Mord wegen schlechter Noten:Von null auf hundert

Das Städtchen Ahrensburg bei Hamburg ist erschüttert. Ein 18-Jähriger soll zusammen mit seinem Bruder eine Lehrerin erstochen haben - offenbar aus Rache für eine Fünf in Deutsch.

Von Ralf Wiegand

Der Mord an sich war schon eine schockierende Sache. Ahrensburg nennt sich "Hamburgs schöne Nachbarin". Im Nordosten der Millionenstadt liegt das gemütliche Städtchen im Grünen. 30.000 Einwohner hat es und ein weißes Schloss. Das Schulzentrum "Am Heimgarten" gewann erst vor ein paar Tagen einen Preis für ein Umweltprojekt.

Nein, kein Mord sollte hier geschehen. Schon gar nicht solch einer wie der an Isolde F.

Ahrensburg ist gelähmt, seit bekannt ist, wer die 55-jährige Lehrerin umgebracht haben soll. Sie war schon vor mehr als einer Woche tot in ihrer Wohnung gefunden worden, von einer Nachbarin an einem Montagmorgen. In der Nacht zuvor, zwischen 22 und 22.30 Uhr, wurde sie erstochen.

Vier Tage Suche...

Das war schlimm genug; Isolde F. war bekannt in Ahrensburg, sie unterrichtete schon seit 20 Jahren hier. Im Schulzentrum "Am Heimgarten" gehörte sie zum Kollegium der Realschule, gab Deutsch und Kunst. Vier Tage lang fand niemand eine Antwort darauf, warum sie sterben musste. Dann hatten die Ermittler ein Motiv.

Isolde F. wurde getötet wegen einer Fünf im Fach Deutsch - davon geht die Lübecker Kriminalpolizei aus, die in dem Mordfall ermittelt. Ahrensburg ist für die Boulevardzeitungen nun die Stadt, in der Lehrer wegen schlechter Noten umgebracht werden. Alex O., ein 18-jähriger Schüler der Klasse R10c, und sein zwei Jahre älterer Bruder Vitali sitzen seit vergangenem Freitag in Untersuchungshaft.

Sie wurden verhört, aber sie schweigen. "Es ist das gute Recht der Beschuldigten, zur Sache nichts zu sagen", sagt Klaus-Dieter Schultz. Der Oberstaatsanwalt aus Lübeck ist über das Schweigen von Alex und Vitali O. nicht sonderlich betrübt. "Wir sind der Meinung", sagt der Jurist, "dass das, was wir bisher haben, für eine Anklage reicht."

Tatwaffe: Ein Restaurant-Messer?

Da gebe es die Zeugen, die gesehen hätten, wie Alex und Vitali vom Tatort abgeholt wurden. "Sie waren definitiv dort, die Zeit passt auch", sagt Schultz. Da sei das starke Motiv: Zukunftsangst. Alex, Aussiedlerkind aus Kasachstan, seit acht Jahren in Deutschland, wollte Zeitsoldat bei der Bundeswehr werden.

Die Staatsanwaltschaft nimmt an, Alex habe befürchtet, eine Fünf in Deutsch hätte das verhindern können. Und da sei der Bruder, der die Tatwaffe beschafft haben soll. Schultz deutet an, dass wohl ein Messer fehlt im Restaurant "Strehl". Dort war Vitali Kochlehrling, im Sommer wäre er mit der Ausbildung fertig geworden. Von der Tatwaffe fehlt jede Spur.

Rechtsanwalt Patric von Minden aus Bad Oldesloe wurde am Freitag zu Alex' Pflichtverteidiger bestellt. Nur einmal konnte er mit ihm sprechen, er hat bisher nicht mehr als ein Gefühl. "Alex streitet die Tat ab", sagt der Anwalt, "und wenn Sie ihn sehen, trauen Sie es ihm auch nicht zu." Ein intelligenter Junge sei er, spreche perfekt Deutsch. Das starke Motiv?

"Alex sagt, er habe bei der Musterung im Deutschtest mittelmäßig abgeschnitten", und außerdem stand die Fünf im Zwischenzeugnis. Da wäre noch was zu korrigieren gewesen.

Alex' Bruder Vitali hat auch einen Pflichtverteidiger bekommen, Thomas Elvers. Elvers kommt aus Ahrensburg, er weiß, wie dort die Stimmung jetzt ist: "Die Leute sind sehr aufgebracht." Das Thema ist nun Gewalt an Schulen, die Tat wird verglichen mit Schießereien in Klassenzimmern, sogar dem Massaker in Erfurt.

"Nicht besonders auffällig"

Dass die mutmaßlichen Täter aus Kasachstan kommen, beschleunigt die Vorverurteilung. "Wenn sie es nicht waren", fragt Anwalt Elvers, "wie sollen sie in Ahrensburg wieder Fuß fassen?"

Und wenn sie es waren? War es vorhersehbar? Alex hatte sich mit der Lehrerin über die Note gestritten, Schulleiter Heiner Bock hielt die Angelegenheit danach für erledigt. Die Brüder waren nicht besonders auffällig und nicht besonders unauffällig.

Der Staatsanwalt erwähnt "Ladendiebstahl und kleinere Sachbeschädigung". Der Mord wäre auch aus seiner Sicht eine Eskalation "von null auf hundert". Es war wohl nicht vorhersehbar. In der Schule findet am Donnerstag eine Gedenkfeier für Isolde F. statt. Psychologen, Seelsorger und der "Weiße Ring" kümmern sich um Schüler und Lehrer.

"Auf so etwas waren wir nicht vorbereitet", sagt Ursula Pepper, die Bürgermeisterin des Städtchens draußen im Grünen.

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