Mord in Dresden:Bring mich um

Police cars are parked in Gimmlitztal near the town of Hartmannsdorf-Reichenau

Auf dem Grundstück in Gimmlitztal wird mit Leichenspürhunden noch immer nach Überresten des Opfers gesucht.

(Foto: Reuters)

In einem Online-Forum verabreden sich zwei Männer. Der eine möchte getötet werden, der andere möchte ihm diesen Wunsch erfüllen. So geschieht es - und die Polizei in Dresden fragt sich nun: War es Mord? Tötung auf Verlangen? Kannibalismus?

Von Cornelius Pollmer, Dresden

Am Montag vor drei Wochen steigt ein 59-jähriger Mann um 6.50 Uhr in Hannover in einen Bus - am Abend desselben Tages liegt er zerstückelt begraben auf einem Gartengrundstück in Gimmlitztal im Osterzgebirge. Es ist ein außergewöhnlicher Tod, und genauso außergewöhnlich ist seine Vorgeschichte.

Der vorliegende Fall würde zeigen, "wie leicht Menschen mit den grauenvollsten Fantasien im Internet zusammentreffen", sagt Polizeipräsident Dieter Kroll am Freitag bei einer Pressekonferenz in Dresden. Die Phantasie des einen ist es, von einem anderen getötet und verspeist zu werden. Und es ist die Phantasie des Anderen, einem LKA-Beamten aus Sachsen, diesem Verlangen stattzugeben. Die Pressekonferenz mit Kroll nun gibt es, weil beide Männer ihre grauenvollen Fantasien in eine grauenvolle Realität umgesetzt haben.

Der Mann aus Hannover ist Geschäftsführer einer kleinen Unternehmensberatung. Er lebt seit einer Weile von seiner Frau getrennt, ist aber von ihr noch nicht geschieden. Bekannte berichten, dass er seit seiner Jugend von diesem speziellen Verlangen befallen sei.

Ein Forum für "exotisches Fleisch"

Der Mann meldet sich bei einem Online-Forum an, nach Eigenauskunft die "Nr.1-Seite für exotisches Fleisch". Mehr als 10.000 Beiträge ist das Forum lang, knapp 3000 registrierte Nutzer waren es am Freitag, deren neuester trägt das Pseudonym "Fleischeslust33".

In diesem Forum lernt der Mann Anfang Oktober Detlev G. kennen, 55, einen Schriftsachverständigen beim LKA in Sachsen. Die beiden Männer chatten und mailen, später schreiben sie sich auch SMS und telefonieren. Sie verabreden sich.

Um kurz nach 10 Uhr erreicht der Mann am 4. November Berlin, er steigt um in einen anderen Fernbus, viertel nach Drei kommt er in Dresden an. Detlev G. holt ihn eine halbe Stunde später vom Bahnhof ab, die Männer fahren wie vereinbart in die Pension im Gimmlitztal. G. betreibt diese Pension zusammen mit seinem Lebensgefährten.

Bevor die Polizei die Webseite des ehemaligen DDR-Ferienheims abschaltet, verspricht diese noch "die Entspannung, die Sie brauchen, um dem Alltag zu entfliehen". Und der Winter im Gimmlitztal, der habe wirklich "seinen besonderen Reiz".

Es geschah im Keller

Am Nachmittag des 4. November bleiben Detlev G. und der Mann aus Hannover trotzdem ungestört - wegen Renovierungsarbeiten ist die Pension seit ein paar Wochen geschlossen. Die Männer gehen in den Keller des Hauses und was dann nach Aussage G.s passiert, ist wohl ebenfalls verabredet worden: Mit einem Messer schneidet G. dem Mann die Kehle durch. Vier bis fünf Stunden lang zerlegt er danach die Leiche und vergräbt sie an verschiedenen Stellen hangabwärts in seinem Garten.

Eine Woche später wird der Mann aus Hannover von einem seiner Mitarbeiter als vermisst gemeldet. Die Polizei kann seine Spur bis nach Berlin verfolgen, dort hatte der Mann sein Handy das letzte Mal benutzt. Die Suche geht auf dem Rechner des Vermissten weiter, seit Mittwoch vergangener Woche schließlich kennen die Polizisten den Klarnamen des LKA-Beamten aus Sachsen, sie kennen seine Mailadresse und sie kennen auch den Inhalt der Verabredung der beiden Männer.

Das Grundstück von G.s Ferienheim liegt nur 25 Meter von der Gebietsgrenze der Polizeidirektionen in Chemnitz und Dresden entfernt, die Behörden stimmen sich ab, wiederum eine Woche später wird Detlev G. an seinem Arbeitsplatz im Landeskriminalamt verhaftet. Er legt ein Teilgeständnis ab und führt die Ermittler noch am selben Tag in Begleitung seines Anwalts zu mehreren Stellen in seinem Garten.

Stück für Stück zur Wahrheit

Seitdem gräbt die Polizei dort, und sie gräbt nicht vergeblich. Sie gräbt aber auch an Detlev G.s Version der Geschichte und nach dem fehlenden Teil seines Geständnisses. Der Verdächtige habe zwar "den Fakt der Tötung eingeräumt", sagt Oberstaatsanwalt Andreas Feron, aber hat er auch Teile des Getöteten gegessen? Da gebe es "bisher keine Erkenntnisse, der Beschuldigte bestreitet das".

Polizeipräsident Kroll weiß von einer "bizarren Behandlung des Leichnams" zu berichten, deren Motive gelte es nun zu ermitteln - sie sind entscheidend, auch für ein mögliches Strafmaß. Im Haftbefehl für G. ist von Mord die Rede, darauf stünde eine lebenslange Freiheitsstrafe. In Betracht kommt momentan auch noch Paragraf 216 des Strafgesetzbuches, Tötung auf Verlangen - in diesem Fall wäre auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu plädieren.

Die Staatsanwaltschaft aber, sagt Andreas Feron, gehe derzeit davon aus, dass die Voraussetzungen für eine solche Bewertung nicht erfüllt seien. Zwar sei die Tötung "durch das Opfer mitbegünstigt worden", gleichwohl fehle bei G.s Handlung ein "ethisch wertvolles" Motiv.

Und es fehlen noch Antworten, nach denen die 46 Beamte zählende Soko "Pension" nun suchen wird. Handelte G. aus einer sexuellen Motivation? Er bestreite auch dies, sagt Feron. Waren Dritte eingeweiht? Bis jetzt gibt es keinen Anlass zu dieser Vermutung. Und hätte ein Mann mit einer solchen Veranlagung nicht auffallen müssen beim LKA? "Er galt als völlig unbescholten", sagt Polizeipräsident Kroll. Überdies gehe "dieser Persönlichkeitsbereich den Dienstherren erst mal nichts an".

Noch keine Parallelen zum Kannibalen von Rotenburg

Nun aber geht dieser Persönlichkeitsbereich G.s seine Kollegen eine Menge an. Die aufwendige Spurensicherung im Garten der Pension zieht sich, mit jener im Haus haben die Beamten bis zum Freitag noch nicht richtig begonnen. Es sind längst nicht alle Leichenteile gefunden worden, auch deshalb fällt bei der Pressekonferenz bald das R-Wort.

Gibt es sie, Parallelen zum Kannibalen von Rotenburg? Armin Meiwes hatte 2001 einen Mann mit dessen Einverständnis getötet, zerstückelt, in Teilen gegessen. Zumindest der Deal zwischen G. und dem Mann aus Hannover scheint ein ähnlicher gewesen zu sein.

Das allein ist schauderhaft genug, und mehr noch nicht gewiss. Polizeipräsident Dieter Kroll sagt noch, er persönlich könne die Tat "weder nachvollziehen noch verstehen" und das gelte schon für all die Perversionen, die in besagtem Online-Forum auch nur geschrieben würden und die ein "immer krasseres Ausmaß" nähmen. Für 99 Prozent der Mitglieder gelte, dass sie ihre Lust schon aus dem bloßen Austausch ihrer Fantasien bezögen, sagt Kroll.

Womöglich gibt es deshalb einen gesonderten Punkt in der Registrierung für dieses Forum. Wer sich dort anmeldet, muss sich einen Benutzernamen ausdenken, eine Mail-Adresse angeben - die üblichen Dinge. Aber dann gibt es da noch ein Feld, man kann ein Häkchen dort setzen oder nicht. Die dazugehörige Auswahlmöglichkeit lautet: "Ich bin an mehr interessiert, als nur an Rollenspielen."

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