Richter später erzählt, "das ist ein Ausnahmefoto, so weit weg vom Üblichen, Normalen und dabei völlig echt, nicht gespielt, sondern so wahr, dass man es kaum glauben kann. Diese stolze tolle Frau und daneben der arrogante Hänfling."
Schaut man sich den Fall Matura genauer an, dann sind die Parallelen zu Rosemarie Nitribitt, der berühmten Jahrgangsschwester und Vorgängerin aus den Wirtschaftswunderjahren frappierend. Beide gingen auf der Frankfurter Kaiserstraße auf Kundenfang. Die Nitribitt in einem schwarzen Mercedes 190 SL, Helga Matura in einem weißen Mercedes Cabriolet 220 SE. Beide liebten den Luxus. Kaum ein Zeitungsartikel vergaß zu erwähnen, dass Matura 50 Paar Schuhe und ein 7000 Mark teures Himmelbett besaß. Wenn sie keine Männer traf, räkelten sich darin die Angorakatze "Désirée" und der Kater "Casanova". Nitribitts Schoßgefährte wiederum war der Zwergpudel "Joe".
Raubmord schied als Motiv aus
Die auffälligste Verbindung zwischen den beiden Fällen: Sie wurden nie aufgeklärt. Während bei Rosemarie die Spuren in höchste Industriellenkreise führten, zu Harald Quandt, Gunter Sachs und Harald von Bohlen und Halbach, gab es bei Helga Matura nichts dergleichen. Sieht man davon ab, dass sie Ende der Fünfziger, so berichtete es der Stern, eine Liaison mit einem Prinzen hatte und eine Weile in Beirut lebte, ehe sie nach Frankfurt zurückkehrte. Zu ihren Kunden zählten vor allem Geschäftsleute. Die Süddeutsche Zeitung indes zitierte am 3. Februar 1966 den Frankfurter Kriminaldirektor: "Helga Matura ... nahm alles mit." Mehr als eine halbe Million DM vererbte sie ihrer Mutter.
Ihr Mörder wurde nie gefunden, auch die Tatwaffe nicht. Ermittlungspannen wie bei der Nitribitt sind aber keine überliefert. Helga Maturas Verlobter, der "blonde Rainer", mit dem sie ein bürgerliches Leben fern der Prostitution beginnen wollte und zu diesem Zweck bereits einmal in Starnberg auf Wohnungssuche war, hatte ein Alibi. Auch Raubmord schied aus - die Matura verwahrte nie viel Bargeld bei sich. So hat das, was die SZ am 10. Februar 1966 schrieb, immer noch viel für sich: "Nachdem jedoch bekannt geworden ist, dass es in dem Luxusappartement häufig zu masochistischen Handlungen kam, verstärkt sich der Verdacht, dass Helga Matura das Opfer eines anomalen Triebmörders geworden sein könnte."
Sie wuchs in einfachen Verhältnissen auf und träumte vom besseren Leben. Mit 19 heiratete sie den Kaufmann Horst Wanders. Ein Kind wurde geboren, starb wenig später, das Paar ließ sich am 27. Januar 1955 scheiden. Helga modelte und merkte schnell, dass Männer auf sie flogen. Um noch attraktiver zu wirken, ließ sie sich die Brüste vergrößern; sie arbeitete erst als Bardame in Luxemburg, ging später nach Frankfurt, verdiente sehr viel Geld und wollte aussteigen. Dann wurde sie ermordet. An einem 27. Januar. Zu ihrer Beerdigung erschienen nur fünf Trauernde, darunter kein einziger Mann.