Mord in der JVA Siegburg:Es war Samstag und es gab nichts zu tun

Im Prozess um den grausamen Mord in der Justizvollzugsanstalt Siegburg soll heute das Urteil gesprochen werden. Allerdings nur über die Täter, nicht über das System.

Hans Holzhaider, Siegburg

Wenn alle Zeugen ausgesagt haben, wenn der Staatsanwalt, die Vertreter der Nebenkläger und die Verteidiger plädiert haben, dann haben die Angeklagten das letzte Wort. Das ist nie ein leichter Augenblick für einen Angeklagten, und schon gar nicht, wenn es um ein Verbrechen wie dieses geht: um das erniedrigende Quälen und die grausame Tötung eines jungen Mannes in einer Gefängniszelle.

Morde in der JVA Siegburg

Die Angeklagten Pascal I. (l.) und Ralf A. (r.) mit Anwalt Uwe Kreche

(Foto: Foto: dpa)

Was soll ein Angeklagter da sagen, zumal wenn er selbst noch sehr jung und die Sprache nicht sein bevorzugtes Kommunikationsmittel ist?

Ralf A., 21, sagt: "Ich kann nur sagen, dass ich das sehr bereue, und dass ich an mir arbeiten möchte, dass ich ein normales Leben führen kann." Danny K., 18, schafft es als Einziger der drei, den Kopf zu heben und zur anderen Seite des Saales hinüberzuschauen, wo der Bruder des ermordeten Hermann Heibach sitzt, als er sagt: "Es tut mir wirklich sehr leid, was ich getan habe."

Ein Biotop ungezügelter Aggressionen

Patrick I., 20, murmelt mit gesenktem Kopf nahezu unverständlich etwas in sich hinein, man versteht "... rückgängig machen" und "... leider nicht möglich". So endet eine Hauptverhandlung, die vieles im Unklaren gelassen hat, und die, was die Rhetorik der Prozessbeteiligten angeht, einige seltsame Blüten getrieben hat.

Am Nachmittag und Abend des 11. November 2006 hatten Ralf A., Patrick I. und Danny K. in der Zelle 104 der Justizvollzugsanstalt (JVA) Siegburg den 20-jährigen Herrmann Heibach völlig ohne äußeren Anlass über viele Stunden hinweg geschlagen, sexuell missbraucht, zu allen möglichen widerwärtigen Handlungen gezwungen und ihn schließlich, nach vier misslungenen Versuchen mit diversen Elektrokabeln, mit einem aus einem Bettlaken gedrehten Strick erhängt.

Weil so absolut kein nachvollziehbares Motiv für diese Tat ersichtlich ist, lag es nahe, über die äußeren Umstände nachzudenken, sozusagen über das Biotop, in dem diese ungezügelte Aggression gedeihen konnte.

Vier Jugendliche oder Fast-noch-Jugendliche in einer 20-Quadratmeter-Zelle, mit ganz unterschiedlichen Naturellen, mindestens zwei von ihnen mit ausgeprägter Gewaltbereitschaft; das Wochenende, an dem das Abendessen schon mit dem Frühstück ausgegeben wird, um 16 Uhr ist Einschluss, da sagt der Betreuungsbeamte tschüss, danach ist nichts mehr.

Ein "interessantes pädagogisches Experiment"

Müssten da erfahrene Vollzugsbeamte und Anstaltspsychologen nicht damit rechnen, dass etwas schiefgeht?

Der psychiatrische Sachverständige Wolfgang Schwachulla hat es ein "interessantes pädagogisches Experiment" genannt, vier Jugendliche 48 Stunden lang auf so engem Raum zusammenzusperren. Das war natürlich ironisch gemeint, aber angesichts des Umstandes, dass trotz der Goodwill-Erklärungen der nordrhein-westfälischen Landesregierung die räumliche und personelle Beengtheit in der JVA Siegburg und anderen Anstalten keineswegs beseitigt ist, bekam diese Äußerung doch einen höchst makabren Beigeschmack.

Einmal während seines zwölfstündigen Martyriums hatte das geschundene Opfer die "Ampel" gedrückt, eine Lichtsignalanlage, mit der die Gefangenen Kontakt mit den Vollzugsbeamten aufnehmen können.

Lesen Sie weiter, warum dem Opfer diese Kontaktaufnahme nicht das Leben rettete.

Es war Samstag und es gab nichts zu tun

Als der Wachhabende sich über die Wechselsprechanlage meldete, antwortete Danny K., er habe sich "verdrückt" - damit gab sich der Beamte (dessen Identität die Staatsanwaltschaft nicht festzustellen vermochte) zufrieden.

Später am Abend beschwerten sich die Insassen der Zelle direkt unter jener, in der Hermann Heibach malträtiert wurde, über den Lärm. "Das war kein normales Poltern", sagte einer der Gefangenen als Zeuge, "da haben die Lampen gebebt. Ich hab die Notruftaste gedrückt und denen gesagt, da wird einer geschlagen. Dann gingen zwei Beamte hin, danach war erst mal Ruhe."

Wenn Schweigen tötet

Die beiden Beamten warfen einen Blick in die Zelle, sahen drei Mann am Tisch sitzen und einen - Heibach - regungslos auf dem Bett liegen. Sie sprachen ihn nicht an.

Sie gaben sich mit der Erklärung zufrieden, man habe "Möbel gerückt", ermahnten die Gefangenen zu mehr Ruhe und verschwanden wieder. Einer der Beamten, gefragt, warum man sich nicht nachhaltiger um Aufklärung bemüht habe, sagte: "Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden."

Das war nun gar nicht ironisch gemeint und lässt nur die fatale Schlussfolgerung zu, dass aus Sicht des Anstaltspersonals einer, der aus irgendwelchen Gründen nicht sprechen will oder kann, es leider hinnehmen muss, massakriert zu werden.

Zwei der vier Nebenklägeranwälte haben angesichts dieser Sachlage gefordert, die - schon eingestellten - strafrechtlichen Ermittlungen gegen die agierenden JVA-Beamten wiederaufzunehmen, ein Gedanke, der zumindest nicht ganz abwegig erscheint.

Der Sachverhalt ist klar, alle drei Angeklagten haben gestanden - Danny K. schnell und umfassend, Patrick I. erst nach langem Leugnen und Herumlavieren. Zu klären war eigentlich nur noch die Frage, ob für Patrick I. und Ralf A., die nach dem Gesetz als "Heranwachsende" gelten, Jugend- oder Erwachsenenrecht anzuwenden sei.

Staatsanwalt Robin Faßbender hat sich in seinem bemerkenswert differenzierten Plädoyer für das Erwachsenenrecht ausgesprochen. Er hatte gute Gründe dafür. Ralf A. war zur Tatzeit 20 Jahre und acht Monate alt, nicht einmal sein Verteidiger reklamierte für ihn noch Jugendrecht.

Patrick I., zur Tatzeit 19, hatte sich durchaus selbständig im Leben etabliert, mit eigener Wohnung, einem nicht unerheblichen Einkommen als Drogenhändler und häufig wechselnden sexuellen Beziehungen zu Mädchen, die sein Geld und seinen Zugang zu Drogen zu schätzen wussten. Für ihn beantragte der Staatsanwalt lebenslange Haft und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, was eine Entlassung schon nach 15 Jahren ausschließen würde.

Bizarre Forderung nach Todesstrafe

Ralf A., der nach Einschätzung des Staatsanwalts am wenigstens aktiv an dem mörderischen Geschehen teilnahm und der sich insbesondere bei den sexuellen Handlungen deutlich zurückgehalten hatte, könnte mit 15 Jahren davonkommen - das Jugendgerichtsgesetz räumt bei Heranwachsenden diese Möglichkeit auch bei Mord ein, für den es sonst nur lebenslange Haft geben kann.

Danny K., zur Tatzeit 17, kann höchstens zu zehn Jahren Jugendstrafe verurteilt werden. Einen bizarren Akzent setzte der Kölner Rechtsanwalt Ulrich Rimmel, der die Mutter des getöteten Hermann Heibach vertritt.

Er regte an, in Fällen wie diesem über die Wiedereinführung der Todesstrafe nachzudenken. Zur Ehrenrettung der Anwaltschaft muss man festhalten, dass sich nicht nur die Verteidiger, sondern auch die drei anderen Nebenklägervertreter entsetzt von diesem Vorschlag distanzierten.

Am Donnerstag will das Gericht sein Urteil verkünden.

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